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Ohne Fleiß keinen Preis?

Oder warum der Fleiß und das Können von Frauen in Kunst und Kultur so oft unsichtbar bleiben

Die staatliche Kulturförderung zielt auf die "Besten" und würdigt sie mit Preisen. Dabei wird stillschweigend davon ausgegangen, dass Chancengleichheit herrscht und die Förderung von Kulturschaffenden in einem neutralen Kontext stattfindet. In Wirklichkeit erfolgt die gesamte Förderung innerhalb eines geschlechtsdiskriminierenden gesellschaftlichen Rahmens, der sich auf die Repräsen-tanz von Frauen und Männern in der Kultur auswirkt. Diese weitgehend unsichtbare Bedeutung von Geschlecht hat auf Frauen große, nachteilige Effekte.

Eine 1996 erschienene Studie des Deutschen Kulturrates über "Frauen in der Kultur", die zwar schon über zehn Jahre alt, aber auf Grund des Schneckentempos bei Veränderungen immer noch gültig ist, ergab folgende Situation: Frauen sind im kulturellen Leben deutlich unterrepräsentiert. Diese Aussage gilt für ihre Vertretung in Beratungs- und Entscheidungsgremien ebenso wie für die Prä-sentation ihrer Werke und Arbeiten. An Frauen werden lediglich ca. 27 Prozent aller Preise der Kunstförderung vergeben. Damit verbunden ist auch die schlechtere wirtschaftliche Stellung von Frauen in künstlerischen Berufen. Symptomatisch für die ge-schlechtsspezifische Ungleichheit sind die Unterschiede im Durchschnittseinkommen der bei der Künstlersozialkasse versicherten Frauen und Männer. Danach hatten Künstler zum 1. Januar 2004 ein jährliches Durchschnittseinkommen von 12.447 Euro, Künst-lerinnen kamen dagegen nur auf 9.331 Euro.

Führungspositionen in Museen, Theatern und Orchestern stehen Frauen - mit wenigen Ausnahmen - selten offen. Männer kom-men weitaus häufiger in den Genuss direkter und indirekter Förderung. Sie sind nicht nur in entsprechenden Projekten stärker vertre-ten, sondern auch in Leitungspositionen bekannter und hoch subventionierter Kulturinstitutionen. Je höher das Renommee eines Kulturbereichs ist, desto weniger Frauen gelangen an die Spitze. Dagegen sind unter der ehrenamtlichen Geschäftsführung von kultu-rellen Verbänden vornehmlich Frauen als Geschäftsführerinnen anzutreffen.

Wenn es um offizielle Auszeichnungen und Ehrungen geht, ist der Frauenanteil ebenfalls oft erschreckend niedrig. Immerhin müssen auf den Vorschlagslisten für die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstorden inzwischen mindestens 30 Prozent Frauen verzeichnet sein. Eine solche Quotierung wäre auch im Bundesland Hessen dringend nötig. Durch die diesbezügliche Anfrage einer SPD-Landtagsabgeordneten kam ein beschämend kleiner Anteil von geehrten Frauen ans Licht: Nur 16 Prozent der Bürgerinnen in Hessen wurden mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille, elf Prozent mit dem Ehrenbrief des Landes Hessen und lediglich neun Prozent mit dem Hessischen Verdienstorden ausgezeichnet.

Die Situation in Darmstadt

Im Literaturbetrieb Darmstadts herrscht ebenfalls eine starke Männerdominanz. Der mit 40.000 Euro dotierte, in der Regel jähr-lich verliehene Georg-Büchner-Preis wurde seit dem Jahr 1945 an nur neun Frauen unter etwa fünfzig Männern vergeben. Ähnlich unausgewogen ist das Geschlechterverhältnis beim Johann-Heinrich-Merck- Preis, beim Sigmund-Freud-Preis und einigen anderen Würdigungen. Selbst der in Erinnerung an eine große deutsche Dichterin alle drei Jahre von der Stadt Darmstadt vergebene und mit 10.250 Euro dotierte Ricarda-Huch-Preis wurde seit 1978 an neun Männer und nur eine einzige Frau, nämlich Herta Müller, verlie-hen. Der Leonce-und-Lena Preis und der Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis, die alle zwei Jahre im Rahmen des Darmstädter Literari-schen März vergeben werden, weisen eine etwas bessere, aber immer noch ungleiche Würdigung von Frauen auf. Die fehlende Rep-räsentanz von Frauen setzt sich fort bei den Lesungen im städtisch finanzierten Haus der Literatur. Seit Jahren sind unter der Regie der rein männlichen Leitung unter den halbjährlich zur Lesung ausgewählten Büchern ca. 10 Werke von Männern und in der Regel höchstens zwei von Frauen.

Der gleiche Geist herrscht in Darmstadt ganz offensichtlich auch bei der Auswahl vom "Buch des Monats". Seit 1952 wird regelmäßig aus der Vielzahl der Neuerscheinungen ein Buch besonders hervorgehoben, dessen literari-sche Qualität es verdient, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Bücher von Frauen gehören auffallend selten zu den ausgewählten Werken. Seit 1952 bis 2004 wurden die Bücher von 508 Schriftstellern, aber nur von 99 Schriftstellerinnen ausge-sucht. Niemand wird jedoch ernstlich behaupten können, dass Autorinnen weniger oder schlechtere Bücher schreiben, als ihre männ-lichen Kollegen. Es ist nicht einzusehen, warum für öffentliche Lesungen nicht etwa gleich viele Bücher von Frauen und Männern herangezogen werden können. Frauen haben eine andere Sicht auf die Welt. Eine stärkere Berücksichtigung der Literatur von Frauen würde daher das Literaturangebot in Darmstadt bereichern und auch den Werken von Autorinnen die ihnen gebührende Aufmerk-samkeit zukommen lassen.

Eine Ausnahme stellt im Bereich der Musik bis jetzt der in Darmstadt erst vor zwei Jahren ins Leben gerufene Musikpreis dar, er wurde - ganz gerecht - im ersten Jahr an einen Mann, im zweiten an eine Frau vergeben. Auf die Fortsetzung in den folgenden Jah-ren dürfen wir gespannt sein. Die Jury zur Verleihung dieses Musikpreises ist ausschließlich männlich und auch bei den anderen Würdigungen und Vergaben von Preisen in Darmstadt haben nur ganz wenige Frauen durch ihre Präsenz in einer Jury das Recht auf Mitbestimmung. Die geschlechterparitätische Besetzung von Juries bei der Vergabe von Auszeichnungen oder Preisen sollte in einer modernen Großstadt wie Darmstadt eine Selbstverständlichkeit sein.

Es wird immer wieder behauptet, die Quotierung nach Geschlechtern dürfe kein Kriterium für eine neutrale Beurteilung in Kunst und Kultur sein, denn es käme nur auf die Qualität an. Da die Strukturen bei der Bewertung in Darmstadt aber alles andere als neutral sind, scheint eine Quote unumgänglich zu sein!

Barbara Obermüller

Literatur:

  • Deutscher Kulturrat. Frauen in der Kultur. Bonn 1996.

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