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100 Jahre Widerstand gegen Studentinnen

Dokumentartheater mit über fünfzig Frauen.
Alexandra Adamowitsch, Doreen Sellger, Kerstin Ramdohr, Laura Dobrzynski und Yuleima Rodriguez (v.l.) sind fünf von ihnen.

"Einzelne Frauen versuchten schon lange vor der Zulassung der Frauen zur Universität ein Studium durchzusetzen«, sagt Angela Paul-Kohlhoff, Professorin im Fachgebiet Berufspädagogik an der Technischen Universität Darmstadt (TUD) mit dem Schwerpunkt Frauen in der Berufsbildung. In Darmstadt immatrikulierten sich die ersten Frauen mit der Eröffnung der Technischen Hochschule 1908. Zuvor war ein Studium nur durchs die Hintertür möglich. »Frauen studierten oft mit Hilfe ihrer gelehrten Väter und immer gegen Widerstand«, sagt Paul-Kohlhoff.

Die Art des Widerstands ist in Briefen oder Abhandlungen auszumachen. Die Schriften, die die Auseinandersetzungen zwischen Frauen und Männern, aber auch zwischen Frauen und Frauen belegen, sind die Grundlage für ein Dokumentartheater. Anhand dieser Texte entwickeln Studentinnen im laufenden Sommersemester im Projektseminar von Angela Paul-Kohlhoff »100 Jahre Frauenstudium an der TUD« ein Theaterstück. Die Idee der Professorin anlässlich des 100jährigen Bestehens der Hochschule: Die Aussagen der Schriften in Dialoge setzen, diese szenisch darstellen und mit einem Chor begleiten.

Als Pädagogikprofessorin ist für Paul-Kohlhoff interessant, dass die Frauenrechtlerinnen auch immer »gleiche Bildung für Frauen forderten«. Somit seien Frauenbewegungen gleichzeitig Bildungsbewegungen gewesen.

Innerhalb von 100 Jahren wechselten Staatsformen, kamen und gingen Kriege. Der Widerstand gegen studierende Frauen blieb. Gibt es ihn auch heute noch? Auch dieser Frage werden die Studentinnen wohl nachgehen, wenn sie in sechs Phasen die Situation der Studentinnen nachzeichnen: Beginn der Zulassung der Frauen zum Studium in Darmstadt 1908, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Nachkriegszeit, 68er Jahre und Gegenwart.

Zu Zeiten als Rad fahrende Frauen in Pluderhosen revolutionär waren, diskutierten Frauen und ihre Gegner heftig über das Recht der Frau zu studieren. So auch die Soziologin Marianne Weber (1870 bis 1954). Sie engagierte sich ab 1898 als Frauenrechtlerin. Ihre Haltung empfindet Paul-Kohlhoff allerdings als Paradoxon. Politikerin Weber propagierte die heute angeprangerte Doppelbelastung der Frau: Frauen sollten nicht nur in Universität und Erwerbsleben tätig sein, sondern auch den Haushalt führen.

Vor allem Mediziner argumentierten gegen das Frauenstudium. Auf biologischer Ebene führten sie das kleinere Gehirn der Frauen an, was als Argument inzwischen entkräftet ist. Der Mediziner und Professor von Bischof führte die Schamhaftigkeit gegen ein Studium von Frauen ins Feld. Noch abstruser klingt für heutige Ohren, dass nur Menschen mit langen Beinen, also Männer, ein Medizinstudium absolvieren könnten. Im Dokumentartheater wird die Frauenrechtlerin, Philosophin und Autorin Hedwig Dohm (1831 bis 1919) darauf antworten: »Der Mann hat längere Beine als die Frau, bemerkt sehr richtig Herr von Bischof. Ein Schlusssüchtiger könnte allenfalls daraus schließen dass der Mann sich mehr zum Briefträger eigne als die Frau.«

Aus heutiger Sicht ungewöhnlich ist die Wahl der Studiengänge vor 100 Jahren. Die ersten Frauen studierten die Naturwissenschaften, »denn die waren weniger angesehen«, sagt Angela Paul-Kohlhoff und vermutet dort den Zusammenhang.

Stiegen zunächst die Studentinnenzahlen, so versuchten die Nationalsozialisten den Frauen das Studieren zu erschweren. Erklärtes Ziel war, die Quote der Studentinnen nicht über zehn Prozent steigen zu lassen.

Dies änderte sich massiv nach dem zweiten Weltkrieg. Da viele Männer im Krieg umgekommen waren, drängten die Frauen an die Universitäten, um Lehrerinnen zu werden. Zudem wendeten sie sich verstärkt den Geisteswissenschaften zu.

Auch über 60 Jahre nach dem Krieg hat sich ein Gleichgewicht von Frauen und Männern in den naturwissenschaftlichen und technischen Berufen noch nicht entwickelt. An der Technischen Universität in Darmstadt ist das besonders deutlich. Von 17.155 Studierenden an der TUD im vergangenen Wintersemester waren nur 5053 Frauen. Die Schlusslichter bilden der Maschinenbau, die Elektro- und Informationstechnik und die Informatik mit einem Frauenanteil von nur neun, zehn und elf Prozent.

Ob die Studentinnen von Angela Paul-Kohlhoff auch zu diesem Thema Dokumente aufstöbern werden, wird Ende Oktober auf der Bühne zu sehen und zu hören sein.

Barbara Köderitz

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