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Rollstuhlpflaster in Freiburg

Foto: Brigitte Luckhardt

Barrierenreiches Darmstadt

Mit dem Rollstuhl in die Stadt

Den Weg von Kranichstein in die Stadt Darmstadt muss Andrea Engelter gut planen. Wenn sie einen Termin beim Masseur hat und zum Willy-Brandt-Platz fahren möchte, kommt ihr Schieberollstuhl zum Einsatz. Ohne eine Begleitperson müsste sie an ihrem Ziel vorbeifahren, weil die Haltestelle keine hohen Bordsteine hat und daher nicht barrierefrei ist. Mit ihrem schweren Elektro-Rollstuhl kann die Frau nicht aus der Bahn aussteigen. Das Gefährt wiegt über 150 kg, zu viel für ihre Helferin.

Nur wenige Rollstuhlfahrer nutzen in Darmstadt den öffentlichen Nahverkehr. Die meisten von ihnen fahren mit dem Auto, weil die Fahrt mit Bus und Bahn oft abenteuerlich ist. Andrea Engelter besaß bis vor 4 Jahren einen eigenen Pkw. "Ich dachte am Anfang: Ohne Auto, das geht nie", erzählt die 46jährige, die in einem autofreien Quartier wohnt. Heute fährt sie mit dem Bus oder der Straßenbahn in die Stadt. Manchmal leiht sie ein Auto über Carsharing oder bestellt ein Taxi.

"Mit dem Elektro-Rollstuhl allein in der Straßenbahn zu fahren, fällt mir nicht schwer, wenn es mir gut geht", sagt Andrea Engelter. In Kranichstein kann sie problemlos wegen dem hohen Bordstein an der niveaugleichen Haltestelle einsteigen. Wo sie aussteigt, hängt nicht von ihrem Treffpunkt in der Stadt ab. Der Ausstieg wird durch die Barrierefreiheit der Haltestelle diktiert. Die nächste Haltestelle vom Luisenplatz aus, die sie ohne Hilfe nutzen kann, ist die Rhein-Neckarstraße.

Die neuen Straßenbahnen sollen behindertenfreundlich sein und den Ausstieg auch am ebenerdigen Luisenplatz erlauben. Rampen sollen das Befahren der Wagen mit Rollstühlen ermöglichen, was im Idealfall funktioniert. Voraussetzung ist, dass der erste Wagon mit R a m p e dort hält, wo der Bordstein ausreichend hoch ist und wo die Fahrgäste warten. Nach dem Halten der Bahn ist die Rollstuhlfahrerin auf das Wohlwollen des Fahrers oder der Fahrgäste angewiesen. Die Rampe muss mit Muskelkraft angehoben und ausgeklappt werden. An der Tür drängelnde Menschen müssen zur Seite treten und etwas Geduld üben. Wenn die ersten Hindernisse beseitigt sind, eine Straßenbahn mit Rampe gekommen ist und ein netter Mensch das Brett angehoben hat, steht der Frau eine Mutprobe bevor. Die Rampe erscheint von oben bedrohlich steil und die Lücke unten auf dem Luisenplatz, die die Menschenmenge lässt, zu klein. Zentimetergenaues Lenken ist in kurzer Zeit erforderlich. "Stressfrei ist das nicht", sagt Andrea Engelter. Entspannter fährt die Rollstuhlfahrerin mit dem leichten Schieberollstuhl und einer Begleitperson zum Luisenplatz.

"Es ist besser mit der Straßenbahn zu fahren als mit dem Bus", findet Andrea Engelter. Der H-Bus, der ebenfalls von Kranichstein zum Luisenplatz fährt, ist oft überfüllt. Fahrgäste stehen dicht an dicht in den Gängen, Mütter parken ihre Kinderwagen nebeneinander. In der Straßenbahn verteilen sich die Menschen und Kinderwagen hingegen. Im Bus wird wenig Rücksicht genommen. Manche Mütter mit Kinderwagen sind nicht bereit, den engen Raum mit der Rollstuhlfahrerin zu teilen. Kleine Rucksäcke stehen in vollen Bussen allein auf Klappsitzen, wo Platz für Kinderwagen, Rollstuhlfahrer oder die Begleitperson sein sollte.

Ohne Rücksichtsnahme und Unterstützung kann die Rollstuhlfahrerin nicht mit dem ÖPNV fahren. Wenn sie mit dem Elektro-Rollstuhl allein in die Stadt fährt, ist sie auf fremde Hilfe beim Ein- und Aussteigen angewiesen. Meistens spricht sie andere Fahrgäste an und fragt bereits nach Unterstützung, schon bevor der Bus oder die Bahn hält. Auf den Fahrer möchte sie sich nicht verlassen. Die Fahrer scheinen oft zu überlegen, ob sie aussteigen und die Rampe ausklappen sollen. "Ein Grund hierfür könnte der enge Fahrplan sein, der keine Verzögerungen erlaubt", vermutet die Rollstuhlfahrerin. Nach Hilfe zu fragen, erfordert Courage. Es gibt Situationen, in denen es ihr unangenehm ist, unbekannte Menschen in der Stadt um einen Gefallen zu bitten. Zum Beispiel in der Dunkelheit, wenn Gesichter nicht gut erkannt werden können.

Dass auf Rollstuhlfahrer Rücksicht genommen werden sollte, ist für einige Verkehrsteilnehmer noch nicht selbstverständlich. Einige Radfahrer regen sich lautstark auf, wenn der Elektro-Rollstuhl mit einer Geschwindigkeit von sechs Stundenkilometern auf dem Radweg fährt. Da es keine offiziellen Rollstuhlwege gibt, wählt die Rollstuhlfahrerin den Weg mit Teerbelag und geringer Neigung. "Ich fahre dort, wo ich mich sicher fühle", sagt sie. In verkehrsberuhigten Zonen fährt sie auch am Straßenrand, wenn zum Beispiel hohe Bordsteine oder parkende Autos den Weg auf den Bürgersteig blockieren.

Für ihre Mobilität wünscht sich Andrea Engelter, dass die Haltestellen hohe Bordsteine haben und so ein selbständiges Ein- und Aussteigen mit dem Elektro-Rollstuhl möglich ist. Wichtig ist ihr, dass sie sich auf Hilfe beim Einsteigen durch den Fahrer verlassen kann. "Ich möchte alles ohne Stress nutzen können", so Engelter. Sie möchte nicht mehr darüber grübeln, ob die Fahrt in die Stadt problemlos klappt oder nicht.

Brigitte Luckhardt

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