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...dass keine Weibsperson Musik lernen solle...

Die verschwiegene weibliche Musikgeschichte

Frauen waren jahrhundertelang aus der höheren musikalischen Bildung ausgeschlossen, sie wurden auf den dilettantischen Status zurechtgestutzt und galten als künstlerisch unkreativ. Unzählige begabte Mädchen und Frauen konnten ihr Talent nicht entfalten.

Das war nicht immer so.

Im griechischen Musikleben zur Zeit Homers kann aus zahlreichen Abbildungen auf eine aktive Teilnahme von Frauen ge-schlossen werden, die den schöpferischen Anteil an der Musik mit einschließt. Das Tonsystem der griechischen Musik wird der Philosophin, Dichterin und Musikerin Sappho zugeschrieben. Auch im alten Rom spielten die Frauen und Mädchen in der Musik eine wichtige Rolle. In der Erziehung der reichen römischen Familien wurde auf guten Musikunterricht der Mädchen Wert gelegt. Frauen sangen, spielten die Kithara (altgriechisches Saiteninstrument) und komponierten. Die Verehrung der Muttergöttin und die jahreszeitlichen kultischen Feste mit Musik und Tanz waren um 600 v. Chr. in Griechenland und auch im alten Rom noch weit verbreitet und boten Frauen einen breiten musikalisch-schöpferischen Raum. Auch die Klagelieder bei Bestattungsritualen wurden von Frauen komponiert und vorgetragen.

Die christlichen Kirchenführer verdammten die "unzüchtige" heidnische Musik. Das Volk glaubte jedoch an die magischen Kräfte der Priesterinnen und Klageweiber. Die Kirche hatte bis ins Mittelalter gegen die alte Sitte des Grabgesangs von Frauen zu kämpfen.

Waren in der Frühzeit des Christentums Mädchen und Frauen noch an der sakralen Musik beteiligt, nahmen die Gegner des kirchlichen Frauengesangs ab dem vierten Jahrhundert immer mehr überhand. Aus der biblischen Schöpfungsgeschichte wurde die Minderwertigkeit und sündige Natur der Frau abgeleitet. Man empfand die von Frauen ausgeführte Musik als sexuell sti-mulierend und versuchte, das Musizieren von Frauen zu unterbinden. Frauen wurde das Singen in der Kirche - auch in der Synagoge - verboten. In den Nonnenklöstern wurde die Musik zum Lobe Gottes erlaubt, wenn auch mit einschränkenden Vorschriften des Klerus. Reiche und mächtige Frauenklöster setzten sich jedoch über alle Einschränkungen hinweg und wur-den zu wahren Musik- und Kulturzentren. Die bedeutendste Komponistin und Musikerin dieser Zeit war Hildegard von Bingen (1098 - 1179). Kompositionen von Nonnen und Beginen sind bis heute erhalten.

In der Zeit der Renaissance galt das Idealbild der sittsam musizierenden Dame. Die Mädchen der gebildeten Schichten erhiel-ten Musikunterricht, wenn auch die meisten von ihnen nach der Heirat das Musizieren aufgeben mussten. Für die Mädchen der unteren Schichten wurden Jungfrauenschulen eingerichtet. Zum musikalischen Unterrichtspensum gehörte lediglich schlichtes, einstimmiges Singen, während Knaben zur hohen Gesangskunst hingeführt wurden. Martin Luther legte den Grundstein für eine geschlechtsspezifische Musikerziehung zum Nachteil der Mädchen, die bis ins 20. Jahrhundert spürbar blieb. Lediglich unter dem fahrenden Volk waren Frauen als Tänzerinnen, Leier- und Harfenmädchen tätig.

Als Frauen im Laufe des 16. Jahrhunderts aus den Zünften hinausgedrängt worden waren, verloren sie den aktiven Zugang zu ihren Liedern und Tänzen. Ihnen blieb nur der häusliche Bereich übrig. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts verfügte Papst Clemens XI, dass "keine Weibsperson bei hoher Strafe Musik lernen solle". Er verbot den Frauen das Singen sogar im Haus, weil es der weiblichen Bescheidenheit schade. Die hohen Stimmen wurden bei öffentlichen Veranstaltungen von Knaben, Falsettisten (Tenören mit hoher Kopfstimme) oder Kastraten gesungen, obwohl Kastration nicht erlaubt war. An größeren Kirchen wurden Knabensingschulen eingerichtet. Doch mehr noch als in der Kirchenmusik begann mit dem Aufschwung der Oper die Ausgrenzung der Frauenstimmen. Einzig das französische Publikum gab der weiblichen Stimme den Vorzug, Sänge-rinnen waren dort - im Gegensatz zu Deutschland und England - als Solistinnen und Chorsängerinnen beschäftigt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Natürlichkeit wieder mehr gefragt und Kastraten fanden bis zum Ende des 19. Jahrhun-derts nur noch Beschäftigung im päpstlichen Musikbetrieb.

Im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Schaffensprozess des Komponisten zunehmend in die Nähe des männlich-göttlichen Genies gerückt, wodurch Frauen auf der schöpferischen Ebene diskriminiert wurden. Frauen konnten nach Meinung von zeitgenössischen Wissenschaftlern niemals genial sein, weil "die Frau kein Spiegel des Universums sei wie der Mann". Dieser Geniekult, in dem Frauen nicht vorkamen, diente auch dem späteren Faschismus.

In allen Epochen gab es eine "verschwiegene weibliche Musikgeschichte" von musikalisch- schöpferischen Frauen, wie das Buch "Komponistinnen aus 800 Jahren" von Antje Olivier und Sevgi Braun sehr eindrucksvoll beweist. Viele von ihnen waren zu ihren Lebzeiten sogar berühmt, aber nur ganz wenige Namen sind bis heute einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Musik-wissenschaftlerinnen der ersten und zweiten Frauenbewegung haben sich der Rolle der Frau in der Musik angenommen. Es wurden Komponistinnenfestivals oder Tagungen organisiert und es entstanden Archive und Notenverlage speziell für die Mu-sik von Frauen.

Den Frauen stehen inzwischen auch in der Musik alle Ausbildungsstätten offen. Der Prozentsatz an Studentinnen ist hoch. Auch in den Fächern Komposition und Dirigieren, sowie in den Klassen für Blechblasinstrumente und Schlagzeug nimmt der Frauenanteil zu.

Deutschsprachige musikwissenschaftliche Arbeiten über das Thema "Frau und Musik" sind noch eher eine Rarität (im Gegen-satz zu unzähligen über Beethoven und Wagner!), das ist in den USA völlig anders. Hier sind zahlreiche Dissertationen über Komponistinnen geschrieben worden. Aber Amerika ist auch sehr viel weniger ein "Ghetto der großen Männer".

Es gibt inzwischen einige Dirigentinnen, Musikprofessorinnen, Intendantinnen, aber die Musikszene wird nach wie vor von Männern dominiert. Immer noch gibt es in Deutschland Opernhäuser, die noch nie das Werk einer Frau aufgeführt haben. Die Ausgrenzung der historischen Komponistinnen aus dem Konzertrepertoire ist eine traurige Tatsache. Außer Clara Schumann und Fanny Mendelsohn sind auch kaum Komponistinnen bekannt. Wo bleiben die Werke von Barbara Strozzi, Elisabeth Jacquet de La Guerre, Marianne Martinez, Ethel Smyth, Nadia und Lili Boulanger und all den anderen?

In der Neuen Musik sind die Fortschritte jedoch erkennbar. Wenn auch in Darmstadt bei den "Tagen der Neuen Musik" im Februar und März 2007 in der Akademie für Tonkunst Komponistinnen wieder einmal hoffnungslos unterrepräsentiert waren, sind sie sonst meist gut vertreten. Ihre Werke werden in Musikzeitschriften besprochen und sie erobern sich die urmännliche Bastion der Oper. "Die einzig vermögende Kraft der Musik besteht vor allen Dingen aus Komponistinnen" schrieb der ameri-kanische Musikkritiker und Komponist Kyle Gann. Daran müssen die musikschaffenden Frauen vor allem selber glauben, nach Jahrhunderten der Diskriminierung und des Verlustes an von Frauen komponierter Musik.

Barbara Obermüller

Literatur:

  • Eva Rieger: Frau, Musik und Männerherrschaft.
  • Eva Weissweiler: Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart
  • Danielle Rosser: Die großen Komponistinnen

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