Werden Sie auch eine

MATHILDE

 

Elida Aponte ist Anwältin, Philosophin sowie Leiterin des Zentrums für Frauenstudien an der Universidad de Zulia, Mara-caibo - Venezuela. Neben ihrer Tätigkeit im INAMUJER (nationales Fraueninstitut) leitet sie auch das feministische NGO-Netzwerk gegen Gewalt an Frauen REVIMU (Red Venezolana sobre Violencia contra la Mujer). In einem Interview erzählt sie von ihrer Einschätzung der Frauenbewegung, der gesetzlichen Lage im Hinblick auf feministische Belange und ihrer kritischen Distanz, die sie für Feministinnen für unabkömmlich hält.

2003 versuchte der Generalstaatsanwalt, die im Artikel 39 verankerten Schutzmaßnahmen für Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden waren, für verfassungswidrig zu erklären, weil sie seiner Meinung nach, die Bewegungsfreiheit und das Recht auf Privateigentum des Mannes eingeschränkt hätten. Das Gesetz sah vor, dass sich der Täter dem Arbeitsplatz der betroffenen Frau nicht nähern durfte und dass im Falle eines gemeinsamen Wohnsitzes der Mann das Haus verlassen musste.

 

Das Interview führten Eva Bahl und Judith Goetz

Eva Bahl studiert Anthropologie und Politikwissenschaft,

Judith Goetz studiert Vergleichende Literaturwissenschaft und Politikwissenschaft.

Beide befinden sich derzeit auf Auslandsjahr in Buenos Aires, Argentinien und forschen zu Frauenbewegungen in Lateinamerika.

»La historia la vamos a hacer nosostras!«

»Die Geschichte werden wir Frauen machen«

- Elida Aponte, Leiterin des Zentrums für Frauenstudien an der Universidad de Zulia, Maracaibo, Venezuela

In Venezuela teilen sich oftmals die Meinungen, ob von einer Frauenbewegung oder lediglich von Frauen in Bewegung gesprochen werden kann. Wie schätzt du das politische Engagement von Frauen ein?

Ich bin nicht der Ansicht, dass es hier nur "Frauen in Bewegung" gibt. Im Gegenteil, die venezolanische Frauenbewegung hat Geschichte geschrieben. Bereits 1936 gab es organisierte Frauen, die sich für Alphabetisierung und die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt einsetzten und ihre Rechte, wie das Wahlrecht, einforderten. Frauen waren immer in der Politik präsent, haben ihr Herz und Leben dafür gelassen wie beispielsweise in der Guerilla als Frauen für die Einführung einer Demokratie und gegen die Diktatur kämpften. Dass die Frauen allerdings in der offiziellen Geschichte oftmals außen vor gelassen werden, ist keine Neuigkeit und dagegen setzen wir uns zur Wehr. Gerade jetzt, in dem historischen Prozess, den wir gerade leben, darf sich das nicht wiederholen. Diesmal werden uns nicht die Männer die Geschichte erzählen, sondern wir Frauen werden die Geschichte machen!

Die Gesellschaft in Venezuela ist politisch sehr polarisiert. Macht sich dies auch in der Frauenbewegung bemerkbar?

Ich würde sagen, dass es heute unter den Feministinnen drei Gruppen gibt. Zum einen lassen sich jene Frauen antreffen, die der Regierung nahe stehen, zum anderen jene, die der bürgerlichen Opposition angehören. Ich persönlich zähle mich zu einer dritten Gruppe, deren Hauptanliegen es ist, sich trotz aller Schwierigkeiten vorwärts zu bewegen, und das unabhängig davon, ob wir in allem übereinstimmen. Schließlich geht es um die Verbesserung der Situation von Frauen. Um Feministin zu sein, muss frau, meiner Meinung nach, in erster Linie kritisch sein, und am Weiterkommen interessiert. Eine paritätische Demokratie ist bis jetzt leider noch in keinem Land durchgesetzt worden und so gilt es auch in Venezuela ein solche zu fordern - ein Anliegen, das die Frauenbewegung verteidigen muss und das Teil einer feministischen Revolution darstellt, für die Frauen seit über 200 Jahren kämpfen. Diese feministische Revolution nimmt es auch mit jeder fälschlicherweise als fortschrittlich geglaubten Revolution auf und weist auf ihre Fehler hin. Ein gutes Beispiel dafür ist die Französische Revolution, die von den Frauen mit revolutionärer Logik kritisiert wurde weil unter anderem das Bürgerrecht nur für Männer galt. Ähnliche Schritte wurden von Frauen aber auch bei allen anderen Revolutionen unternommen, in Russland, China, Nicaragua, Kuba … und jetzt auch hier, in Venezuela.

In Venezuela wurde am 25. November 2006 ein neues Gesetz beschlossen, das Frauen das Recht auf ein gewaltfreies Leben garantieren soll. Wie siehst du als Rechtsanwältin die Möglichkeiten seiner Umsetzung?

Der Beschluss dieses Gesetz ist erst mit harten Kämpfen erreicht worden. Als sich der Generalstaatsanwalt diesen unglaublichen Wahnsinn erlaubt hat, haben 10.000 Frauen vor dem Verfassungsgericht gestanden um dagegen zu protestieren. Dieser Einsatz hat uns auch den Weg geöffnet, für ein neues, besseres Gesetz zu kämpfen. Bei dem neuen Gesetz handelt es sich jetzt um ein "ley orgá-nica", das praktisch Verfassungscharakter hat und nicht willkürlich interpretiert werden kann. Ich sehe aber trotzdem das Problem, dass RichterInnen und AnwältInnen nach dem traditionellen positivistischen Paradigma ausgebildet sind. Sie vertreten die Auffassung, dass die/der RichterIn nicht mehr als eine Stimme des Gesetzes ist. Für die Durchsetzung des Gesetzes muss aber auch die Auslegung sehr fortschrittlich sein, gerade weil es eben um Frauen als Opfer von Gewalt geht. Das neue Gesetz verpflichtet den obersten Gerichtshof, RichterInnen nach einem neuen theoretisch-kritischem Paradigma auszubilden, um die Rechtsordnung so auslegen zu können, dass die Gerechtigkeit, die wir Frauen einfordern, gewährleistet werden kann. Auch die Universitäten haben die Pflicht, AnwältInnen in diesem Sinne auszubilden. Im Moment ist die Situation aber leider noch so, dass Frauen, die zu Opfern von Gewalt werden, praktisch komplett wehrlos sind, weil sie wenig über ihre Rechte Bescheid wissen und die Täter darum meist straffrei ausgehen. Das neue Gesetz ist folglich sehr wichtig und so werden wir uns 2007 sicher für die Verbreitung und Durchführung des Gesetzes einsetzen. Wenn es nach mir ginge, müsste es ohnhin heißen, dass Menschen, die kein Genderbewusstsein haben, auch nicht RichterIn, AbgeordneteR oder AnwältIn sein dürfen.

Wie du bereits angedeutet hast, ist die Realität stets etwas anders als die Gesetzeslage. Hat sich deiner Meinung nach seit Chávez' Amtsantritt etwas geändert an der Situation von Frauen?

Es gibt in Venezuela einen Staat und eine Rechtsordnung, die patriarchal sind und selbiges gilt auch für die gesellschaftlichen Einstellungen, Werte, Gewohnheiten, Mentalitäten und auch die Regierungspraxis. Die Verfassung stellt vielleicht eine Ausnahme dar. Sie ist in geschlechtergerechter Sprache geschrieben und hat auch einige Errungenschaften für Frauen mit sich gebracht, wie zum Beispiel den Artikel 88, der anerkennt, dass Hausfrauenarbeit zum Bruttosozialprodukt beiträgt und deswegen zu Sozialversicherung und Pension berechtigt. Trotzdem wird den Frauen hier häufig der Rücken zugewandt, wenn es darum geht, Pläne zu entwerfen. Auch wenn der Präsident davon spricht, dass der Staatshaushalt künftig eine Genderperspektive aufweisen müsste, sind die Behörden, die diesen Haushalt verwalten, nach wie vor in den alten Denkmustern verhaftet. Ein anderes Beispiel ist unsere Arbeit an Reformvorschlägen zur Situation der inhaftierten Frauen, in der wir unter anderem eigene Frauengefängnisse fordern, obwohl ich persönlich grundsätzlich gegen jede Form von Gefängnissen bin. In Maracaibo sind 85% der inhaftierten Frauen Indígenas, die meist wegen Drogenhandel verurteilt worden sind. Leider kommt es häufig vor, dass sich die Frauen selbst beschuldigen, um ihren jeweiligen Partner zu retten. Viele sind auch ohne ÜbersetzerIn verurteilt worden und sprechen nicht einmal gut Spanisch. Das ist ein Thema, das sichtbar gemacht werden muss von uns Frauen. Wir haben die soziale Verantwortung und ethische Verpflichtung dazu. Die staatlichen Ministerien werden nämlich sicher keine Angestellten vorbeischicken, um eine solche Arbeit zu machen.

Welche Möglichkeiten hat die Frauenbewegung, Einfluss zu nehmen?

Ich halte es für sehr wichtig, dass die Frauenbewegung ihre Autonomie beibehält. Wenn sie ihre Forderungen an die Regierungsagenda anhängt, geht sie das Risiko ein, ihre eigenen Positionen aufgeben zu müssen. Sie würde sich dann verpflichtet sehen, zu schweigen oder Kompromisse eingehen. Das lässt sich gut an der kubanischen Frauenbewegung sehen, wo es keine Dissidenz gibt. Eine Feministin, die keine Dissidentin ist, ist meiner Meinung nach keine Feministin! Wenn die Frauenbewegung ihre Autonomie beibehält, ist sie auch fähig, nicht nur ihre Ziele zu erreichen, sondern auch die Gesellschaft zu verändern.

Text & Foto: Bahl/Goetz

zurück

MATHILDE