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»Seit meinem Aufenthalt in Indien, wo große Wasserknappheit herrscht, gehe ich anders mit Wasser um. Wenn ich irgendwo sehe, dass Wasser einfach so fließen gelassen wird, versetzt es mir einen Stich.« (Anja)

"Auch wenn der ökologische Gedanke nicht der erste Grund ist, hier zu leben, entscheide ich mich mit dem Wohnen hier dafür damit umzugehen: über Ökologie nachzudenken gehört automatisch dazu.« (Katrin)

»Sorgfältig mit den Ressourcen umzugehen und regenerative Ressourcen nutzen gehört für mich selbstverständlich zu meinem Leben hier.« (Susi)

»Meine Mama verteilt das Essen, das übrig ist, an die anderen. Wir werfen nichts weg.« (Stina)

Bewusster mit den Ressourcen umgehen

Zwischen Martin-Luther-King-Ring und Kranichstein gibt es eine Bauwagensiedlung

Einundzwanzig Menschen, wovon vier Kinder sind, acht Hühner, vier Katzen und neun Hunde leben derzeit in der Bauwagensiedlung im Norden Darmstadts, neben Schrebergärten und Sportstadion. 35 Wagen haben sie sich selbst nach den eigenen Wünschen und Vorlieben zusammengebaut, darunter ein Gästewagen, eine Kneipe, die Gemeinschaftsküche, ein Kino und ein Badewagen. Und natürlich der kommunikativste Ort der kleinen Gemeinschaft, der Wagen mit Plumpsklo. Seit sechzehn Jahren gibt es die Bauwagensiedlung von Darmstadt, an verschiedenen Orten war sie bereits angesiedelt, jetzt haben sie an diesem Ort einen Pachtvertrag mit der Stadt. Und warum leben diese Menschen dort? »Weil’s schön ist«, sagt Sophie und Steff (erstes Foto) ergänzt: »Weil’s bewusster und näher dran ist an der Natur.«

Menschen, die im Bauwagen leben? Da fällt mir spontan Peter Lustig aus der Kinderserie Löwenzahn ein. Peter erwirbt den Bauwagen, weil sein Haus in der Einflugschneise für die neue Landebahn des Flughafens steht. Dort möchte er nicht mehr leben. Seinen Wagen baut er sich um mit den Materialien, die vorhanden sind. Vermeintlicher Schrott ist durchaus noch brauchbar. Hier fängt Ökologie im kleinen Rahmen an: wider die Wegwerfgesellschaft mit viel Kreativität eigene Ideen praktisch im eigenen, bescheidenen Wohnumfeld umsetzen.
»Das macht Spaß», findet auch Sophie, eine der BewohnerInnen der Bauwagensiedlung in Darmstadt, die es liebt, mit Säge und Schraubenzieher rumzubasteln, und die seit zwei Jahren dort lebt. »Es macht Spaß, die Fenster da hin zu bauen, wo es einem gefällt, Bestehendes in Frage zu stellen.» Das sagt die junge Frau ganz selbstverständlich und selbstbewusst. Und es mache Spaß, in dieser Gemeinschaft zu leben.

Schätzungsweise 10.000 Menschen, das ergibt meine Internetrecherche, leben in Deutschland in einem Bauwagen. Ein Leben auf wenigen Quadratmetern: Beklemmung oder Befreiung?

Von Beklemmung spüre ich nichts, die sechs Menschen, mit denen ich mich unterhalte, fühlen sich alle frei. »Mich macht es zufrieden, einfach zu leben, weil ich intensiver lebe, näher an den Dingen bin», fasst Steff, der einzige Mann in unserer Runde, zusammen.

Ein kleiner Raum ist leichter und energetisch günstiger zu heizen, Wasser, das Liter für Liter erst in die Küche getragen werden muss, ist wertvoll, Strom, der aus Solarzellen gewonnen wird, ist nicht einfach endlos nutzbar, ein Plumpsklo braucht kein fließendes Wasser - das sind einige der Grundvoraussetzungen, die für Menschen, die sich für das Leben im Bauwagen entschieden haben, selbstverständlich geworden sind. Aus dem Leben heraus ergibt sich die Haltung, in der gesamten Lebensgestaltung ist der ökologische Anspruch immer präsent, wenn auch nicht immer bewusst. Die Regenwassernutzung gehört ebenso selbstverständlich dazu, wie die Absprache zur Laptopnutzung, denn Strom aus den Solarzellen reicht nur für eine gewisse Zeit, insbesondere im Winter. Daraus ergibt sich automatisch ein sparsamer Umgang.

Natürlich haben sie ein Aggregat, wenn größere Mengen Strom gebraucht werden, zum Beispiel für die Stichsäge, und natürlich gibt es Dinge wie Fernseher und Autos. Doch auf Waschmaschinen verzichten sie ebenso, wie auf Kaffeemaschine, Kühlschrank, Mikrowelle oder andere Luxusartikel unseres täglichen Lebens, über dessen Gebrauch wir Menschen in festen Häusern schon lange nicht mehr nachdenken.

»Im Winter Holz hacken, den Ofen heizen, etwas tun müssen für‘s Leben», das findet Anja reizvoll. »Und mit dem Aggregat kann ich im Winter trotzdem fernsehen», grinst Stina - ein kleiner Luxus, den sich die Einzelnen gönnen. Doch das geht nicht immer und schon gar nicht permanent.

Ein Auto haben die meisten, doch das Fahrrad wird mindestens genau so oft genutzt. Außerdem gibt es viele gemeinschaftliche Absprachen, wenn zum Beispiel Einkäufe erledigt werden müssen. »Wenn es stark regnet, werde ich schon mal in die Schule gefahren, aber meistens fahre ich mit dem Fahrrad», erzählt Stina.

Ökologie im Kleinen, das bedeutet auch, mit Putzmitteln sparsam umzugehen oder Alternativen zu Seifenschaum und chemikalischen Mitteln zu verwenden. Abwasser kommt nicht in den Boden, das ist eine grundsätzliche Regelung, an die sich alle halten. Der Garten wird nur mit gesammeltem Regenwasser gegossen, Verpackungsmaterialien werden wiederverwendet - viele dieser Dinge erinnern mich an mein Leben als Kind auf dem Land, als auch wir noch keine Heizung hatten, meine Mutter die Wäsche im Zuber von Hand wusch und jede Tüte vom Metzger oder Bäcker wiederverwendet wurde.

»Und weißt du, was das Schönste hier ist?», fragt Stina. »Wenn es nachts regnet, höre ich den Tropfen auf dem Dach zu. Das liebe ich.»

Text und Fotos: Gabriele Merziger

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