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Lecker viele Pfunde

 

»Was einen Körper verführerisch macht (...) ist (...) untrennbar eins mit sich selbst zu sein, auf den Betrachter nicht das geringste zu geben. Bei sich selbst zu sein, als gäbe es sonst nichts auf der Welt.« Katja Berger-Andreakis

 

Ob EMME wirklich den Karren aus dem Dreck holen kann? Emme ist eine Moppel-Barbie, die einem bekannten US-Übergrößen-Mannequin nachempfunden ist. Nicht wirklich drall, aber auch nicht rappeldürr und zweigeteilt wie die anderen marktüblichen Puppen aus dieser Serie. Damit soll der heutigen Mädchengeneration in den USA zumindest theoretisch klar gemacht werden, dass es auch andere Schönheitsideale geben kann als Kleidergröße 0, die sich ihre Mütter so gerne erhungern möchten. Emme als ernsthafte Konkurrenz für Ur-Barbie: das glaubt nicht mal die eigene Herstellerfirma der pfundigen Puppe.

Üppig und schön, das sind Eigenschaften, die sich für Frauen zu Beginn des 21. Jahrhunderts auszuschließen scheinen. Üppig bedeutet fett und fett ist gleich hässlich, schlampig und - da gesundheitsgefährdend - auch gleich asozial. Diese Botschaft ist so logisch für uns, wie die, dass die Erde eine Scheibe ist für den Vor-Renaissance-Menschen; dementsprechend wird darauf fast überall mehr oder minder subtil Bezug genommen. Die Gegengleichung lautet wie folgt: Nur eine fettfreie, sprich absolut, un«natür«liche Frau ist eine attraktive Frau. (Das hatten wir doch schon mal bei der der Schlampenurmutter Eva und der ewig jungfräulichen Gottesmutter Maria, oder?)

Schönheits-OP beleben die Konjunktur und sind en vogue, sich beim krank magern erwischen zu lassen ist verboten. Das Idealbild von heute ist die geheimnisvolle, sinnliche und modebewusste Leistungsträgerin. Stark genug für die Survival-Tour - zu schwach, um sich gegen Übergriffe zu wehren. Narzisstisch genug, um als Schmuckstück an seiner Seite zu funkeln, zu erschöpft um männliche Selbstbespiegelungen zu stoppen. Sexuell allzeit bereit, aber zu ängstlich um ihm klare Entscheidungen zu Vaterschaft und Verantwortung abzuringen.

Wurde in den kopflastigen 80ern noch die These diskutiert, dass Männer, die kurvige Frauen ablehnen und sich zu möglichst androgyner Weiblichkeit hingezogen fühlen, latent homosexuelle Züge aufweisen, ödipal gestört sind und das Weibliche per se fürchten, so hat sich diese Debatte überholt, indem dieses Schönheitsideal zum Standard erhoben wurde.

Üppig ist das wilde, ungezähmte Weib, das sich schon qua Masse weder übersehen noch beiseite schieben lässt. Üppig ist auch häufig die schamlose Frau, die durch ihre Fettpolster auf gesellschaftliche Verwundungen hinweist, vor denen sie sich in Form von Masse zu schützen versucht. Das muss kein Widerspruch sein, sondern ist gelebte Realität vieler Big Beauties, derer die sich nicht spalten sondern ihre Würde bewahren wollen. Gerade diesen Frauen wird aber ihre mangelnde Domestizierung nicht selten als Psychoknacks ausgelegt.

Niemand scheint sich dagegen dafür zu interessieren, wer ein lebhaftes weil finanzielles Interesse an der den Verteufelungen der überquellenden Weiblichkeit hat. Es sind Ärzte, Apotheker, die Mode- und Textilindustrie, die Medien, die Nahrungsmittelhersteller, die Profit machen, wenn 52 Prozent der Menschheit glauben, ihr Körper sei grundsätzlich nicht so liebenswert, wie er von der Natur erschaffen wurde. Uns wissenschaftshörigen ZeitgenossInnen sagen zahlreiche Studien kassandrahaft die Apokalypse im Falle von Fettleibigkeit voraus. Nur die ganz Neugierigen scheint zu interessieren, dass die Forschenden ihre Ergebnisse regelmäßig nach dem »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing«-Prinzip ausrichten.

Doch nicht nur in einem kleinen Dorf in Gallien, auch gegen die weltweite Verschwörung der Fettpolster-HasserInnen manifestiert sich der Widerstand. Interessenverbände haben sich gegründet, von Dicken und denen, die sie mögen. Lauthals, aber leider ohne Lobby, weisen sie auf die Diskriminierungen der Voluminösen hin. In amerikanischen Szenebars vergnügen sich Männer, die eine Auszeit von ihren Vorzeigegattinnen brauchen, mit molligen Schönheiten, die ihnen nicht selten als Garant für weiche wollüstige Erotik erscheinen. Es soll auch hierzulande manch sehnsüchtiger Kurvenliebhaber in den »Sie sucht ihn - Anzeigen« ein Kontrastprogramm zur überschlanken Hauptfrau suchen, diese Vorliebe aber zugleich wie einen Makel verborgen halten. Dick sein, darf frau in Würde bei den »Anderen«. Bei denen, die nicht für voll genommen werden, weil sie aus fremden Gesellschaften kommen: Schwarzafrika, Südamerika, der arabischen oder der schwarzen US-amerikanischen Gesellschaft. Richtig ist, dass in amerikanischen Untersuchungen über weibliches Selbstverständnis, die schwarzen und Hispanofrauen die Idealfigur auf die hinteren Ränge verweisen. Diesen Frauen sind Werte wichtiger, die sie selbst und ihr Umfeld stärken und definieren - Schönheit, mehr als in Kontakt mit sich selbst sein. Auftraggeber für diese Studie sind unbekannt. Hierzulande versucht ein sehr populärer Kosmetikkonzern Mütter und Töchter zum Diskurs über Schönheitsvorstellungen und Körperlichkeit anzuregen. Auf Kosten der Kundinnen, die sollen nämlich zusätzlich zum Produktkauf noch die Kosten über Spendengelder für dieses Projekt aufbringen.

Ganz widerständig sind auch die frauenliebenden Frauen, die sich ihre eigenen Bilder von dem oder der entwerfen, die sie für attraktiv halten. Zwar versucht US-Amerika gerade in Form von Rohkost knabbernden Hungerhaken in Szene-Lesbonovelas namens »The L-Word« auch die Homofrauen wieder auf Linie zu bringen, doch im realen Leben werden hierzulande pfundige Musikerinnen und stramme Comedians umschwärmt. Die grauhaarige charmante Wuchtbrumme hat genauso gute Chancen in punkto Flirtfaktor wie die geheimnisvolle androgyne Muskelfrau. Selbstredend ist das eine Provokation die zu begehren und zu verehren, die sich dem gängigen Idealbild verweigern. Zugleich ist es eine Herausforderung für die moderne Frau, ob homo oder hetero: Werde, die du bist! Scher dich nicht um das Auge des Betrachters oder der Betrachterin, sondern vertrau deinem eigenen Bild von Schönheit! Vielleicht macht es Angst so bei sich zu sein, als gäbe es sonst nichts auf der Welt. Mehr Angst sich selbst zu wollen als von anderen gewollt zu werden. Es ist nicht leicht schwer zu sein, aber die Leichten haben es auch nicht leicht.

Andrea Krüger

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