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Selkis Riefling

Foto: privat

Selkis Riefling

»Ich will ein sinnliches Hörerlebnis schaffen«

Die erste Komposition entstand im Zuge einer Hausaufgabe meiner Klavierlehrerin, die mich gebeten hatte, einen kleinen Walzer zu schreiben. Ich war damals zwölf Jahre alt und hatte gerade erst mit dem Klavierunterricht begonnen, Geige spielte ich schon seit dem siebten Lebensjahr", beschreibt die 1983 geborene Selkis Riefling ihre kompositorischen Anfänge. Sie erinnert sich, dass es ihr viel Mühe gemacht habe, das "Stückchen" auszudenken - von Freude an der Arbeit ist zunächst nicht die Rede.

Die Lehrerin zeigte sich jedoch beeindruckt, so dass sie Selkis zu weiteren Kompositionen ermutigte. Wöchentlich hatte die Schülerin nun Musiken abzuliefern, die jeweils die Charakteristika eines Tieres zum Thema hatten. "Ich habe diese Stücke damals auch mit kleinen Zeichnungen illustriert", erzählt Riefling. Bald habe sie angefangen, ihren Einfällen am heimischen Klavier völlig ungezwungen freien Lauf zu lassen. "Dabei sind einige romantisch bis spätromantisch anmutende Gebilde entstanden, die ich zum Teil öffentlich zu Gehör brachte", schmunzelt sie.

Ersten Geigenunterricht nahm Riefling im Alter von sieben Jahren, der Klavierunterricht kam mit zwölf Jahren hinzu. Nur drei Jahre später nahm die begabte Musikerin Kompositionsunterricht bei Cord Meijering an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt und wurde mit 17 Jahren Preisträgerin des Bundeswettbewerbs "Schüler komponieren". "Über vier Jahre hinweg bekam ich dort eine Grundlage vermittelt, die für meine spätere Arbeit prägend war. Meijering lehrte mich, meinen Einfallsreichtum weiterzuentwickeln und meine Klangphantasien sinnvoll zu verarbeiten", sagt sie.

Selkis Riefling nahm im Zuge dessen Abschied vom Komponieren am Klavier, das ihren Klangvorstellungen eher im Wege zu stehen schien und schulte im Gegenzug ihr "inneres Ohr", das Harmonien und Klangfarben losgelöst vom Instrument voraushören lässt. "Meijering lehrte mich, die Musik nicht als isoliertes Phänomen der Kunst zu betrachten und eröffnete mir größere Zusammenhänge durch Gemäldebetrachtung und Literatur", erläutert sie den Wandel ihres Kompositionsverständnisses.

Nach dem Abitur ging die damals neunzehnjährige Riefling als Kompositionsstudentin nach Saarbrücken und studierte bei Theo Brandmüller. Hier wurde ihr eine solide theoretische Grundlage des Komponierens vermittelt. Instrumentation, Kontrapunkt, Harmonielehre, und Analyse verdichteten ihr Wissen.

Längst steht die Geige als Instrument im Zentrum ihrer Arbeit. Seit 2004 absolviert Riefling ein Geigenstudium in Hamburg bei Prof. Christoph Schickedanz und nimmt an Meisterkursen der Geigen- und Kammermusik namhafter Professoren sowie des Tokyo String Quartetts teil. "Ich komponiere nicht mehr unter ständiger Anleitung eines festen Lehrers, sondern versuche, das bisher Erlernte auszubauen und mir von verschiedenen Musikerpersönlichkeiten kompositorische Anregungen zu holen", beschreibt sie ihre musikalische Weiterentwicklung. Jede Aufführung der eigenen Musik empfinde sie als Lehrstunde, bei der sie durch den Höreindruck neue Schlüsse für weiteres Arbeiten ziehe: "In gewisser Weise sind alle Kompositionen, die man hört und analysiert, die besten Lehrmeister, wenn man in der Lage ist, sie zu verstehen." Wenn ihr eine Musik besonders gefällt, beschäftigt sie sich intensiv damit, indem sie genau hinhört oder sich die Partitur besorgt. "Durch die Beschäftigung mit einem Stück erweitere ich schließlich meinen eigenen musikalischen Wortschatz", erläutert sie diesen Teil des Lernens.

Durch die vielen Kontakte, die sich beim Studium in Hamburg ergeben, finden sich interessierte Musiker, die Rieflings Musik spielen oder Kompositionsaufträge erteilen. Diese Aufträge seien allerdings nicht derart bezahlt, dass sie davon im Moment als freischaffende Komponistin leben könnte, sagt sie. "Ich freue mich trotzdem, wenn meine Musik von guten Musikern interpretiert wird." Finanzielle Unterstützung der Eltern ist hilfreich und willkommen. Wenn die Komponistin an einem Stück arbeitet, hat sie immer ein Skizzenbuch dabei, in dem sie melodische Einfälle, den musikalischen Gestus bestimmter Passagen und Ideen zur Gesamtanlage des Stücks oder zur Instrumentation festhält. "Da kann es durchaus geschehen, dass ich nachts aufwache, und die Idee, die sich gerade in mein Bewusstsein gerettet hat, festhalten muss, um sie nicht zu verlieren."

Karola Obermüller hat Selkis Riefling in der Kompositionsklasse bei Meijering kennen gelernt. Gebeten, Wirken und Wesen der jungen Kollegin zu umschreiben, sagt sie: "Die Kompositionen, die ich von ihr gehört habe, waren fein ausgehört und klangschön. Selkis ist Geigerin und ihre Erscheinung ist sehr zart und fein, auch außergewöhnlich schön - manchmal fast durchscheinend. Das beschreibt zugleich auch ihre Musik ganz gut. Ich bin der genaue Gegensatz, eher robust und kompakt, und in meiner Musik äußere ich mich fetzig und mit Druck. Selkis komponiert schwebender. Unsere Instrumente spiegeln das auch gut wieder: sie hat die Geige und ich das Cello."

Es sei ihr immer wichtig, dass ihre Musik soviel wie möglich gespielt wird, wobei sie sich besonders freue, wenn die Aufführung qualitativ glänzend ausfalle, verleugnet Riefling ihren Ehrgeiz nicht. "Ich will mit meinen Kompositionen ein sinnliches Hörerlebnis schaffen. Die Zuhörer sollen angehalten werden, rhythmische, klangfarbliche oder dynamische Nuancierungen wahrzunehmen und sich in eine wechselhafte Gefühlswelt zu begeben", beschreibt sie ihr musikalisches Anliegen. "Mein Ziel wäre erreicht, wenn ein Zuhörer durch die Musik sensibilisiert und sein Sinn für feine Unterschiede auch außerhalb des Konzertraumes geschärft würde", erläutert sie den hohen Anspruch.

Selkis Riefling ist eine selbstbewusste junge Frau, die auch auf dem Gebiet des Künstlertums von Chancengleichheit überzeugt ist, allerdings sei herausragende Leistung unabdingbar: "Ich habe als Komponistin noch nie eine Benachteiligung wahrgenommen. Sicherlich haben es Frauen dieses Fachs in der Vergangenheit schwer gehabt, Anerkennung ihrer Leistungen zu bekommen, doch gibt es heutzutage eine ganze Reihe erfolgreicher Komponistinnen, die belegt, dass Chancengleichheit für alle besteht, sofern sie Potenzial besitzen."

Charlotte Martin

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