Werden Sie auch eine

MATHILDE

 

Der Berliner »Illustrierte Zeitung« war die erste deutsche Diplomingenieurin, einer Absolventin der TH Darmstadt, am 8. August 1913 eine Titelseite wert.
Das Bild wurde von der Universitätsbibliothek Kassel zur Verfügung gestellt (Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel)

Verena Kümmel (Jahrgang 1981) studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt. Im Jahr 2007 schloss sie ihr Studium mit der Magister-Prüfung ab. Derzeit arbeitet sie für die Frauenbeauftragte der Technischen Universität an der inhaltlichen Gestaltung der Ausstellung »100 Jahre Studium von Frauen an der Technischen Universität Darmstadt«.

Studieren unterm Hakenkreuz

Verena Kümmel über die Situation von Studentinnen Anfang der dreißiger Jahre und während der Hitler-Diktatur an der damaligen Technischen Hochschule Darmstadt.

Wie viele Frauen studierten überhaupt Anfang der 30er Jahre an der Technischen Hochschule Darmstadt?

Im Sommersemester 1930 hatte die Zahl der ordentlich eingeschriebenen Studentinnen ihren Höchststand in der Zwischenkriegszeit erreicht. 40 Studentinnen hatten sich immatrikuliert, je 13 in der Abteilung für Architektur und der Allgemeinen Abteilung, in der unter anderem auch die Mathematik beheimatet war. Weitere vier »Damen«, wie es damals hieß, wurden in den Naturwissenschaften verzeichnet, drei in Wirtschaftswissenschaften, drei in Chemie, zwei in Pharmazie und jeweils eine in Physik und Maschineningenieurwesen. Dabei war nur eine Studentin Nichtdeutsche, und zwar Ungarin. Die Mehrheit stammte sogar aus Hessen.

Als Folge der Weltwirtschaftskrise und der Verschlechterung der Arbeitsmarktlage ging die Zahl der eingeschriebenen Frauen in den nächsten Semestern auf 30 Studentinnen im Winter 1933/34 zurück.

Wie hat sich das nationalsozialistische Regime auf das Studium vonFrauen an der THD ausgewirkt?

Da es nur so wenige und sehr verstreut studierende Frauen an der TH gab, hatten sich, anders als an den meisten Universitäten, die Studentinnen nicht zu einem Verein zusammengeschlossen. Erst gegen Ende der 20er Jahre stellten einige Studentinnen eine »Liste der Studentinnen« auf, um ihre Interessen vertreten zu können. Doch diese Vereinigung war nicht mit den Studentinnenvereinen oder gar den an den männlichen Korporationen orientierten weiblichen Verbindungen zu vergleichen. So wurden die Studentinnen an der THD nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 mit einem ganz neuen Maß an Organisation und ganz neuen Organisationsstrukturen konfrontiert. Alle deutschen Studierenden, die nicht jüdischen Glaubens waren, gehörten automatisch der Deutschen Studentenschaft an und ihnen wurden zunächst zum Beispiel »pflichtmäßige Leibesübungen« auferlegt, an denen sie zusätzlich zum Studium teilzunehmen hatten.

Innerhalb der Organisationsstruktur der Studentenschaft wurde neben den Ämtern für Propaganda, Wirtschaft et cetera auch das Amt für Studentinnen institutionalisiert. Frauen liefen nun nicht mehr unsichtbar neben ihren Kommilitonen einher, sondern wurden explizit erfasst. Als eine Förderungsmaßnahme sollte diese neue Initiative für Studentinnen aber nicht interpretiert werden.

Spielte in Darmstadt die »Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen (ANSt)« eine Rolle, mit der die Erziehung der Studentinnen im nationalsozialistischen Sinne kontrolliert und gesteuert wurde?

Die ANSt war quasi die Studentinnen-Organisation von Seiten der Partei, der NSDAP. An den Hochschulen verschmolz im »Amt für Studentinnen« die eigentlich staatliche Organisationsform mit der parteilichen, da dieses Amt meist in Personalunion von der ANSt-Leiterin betreut wurde. Die ANSt war die weibliche Untergruppe des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, und bestand seit 1930, in Darmstadt gibt es aber keine Hinweise auf Aktivitäten vor dem Jahr 1934. Hier gab es die ANSt nicht nur an der TH, sondern auch an anderen höheren Bildungseinrichtungen. Diese einzelnen Gruppen, in denen die Studentin nicht zwangsläufig Mitglied sein musste, vom BDM* aber übergeleitet werden sollten, wurden dann lokal und regional zusammengefasst. So trafen sich z.B. Studentinnen aus Darmstadt mit Studentinnen aus dem Gau Hessen-Nassau zu Schulungslagern im Taunus oder in der Wetterau. Aber auch für den Einsatz im Land- und Fabrikdienst dienten die lokalen ANSt-Gruppen als Organisatorinnen und Multiplikatorinnen.

Gab es einen geschlechtsspezifischen Numerus Clausus, um Frauen den Zugang zur Universität zu erschweren?

Dass es im Jahr 1934 den Versuch gab einen N.C. einzuführen, ist richtig. Insgesamt sollten in diesem Jahr nur 15.000 Abiturienten und Abiturientinnen die Erlaubnis zum Hochschulzugang bekommen. Von diesen 15.000 sollten höchstens 10% weiblich sein. Jedoch wurde diese Quote nicht eingehalten und in den nächsten Jahren gar nicht mehr angewendet. Restriktiver hat sicherlich der »Reichsarbeitsdienst« gewirkt, an dem Studierwillige teilnehmen mussten und dort in der gemeinsamen Arbeit mit anderen Mädchen aus anderen sozialen und beruflichen Schichten ihre »Studierfähigkeit« unter Beweis stellen mussten. Durch die Einführung dieser Dienstpflicht wurde zunächst eine Verzögerung des Hochschulzugangs erreicht und gehofft, die betroffenen Frauen von dem Wunsch nach einem Studium abzubringen. Doch liest man die Berichte über den Land- und Fabrikeinsatz, so wird zwischen den Zeilen doch deutlich, dass die Studentinnen bei aller Begeisterung für diese Tätigkeiten froh waren, dass sie diese Arbeiten nur auf absehbare Zeit ausüben mussten und dies nicht ihre Lebensperspektive war.

Wurden jüdische und andere missliebige Studierende und ProfessorInnen(falls es welche gab) entlassen? Sind Studierende beziehungsweise Wissenschaftlerinnen emigriert oder deportiert worden?

Es ist ja bekannt, dass vor dem Ersten Weltkrieg der Anteil der jüdischen Studenten an der TH Darmstadt recht hoch war, für die Studentinnen kann man da überhaupt keine belastbare Aussage treffen. Ende der Weimarer Republik schwankt die Zahl der jüdischen Studentinnen zwischen 3 und 0, so dass wir hier zwar von einem überschaubaren Personenkreis sprechen, aber auf Grund der Verluste im Archiv der TUD durch die Brandnacht, diese Studentinnen und ihren weiteren Lebensweg nicht so einfach rekonstruieren können. Dies wäre sicherlich ein interessantes Projekt, vor allem da zur Geschichte der THD im »Dritten Reich« bisher nur zu sehr wenigen Themenaspekten geforscht wurde. Ein Professor, der 1933 auf Grund seines jüdischen Glaubens entlassen wurde, war z.B. Prof. Michael Evenarí (1904-1989) vom Botanischen Institut. Im übrigen bestehen große Bedenken, dass man bei Maria Dorer von einer fristlosen Entlassung im Jahr 1933 sprechen kann, wie es in der 58, S. 7 zu lesen ist. Sie hatte sich 1932 in Psychologie an der TH Darmstadt habilitiert, und es scheint logisch, dass sie nun nicht mehr am Pädagogischen Institut in Mainz bleiben wollte. Vielmehr ist Frau Dr. phil. habil. Maria Dorer ab dem Studienjahr 1932/33 als Privatdozentin für Psychologie und Bildungslehre im Institut für Psychologie der TH in Darmstadt beschäftigt. Eine Stellung, die sie auch nach 1945 innehatte.

Insgesamt müsste zu diesem Thema noch wesentlich intensiver geforscht werden, als mir das im Rahmen der Ausstellung möglich ist. Vor allem, da die nötigen Materialien sehr verstreut sind.

Im Verlauf des nationalsozialistischen Regimes, wurden die Regelungen gegen jüdische Lehrende und Studierende über die Jahre gesteigert. Was 1933 mit Entlassungen begann, wurde im April 1937 durch ein reichsweites Promotionsverbot für jüdische Studierende fortgesetzt und Juden und Jüdinnen wurden ihre in Deutschland erworbenen akademischen Grade aberkannt. Nach der Reichspogromnacht wurde jüdischen Studierenden der Zugang zu den Universitäten endgültig versperrt und »Mischlinge« konnten spätestens ab dem Jahr 1940 nur noch mit Ausnahmegenehmigung studieren.

Haben Studentinnen oder Professorinnen Widerstand geleistet?

Auch zu dieser Frage ist bisher wenig bekannt. Im Jahr 2005 wurde ja der ehemalige Darmstädter Student Karl Plagge (1897-1957) mit der Aufnahme in den Kreis der »Gerechten unter den Völkern« geehrt. Aber von ehemaligen Studentinnen der THD fällt mir spontan nur die erste E-Technik-Studentin Ira Rischowski (geb.1899) ein, die sich schon während ihres Studiums in Darmstadt in der Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft engagiert hatte und 1935 Deutschland verließ, da sie Material für die Sopade** nach Prag geschmuggelt hatte und aufgeflogen war.

Die Fragen stellte Barbara Obermüller.

_____

* Bund Deutscher Mädel
** Sopade (auch: SoPaDe) nannte sich die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) von 1933 bis 1938 im Prager und von 1938 bis 1945 im Pariser Exil.

zurück

MATHILDE