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Wissenschaftsstadt ohne Studierende?

Darmstadt schmückt sich seit 1997 mit dem Titel Wissenschaftsstadt. In einem empirischen Lehrforschungsprojekt zwischen 2003 und 2004 haben junge SoziologInnen unter der Leitung von Prof. Dr. Beate Krais und Dipl. Soz. Maja Suderland folgendes untersucht: Was bedeutet der Titel den Menschen, die hier leben? Gibt es ein Bewusstsein darüber, welche Bedeutung das Konzept für die Stadt hat? Und natürlich: Welche Rolle spielt die TUD im komplexen Geflecht der Wissenschaftsstadt?

Wissenschaftsstadt - was verbindet sich mit diesem Begriff? Zum einen sind es stadtplanerische Aspekte, die auf das Vorhandensein von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen in Darmstadt hinweisen: von der Universität über die Fachhochschulen bis hin zu privaten Einrichtungen wie beispielsweise das European Space Operations Centre (ESOC) oder das Internationale Musikinstitut. Insgesamt haben etwa 40 Einrichtungen in Darmstadt ihren Sitz, die in irgendeiner Form wissenschaftliche Funktion haben. Zum anderen ist der Begriff ein Konstrukt, das dem Renommee einer Stadt und ihrer Selbstdarstellung förderlich ist.

Die größte Forschungseinrichtung ist die TUD, 1877 als Technische Hochschule gegründet und 1997 in Technische Universität umbenannt, eine von fünf Universitäten in Hessen. Die TUD präsentiert sich selbst mit Schlagworten wie »international«, »interdisziplinär« und »modern«. Doch wie stellt sie sich den BewohnerInnen und BesucherInnen der Stadt tatsächlich dar? Und was ist mit den Studierenden in der Stadt? Diesen Fragen gingen SoziologInnen einer Seminargruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Beate Krais und Dipl. Soz. Maja Suderland nach. Sie werteten Meldungen der ortsansässigen Presse darüber aus, wie Universität und Studierende dort dargestellt werden, befragten Passanten darüber, wie und womit Darmstadt sich beschreiben lässt und führten ExpertInneninterviews über die Wahrnehmung von Studierenden in der Stadt durch.

Mythos »Gesichtslose Uni«

Viele Gebäude der TUD, das ergaben Ortsbegehungen, hinterlassen »einen unscheinbaren bis negativen Eindruck«. Sie seien oft nicht als Universitätsgebäude erkennbar, wirkten ungepflegt. Neben den zwei Hauptstandorten Lichtwiese und Innenstadt verteilen sich die Gebäude über das gesamte Stadtgebiet, so dass durch das räumliche Auseinanderfallen der Begriff »Konturlosigkeit« naheliege. Bei den Passantenbefragungen über die Dinge, die Darmstadt beschreiben, spielte die Universität nur eine untergeordnete Rolle. Mathildenhöhe und Luisenplatz verbinden die Menschen auf der Straße mit ihrer Stadt.

Aus den Befragungen zu den Studierenden und deren Präsenz in Darmstadt, ergab sich ein zweiter Mythos:

»Darmstadts Studierende leben woanders«

Ja, wo leben sie denn nun? Tatsächlich ergaben sich aus den Analysen statistischer Daten, dass mindestens die Hälfte aller Studierenden, das sind knapp 18.000 Menschen, in Darmstadt leben müssen. Doch die Auswertungen der Pressedarstellungen und die der Befragten ergab ein ganz anderes Bild. Studierende werden nicht als BürgerInnen der Stadt wahrgenommen, sondern als einreisende Auswärtige, die zwar die Lokalitäten der Stadt in ihrer Freizeit benutzen, die öffentlichen Verkehrsmittel füllen, doch ansonsten mit dem Stadtleben nichts zu tun zu haben scheinen.

Ein interessantes Fazit ergab sich damit für die SoziologiestudentInnen: »Gesichtslosigkeit« nennen sie es. Aus ihren Überlegungen ergibt sich weiterhin, »dass das Konzept der Wissenschaftsstadt Darmstadt keinesfalls umfassend angelegt ist, sondern sich auf ökonomische Effekte beschränkt« (TUD intern 25, 2004, S. 3). Wie das zu ändern sei, das sagt Simone Gottmann in einem Echo-Interview (4. Juni 2004): »den Begriff offener« halten und »Studierende als wertvolle Gruppe zu integrieren«, beispielsweise durch das Bereitstellen von Wohnraum.

Darmstadt als Wissenschaftsstadt sollte einen lebendigen Ort bezeichnen, der von den Menschen gestaltet und getragen wird - und das nicht nur mittels ihrer Arbeit, sondern auch durch ihre Persönlichkeiten, ihren Alltag. Denn: Mythen sitzen in den Köpfen, auch wenn Fakten etwas anderes sagen.

Gabriele Merziger

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