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Ein Leben in vier Wänden

In der ägyptischen Oase Siwa leben noch heute Frauen nach jahrhundertealter Tradition

»Ich fühle mich als die glücklichste Frau auf der Welt. Wenn andere Frauen meine Zufriedenheit mit meinem Leben fühlen könnten, sie würden mich beneiden und wünschen, sie wären ich:
Denn ich bin die Ehefrau, mein Mann versorgt mich mit allen lebensnotwendigen Dingen. Er versorgt mich mit einem Haus, mit Essen und Trinken, Kleidern und alles was ich sonst noch brauche und er tut, um was immer ich ihn bitte.
Denn ich bin die Mutter. Meine Kinder, die ich liebe und die mein Leben sind, lieben mich und befolgen alles was ich ihnen sage.
Denn ich bin eine Schwester und eine Tochter. Ich fühle meiner Eltern Liebe und Freundlichkeit mein ganzes Leben lang und sie liebe ich am meisten, denn sie machten aus mir die Person, die ich heute bin«

Nein, diese Worte stammen ausnahmsweise nicht von der ehemaligen Moderatorin Eva Hermann. Dieses Bekenntnis zu ihrem Leben legt eine 56-jährige Frau aus Siwa ab. Die ägyptische Oase in der Nähe der lybischen Grenze liegt rund 730 km von Cairo entfernt, mitten in der Wüste. Sie ist erst seit einigen Jahren über eine Teerstraße erreichbar. Die etwa 25.000 Bewohner sind Berber, die sich mit Arabern und Sudanesen vermischt haben.

Die Siwaner führen ein jahrhundertealter Tradition entsprechendes Leben, das die Regeln des Koran nicht nur besonders streng auslegt, sondern weit übersteigt. Dies trifft hauptsächlich die verheirateten Frauen, ihre Verbannung aus der Öffentlichkeit ist hier fast vollkommen. Ihr Leben spielt sich im Haus und allerhöchstens im zugehörigen Garten ab. Die einzige Möglichkeit, die eigenen vier Wände mit Erlaubnis des Ehemannes oder der Schwiegermutter kurzzeitig zu verlassen, ist ein Besuch bei Verwandten. Dazu muss sich die Frau vollkommen mit ihrem »Tarfottet« genannten traditionellen Gewand verhüllen. Kein Auge, kein Fitzelchen Haut ist zu sehen, auch die Hände werden mit Handschuhen bedeckt. So verpackt, wird das weibliche Wesen vom Ehemann oder von einem männlichen Verwandten auf dem Eselstaxi zum Besuch transportiert.

Die verheiratete siwanische Frau hat, im Haus der Schwiegereltern innerhalb der Großfamilie lebend, viele Regeln zu beachten. Hier einige davon: Folge immer deinem Ehemann und seinen Eltern, du musst alles tun, was sie sagen; Stehe jeden Tag früh auf, um das Haus zu putzen und Frühstück zu bereiten; Wasche dich sehr früh, lange bevor die Brüder des Ehemanns aufwachen (damit sie dich nicht unbekleidet sehen); Verlasse niemals das Haus ohne Genehmigung durch deine Schwiegermutter; Wasche die Kleider deiner Schwiegereltern; Mach dich für die Nacht schön für deinen Ehemann.

Ich hatte die Möglichkeit, in Siwa zwei verheiratete Frauen in ihrem Wohnbereich im Haus unverschleiert zu treffen. Schöne, etwa 30-jährige Frauen, in farbenfrohen langen Kleidern, umgeben von 14 kichernden Kindern. Ich erzähle von mir, meinem Leben und Beruf und frage sie, wie ich denn auf sie wirke. Sie antworten, dass ich wohl ein sehr freies Leben führe. Ihr Leben wäre ganz anders, sie hätten diese Freiheit nicht. Aber ihr Leben wäre nun mal so, sie haben kein anderes kennengelernt. Es entspricht der Kultur und der Religion und sie fühlen sich wohl. Ihren Alltag verbringen sie mit dem Aufziehen ihrer Kinder, Hausarbeit, Kochen und Brotbacken und manchmal mit der Anfertigung von Kunsthandwerk.

Bei diesem, nach unseren Vorstellungen eingeengten und von Männern bestimmten Leben verwundert es, dass die siwanische Frau doch die Möglichkeit hat, sich scheiden zu lassen. Gründe können sein: Fehlende Harmonie zwischen den Eheleuten, Probleme mit der Schwiegermutter, Probleme zwischen der ersten und zweiten Frau (falls der Mann zwei Frauen hat) usw. Wenn also die Frau nicht länger mit ihrem Mann leben will, verlässt sie ohne Genehmigung das Haus ihrer Schwiegereltern und geht in ihr Elternhaus zurück. Es können Versöhnungsversuche stattfinden. Wenn diese scheitern, lebt die Frau fortan wieder bei ihren Eltern, auch hier abgeschottet und verbannt aus der Öffentlichkeit. Die Kinder bleiben meist beim Vater.

Siwa – das in der Vergangenheit so prominente Besucher wie Alexander den Großen und General Rommel hatte – ist noch heute in vielen Bereichen eine mittelalterliche Festung im Wüstensand. Besonders was das Leben der Frauen betrifft. Nur 430 km entfernt davon in südlicher Richtung, dehnt sich die Oase Baharya aus. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Es tut gut, hier Frauen auf der Straße beim Einkaufen oder Schwätzchenhalten zu sehen. Ihr Gesicht ist nicht verhüllt, sie können in die Welt schauen und frau kann ihnen ins Gesicht sehen.

Helge Ebbmeyer

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