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MATHILDE

Foto: Marcus Kaufhold

Andere Wirklichkeiten

Ausstellungegebäude Mathildenhöhe:

Janet Cardiff und George Bures Miller
- The killing machine und andere Geschichten 1995-2007 -

20. Mai bis 26. August 2007

Es ist eine Ausstellung mit Suchtfaktor. Gut, man braucht vielleicht etwas Mut, um sich in die Erzählwelt der kanadischen Künstler Janet Cardiff und George Bures Miller einzulassen.

Gleich zu Beginn der Ausstellung: die "Killing machine". Eine Installation, die die Besucher per Knopfdruck auslösen müssen, eine morbide Tötungsmaschine, inspiriert von Kafkas "Strafkolonie". Ein alter Zahnarztstuhl mit rosa Flokati um den ballettartig Roboterarme kreisen, dazu schräg-schöne Cellomusik. Sie könnte auch "Lovemachine" heißen finden die Künstler und unterstreichen damit die Vieldeutigkeit ihres neuesten Werks: "I like the concept, that there is no truth, (...) there can be one situation and ten realities." (Janet Cardiff). Trotzdem bleibt die gewollte politische Anspielung an Todesstrafe und Folter.

Düster ist auch Dark Pool, die erste gemeinschaftliche Arbeit. Ein verlassenes Forscherlaboratorium mit unzähligen Gegenständen. Erst langsam erschließt sich, was sich dort abgespielt haben könnte. "Manchmal wird man direkt in eine Geschichte hineingezogen, aber manchmal muß man aktiv werden, um sie zu enträtseln", so Cardiff und Bures Miller. Sie lieben es, andere Wirklichkeiten zu kreieren. Und das gelingt. Sogartig ziehen ihre Installationen in den Bann.

Gerade auch die Arbeit Fourty Part Motet, die aus der großen Halle ein Kirchenschiff macht. Vierzig mannshoh aufgestellte Lautsprecher, zu jedem gehört eine Chorstimme. Zusammen wird Spem in Alium von Thomas Tallis gesungen, eine der komplexesten Kompositionen der Renaissance. Statt wie beim frontal gehörten Orchestererlebnis kann diese wunderschöne Musik mittendrin erlebt werden, als ob die Besucher zwischen den Sängern stehen würden. Um diese neue, andere Art der Wahrnehmung geht es, aber auch um Wirklichkeit und Fiktion.

Vor allem in ihren Arbeiten, wo Theater (Playhouse, 1997) oder Kino (The Paradise Institute, 2001) simuliert wird. Playhouse ist ein Miniaturtheater für einen Besucher. Der "Vorstellung" auf der Bühne kann er allerdings nicht richtig folgen, weil er einen Kopfhörer trägt und über die ungewöhnliche Art der binauralen Aufnahmentechnik in seiner Konzentration gestört wird. So setzt sich fiktiv eine Frau neben ihn, oder lacht das Publikum die Operndiva auf der Bühne aus.

Meisterhaft inszeniert sind diese auditiven Täuschungsmanöver in der preisgekrönten Arbeit The Paradise Institute. Für die Biennale in Venedig 2001 geschaffen, ist es eine Art roh gezimmertes Kino, innen mit sechzehn echten Kinoplüschsesseln ausgestattet. Auch hier werden die Besucher über Kopfhörer in ihrer Wahrnehmung manipuliert. Während des "Films", einem Genremix aus Film Noir, Thriller, Science Fiction, und Experimentalfilm wird hinter einem Popkorn gegessen, fragt eine Frau laut, ob sie wohl den Herd ausgeschaltet hat, klingelt ein Handy.

Bei "Berlin Files" verzichten die Künstler auf Kopfhörer und spielen damit, wie der eigens dafür vollständig schallgedämpfte Raum die Wahrnehmung und das Hören verändert: "Unsere Ohren und Augen nehmen nicht dasselbe wahr. Unsere ganze Arbeit geht selbstverständlich darum - um Realität und Irrealität, Wirklichkeit und Illusion."

Es ist die erste große Einzelschau des kanadischen Künstlerpaares Janet Cardiff und George Bures Miller. Sie übertrifft die bisherigen Ausstellungen auf der Mathildenhöhe an technischem Aufwand bei weitem. Statt wie üblich ein bis vier der aufwändigen Installationen der Künstler zu zeigen, sind es hier elf, inklusive einer Arbeit für das Wasserreservoir. Und dort lockt noch eine besondere Überraschung.

"Their world is theatrical, cinematic and nostalgic"- besser kann das Werk des kanadischen Künstlerpaars nicht beschrieben werden.
Zum Glück gibt es diesmal eine Dauerkarte.

Text: Julia Reichelt

Im Rahmen der Ausstellung gibt es das umfangreiche
Begleitprogramm "Ganz Ohr"
www.Mathildenhoehe.info

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