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In Polen bewegt sich nichts

Unter der Regierung der Kasczynski-Zwillinge leiden besonders die Frauen – Katholische Kirche hemmt Emanzipationsbestrebungen

»Ich habe meine Heimat immer geliebt, aber heute würde ich manchmal am liebsten auswandern« sagt Danuta (Name geändert), Chefredakteurin einer polnischen Zeitschrift.

»Was ist nur aus Polen geworden?« fragt der Journalist Andrezej Rybak, der gerade durch seine Heimat gereist ist und sie nicht wiedererkannt hat, wie er in der Financial Times Deutschland schreibt. »Nichts bewegt sich«, stellt auch Zofia Lapniewska von der polnischen Frauen-Organisation Neww-Polska fest.

Das liberale, weltoffene, aufstrebende Polen, der zivile Ungehorsam und der Drang nach Freiheit sind verschwunden, schreibt Rybak. Es herrscht nicht nur Stillstand in diesem Land, es entwickelt sich rückwärts. Zu verdanken ist dies hauptsächlich den paranoiden Zwillingsbrüdern, Lech und Jaroslaw Kaczynski und ihrem korrupten System, die Polen in einen andauernden Ausnahmezustand gestürzt haben.

Unter der derzeitigen Situation leiden besonders die Frauen, die es in Polen nie leicht hatten. Der Kampf um die Emanzipation begann auch dort im 19. Jahrhundert, er gerät jedoch bis heute in Konflikte mit der polnischen Tradition, Mentalität und der katholischen Kirche, die Frauen auf Heim und Herd festgelegt haben. Die traditionelle Rollenverteilung ist so stark in der polnischen Mentalität ausgeprägt, dass sie die Emanzipation äußerst erschwert und in ländlichen Regionen sogar hemmt. Dabei kämpften die Frauen oft genug an der Seite der Männer gegen das realsozialistische Regime. Neben den Werftarbeitern von Danzig waren es 1970 die Textilarbeiterinnen von Lodz, die Parteisekretär Gierek ein kollektives Nein entgegneten, als er vorschlug: Ihr werdet gut arbeiten und wir werden gut regieren. Die Gewerkschaft Solidarnosc hatte 1980/81 etwa 10 Millionen Mitglieder, die Hälfte davon waren Frauen. Solidarnosc wandelte sich von einer Gewerkschaft zu einer breiten gesellschaftlichen Bewegung, als Frauen Kochtöpfe schlagend durch die Straßen zogen und Hungermärsche veranstalteten.

Heute kämpfen die Frauen nicht mehr an der Seite der Männer, sie müssen quasi gegen sie kämpfen, um sich durchsetzen zu können. Kazimiera Szczuka, Literaturwissenschaftlerin, Feministin und Mitbegründerin der polnischen Grünen: »In Polen beträgt die Arbeitslosen-Rate 20 Prozent. Der Arbeitsmarkt ist vor allem gegenüber Frauen rücksichtslos. Frauen nehmen jeden Job an, obwohl sie oft überqualifiziert dafür sind. Sie werden bei der Einstellung und Arbeit benachteiligt. Ihr Gehalt liegt um 20 Prozent niedriger als für Männer bei gleicher Arbeit.« Junge Frauen in Polen haben enorme Schwierigkeiten, feste Verträge zu bekommen. »Mit Jobangeboten nötigen Parlamentarier ihre weiblichen Angestellten zum Sex«, hat Andrzej Rybak festgestellt. Die Frauenquote im polnischen Parlament beträgt übrigens 12,9 Prozent.

Frauen haben ein Recht auf Mutterschaftsurlaub, können es sich praktisch aber nicht leisten, Gebrauch davon zu machen. Staatliche Förderungen haben die »Enteriche« (so werden die Kaczynski-Brüder im Volk genannt) sehr beschnitten. So strich der Staat die minimale Ersatzfinanzierung für ledige Mütter, wenn die Väter keine Alimente zahlen. Ein Recht auf Abtreibung haben die Frauen seit 1993 nur, wenn sie vergewaltigt wurden, es Komplikationen in der Schwangerschaft gibt und sie oder das Ungeborene an einer ernsten Krankheit leiden. Doch oft werden auch in diesen Fällen Frauen vom Arzt zurückgewiesen. Die Zahl der offiziellen Abtreibungen aus den oben genannten Gründen liegt bei 100 pro Jahr! Es werden natürlich illegal Abtreibungen vorgenommen, die zum einen gefährlich sind, zum zweiten belaufen sich die Kosten dafür auf ein durchschnittliches Monatsgehalt oder mehr.

Die katholische Kirche übt einen hemmenden Einfluss auf die Emanzipation der Frauen aus, indem sie noch heute ein traditionelles Familienbild unterstützt und hervorhebt. Sie empfiehlt eine frühzeitige Heirat und verbietet Verhütungsmittel. Gynäkologen weigern sich, die Pille zu verschreiben. »Es ist das größte Unglück der Polen, dass sie im Land des Papstes leben müssen. Von der katholischen Kirche geht ein immenser Druck aus, so dass die polnische Familie gelernt hat, sämtliche Probleme nach innen zu kehren. Der Staat sieht weg und mischt sich nicht ein. Alkoholismus, Gewalt gegenüber Kindern und Frauen sowie Missbrauch werden nicht zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen«, sagt Kazimiera Szczuka. Die polnische Welt wird immer noch ausschließlich von Männern dominiert. Danuta kann das aus ihren Erfahrungen im Job bestätigen und sie möchte auch privat nicht mit einem Mann zusammen leben.

Frauen, die in Polen Frauen lieben oder mit ihnen leben, werden noch zusätzlich diskriminiert. So verbot Lech Kaczynski Demonstrationen während der »Tage der Gleichberechtigung«, zu denen die drei polnischen Schwulen- und Lesbenorganisationen aufgerufen hatten. Wundert es die Leserin, sollen doch die Teletubbies aus dem polnischen TV verbannt werden, da sie angeblich homosexuell sind.

Es gibt sogar staatliche Gremien in Polen, die für den gleichen Status von Frauen und Männern sorgen sollen. Aber in ihrer Alibi-Funktion sind sie ineffektiv und haben es bisher nicht geschafft, das Anti-Abtreibungsgesetz zu liberalisieren oder ein Gleichstellungsgesetz herbeizuführen. Auch der EU-Beitritt hat da nichts verändert.

Die Frauenbewegung im Land ist zersplittert und nicht sehr stark. Es gibt drei Frauenorganisationen in Polen: Neww-Polska, Oska und Karat Coalition, die sich allerhand einfallen lassen (wie einen Oskar für die »Feministin des Jahres« von Oska) und einen mühsamen Kampf durchfechten. Vielleicht bringen die Parlamentswahlen Ende des Jahres eine Wendung, so dass Danuta nicht auswandern muss.

Helge Ebbmeyer

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