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Foto: Karin-Struck-Stiftung
Zum Gedenken an Karin habe ich einige letzte Passagen aus unserem über 30- jährigen Briefwechsel ausgewählt, angefangen 2002, in dem Jahr als ihre Diagnose Krebs festgestellt wurde und danach die Briefe kurz vor ihrem Tod Ende 2005/Anfang 2006. In diesen Briefen kommt zum Ausdruck, wie sehr sie um ihr Schreiben gerungen hat und wie sie den Kampf gegen ihre Krankheit gewinnen wollte. Hier zeigt sie sich als Schriftstellerin, die immer weiter gearbeitet hat bis zuletzt, auch wenn sie in der Öffentlichkeit nicht mehr präsent war.
Gut, dass du nachgehakt hast zum Thema Ingeborg Bachmann. Ich will dieses Projekt sehr gern mit dir machen und finde alle deine Ideen aus dem heutigen Fax gut. Fast schwebt mir eine dichterische Dimension vor für die Texte. Ich habe wohl kaum noch Fragmente aus der Arbeit am »Duell mit dem Spiegelbild«, aber das macht nichts. Ich hätte große Lust, ganz Neues zu schreiben, das ja anknüpfen kann an meinen Roman, der ein offenes Ende hatte.
Meine neue Lit.agentin will Ende Okt. einige Kapitel von »Vatertochter« lesen .Ab Sept. will ich wieder an das Manuskript gehen und Kapitel für Kapitel nochmals umarbeiten und korrigieren aus meiner heutigen Sicht. Evtl. habe ich die ersten Tage des Sept. nochmals frei vom Brotjob, doch der Rest ist dann wieder Schleppen von Tag zu Tag. Diese Arbeit macht mich kaputt, und ich musste auch einsehen, dass es keinen Sinn hat, eine andere Stelle zu suchen; die Ansprüche sind da genauso und der Verdienst bei 20 Std. pro Woche meist niedriger. Es gibt also nur die Alternative bzw. das Ziel, eines Tages wieder ganz frei arbeiten zu können. Die geistige Arbeit und die Knochenarbeit im Haushalt sind eben wie Hund und Katze. Ich bin immer halbtot. Sollte ich das noch jahrelang weitermachen müssen, kannst du mich eines Tages in der Psychiatrie besuchen. Aber soweit will ich es nicht kommen lassen.
Ja, meinen Essay habe ich letzten Donnerstag abgeschlossen. Seitdem bin ich krankgeschrieben, habe Arm- und Rückenschmerzen und Panikattacken. Ich habe quasi meine Kündigung für Dezember schon in Aussicht gestellt. Ich mag einfach nicht mehr. Wie es weitergeht: ich denke nach. Ich hatte eine Besprechung mit einer Sachbuchagentin und denke an meinem Sachbuchprojekt herum. Ich versuche mir auch Klarheit zu verschaffen und bin entschlossen, das Hungerleidendasein und die Publikationssperre zu beenden und zu durchbrechen.
Seit einer Stunde bin ich wieder ein freier Mensch. Ich bin heute morgen zum Arzt gegangen und bin nochmal 2 Wochen krankgeschrieben worden. Danach bin ich zur Arbeitgeberin gegangen und habe ihr gesagt, dass ich nicht mehr kann. Mir war klar: keine Stunde länger. Anders als erwartet, war sie nicht so schockiert, wie ich gefürchtet hatte. Sie hatte sich selbst schon Gedanken gemacht, dass sie den Eindruck auch gehabt hat, ich müsste wieder ganz zu meiner Schriftstellerei zurück.
Ich bin froh, nun über die Krankschreibung erstmal Zeit gewonnen zu haben. Das Schreiben kann mir niemand verbieten. Auch wenn ich wegen meiner Rücken- und Armbeschwerden gedrosselt bin -: es wird damit ja wohl hoffentlich wieder besser werden. Ich werde eine solche Knochenarbeit im Haushalt nie wieder machen, Ausbildung hin oder her.
Ich bin noch ganz benommen und muss meinen eigenen Schritt erstmal verdauen. Ich kann es auch noch gar nicht fassen, und es überwiegt das Freiheitsgefühl nach diesem so langen Gefesseltsein. Ich werde nun sorgfältig sortieren und die Arbeit am Schreibtisch nach und nach intensivieren.
Anfang dieser Woche hatte ich dir schreiben wollen, nachdem die ersten vier Wochen das Gegensteuern gegen Erschöpfung und Depression mittels all der hier verordneten Anwendungen, Behandlungen, Visiten, Gespräche allen Raum eingenommen hatte.
Doch erst heute finde ich die Ruhe zu diesem Brief. Es ging mir heute vor einer Woche schon leicht besser, doch am 9.12. bekam ich bei einer gynäkologischen Untersuchung dann die Krebsdiagnose. Und die Tage danach waren vom Schock und einem extremen Wechselbad der Gefühle bestimmt, und von zig Arztgesprächen. Da ich mich nicht operieren lassen will, sondern einen anderen Weg gehen will, ist gerade jetzt am Anfang jeder Schritt zur Klärung so mühsam und anstrengend. Selbst hier in dem Krankenhaus für Ganzheitsmedizin. Ich habe aber Glück im Unglück, hierzusein und die Diagnose hier erfahren zu haben. In einem »normalen« Krankenhaus wäre ich zusammengebrochen, und ich wäre verloren.
Die letzten Wochen hatte ich das Gefühl, der Tumor wird immer stärker als ich. Wenn es so ist, hat man fast keine Chance mehr.
Durch die extreme Blutarmut bin ich immer todmüde, so ein Brief ist dann schon eine besondere Leistung, und ich muß mich danach ins Bett legen (ich schreibe im Liegen). Das ist dann natürlich fast wie Folter, in den Nächten trotz abgrundtiefer Müdigkeit wegen der Krämpfe nicht schlafen zu können.
Danke für die mitgeschickten Fotos. Im ersten Augenblick dachte ich, die grauhaarige Frau ist deine kranke Mutter und war dann sehr erschrocken, dass das ich bin ...
Gegen den Krebs versuche ich jetzt mit meinen Plänen anzugehen.
Hier würde ich jetzt gern mein Leben völlig verändern. Ohne Blutransfusion und bei den schlimmen Schmerzen geht gar nichts, dann wieder schmiede ich Pläne. Ich will z.B. nach Berlin gehen, versuche über die Kirche ein leerstehendes Pfarrhaus mit Garten zu mieten. Dort könnte ich gesund werden.
Was das literarische Arbeiten angeht, so hatte ich im Schwarzwald zuletzt stundenweise an der Kürzung von »Ich sehe mein Kind im Traum« gearbeitet (für eine angefragte polnische Übersetzung). Hier Zuhause habe ich dann nach dem Rückfall nicht einmal mehr Tagebuch schreiben können. Auch scheint das Tagebuch langsam zuende zu gehen, ich weiß noch nicht sicher, was das bedeutet. Im Oktober schreibe ich dein Portrait dann.
Unvorhergesehenes kann immer passieren, aber ich hoffe darauf, dass meine Pläne mich noch eine Weile am Leben halten. Vielleicht klappt es mit dem Pfarrhaus, den Sonnenhut für den Garten habe ich schon!
In den letzten Wochen habe ich nicht schreiben können. Ich habe jetzt Pflegestufe II bewilligt bekommen, habe Wasser in den Beinen, kann kaum noch gehen, war wochenlang nicht draußen, bekomme demnächst einen Rollstuhl. Ich kann mich dennoch nicht abfinden, dass es so bleibt, suche weiter nach neuen Therapien, die eine Wendung bringen. Z.Zt.. ist es aber so, wie es ist.
Entschuldige bitte mein letztes Faxschreiben, ich habe mich verrannt und ich weiß ja, dass du deinen Satz nicht so meinst. Zur Entschuldigung kann ich nur sagen, dass es mir abrundtief schlecht geht. Von Kathrin Schmidt habe ich noch nichts gehört, bitte, ruf sie doch an, ob mit dem Portrait alles in Ordnung ist. Vielleicht wäre es gut, wenn ich es doch gegenlesen könnte. Gib ihr meine Faxnummer. Wenn sie ein Foto von mir braucht, bitte ein aktuelles. Ich will auf keinem Fall das irgend ein Altes unrealistisches veröffentlicht wird. Und bitte schreib mir bald wie du das Portrait findest.
Karin ist am 6. Februar 2006 gestorben. Am 10. Februar haben wir sie in München auf dem Waldfriedhof beerdigt. Es war ein starker Schneesturm.
Annegret Soltau