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MATHILDE

»Jedes Lebensalter hat seinen Reiz und ist etwas Besonderes. In jedem Alter gibt es Herausforderungen und positive Aspekte.« (M.S.)

Sterben als letztes Abenteuer

Margret S. erfüllt kaum eines der gängigen Klischees für eine Frau im achten Lebensjahrzehnt. Sie sitzt nicht handarbeitend im Lehnstuhl, obwohl sie ihre Pullover immer noch selber strickt, sie tanzt noch auf vielen Hochzeiten: als Mitorganisatorin einer Hausgemeinschaft ist sie zuständig für die Planung und Aufrechterhaltung verschiedener Belange des nachbarschaftlichen Miteinanders. Ihr liebstes Spielzeug ist der Computer, auf dem sie neben ausgiebiger Fotobearbeitung Websites erstellt und betreut. Sie reist gerne und ihr großes Hobby ist die Fotografie.
Sie ist meine Freundin und ich sprach mit ihr über ein schwieriges Thema: Altwerden und Sterben.

Altwerden und Sterben ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, wenn es nicht gerade um die wirtschaftliche Diskussion der Versorgung alter Menschen geht. Wie ist das für dich?

Ich denke schon sehr lange darüber nach – ein erster Auslöser war der Tod meiner Mutter. Damals war ich erst 41. Ich mag diese Tabuisierung nicht. Aber ich denke, sie geschieht, weil die Ängste groß sind: Angst vor Verlust und das Bewusstwerden von Endlichkeit. Ich selbst schaue den Dingen trotz Angst lieber in die Augen. Das ist aber etwas, das sich durch mein Leben zieht. Ich wollte und will mir nicht selber etwas vormachen.

Das heißt, du schaust genau hin. Wann hast du dein Altsein zum ersten Mal wahrgenommen?

Diese runden Geburtstage sind immer so ein Meilenstein: Plötzlich bist du in einer neuen Kategorie. Der 50. Geburtstag war jedoch der einzige, mit dem ich Probleme hatte. Mit 30 fühlte ich mich endlich erwachsen, 40 war völlig in Ordnung, ab 60 hatte ich kein Problem mehr.

Warum die 50?

Es hat was mit »alt« fühlen zu tun, »zum alten Eisen« zu gehören, auch wenn meine Kopf mir etwas anderes sagte. Es fehlte mir noch ein Schritt, mich mit dem Gefühl zu arrangieren. Mit 52 war ich dann so weit, ab diesem Zeitpunkt habe ich meine Haare nicht mehr gefärbt. Allerdings war ich noch lange stolz darauf, dass die Leute mich jünger geschätzt haben. Das ist mir heute völlig egal. Ich finde es gut, dass ich jetzt einfach den Status quo akzeptieren kann. Und nicht nur das: diese Akzeptanz gibt mir Freiheit.

Aber du bist ja auch noch fit!

Ich glaube, es kommt nicht so sehr darauf an, wie fit frau mit 70, 80, 90 Jahren ist, sondern wie sehr sie sich selber treu ist. Dies zu lernen fängt in jungen Jahren an. Manche Kinder haben es leichter, sie werden gefragt und gefördert und können so ein Gespür für sich selber entwickeln. Andere, zu denen ich gehöre, müssen in späten Jahren mühsam gegen ihre antrainierten Defizite kämpfen. Je älter ich werde, um so mehr genieße ich, dass mir niemand mehr reinreden kann. Ich entscheide, ob ich einem Rat zuhören will, ob ich mich an vorgegebene Muster halten, traditionelle Gepflogenheiten mitmachen will.
Es gibt junge Leute, die so tun, als seien alte Leute gehirnamputiert. Das ärgert mich dann sehr. Doch wenn ich etwas nicht tun will, und mir dann so etwas wie »Narrenfreiheit« eingeräumt wird, dann nutze ich das schamlos aus und denke bei mir: »Wenn ihr wüsstet!«

Freiheit ist ein wichtiges Thema für dich. Gilt das auch für das Sterben?

Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich möchte es bewusst erleben. Es ist das letzte Abenteuer und Mysterium, das mir bevorsteht. Mein dringenster Wunsch ist, einen klaren Kopf zu behalten. Vor Schmerzen habe ich nicht so viel Angst.
Doch noch bin ich nicht so weit. Ich habe noch ein paar Ideen, was ich vorher noch tun möchte: Für meine Kinder unsere Familiengeschichte aufschreiben, ein paar wenige Reisen machen und diese dokumentieren und präsentieren, und – aufräumen.

Aufräumen?

Aufräumen klingt banal. Das hat aber eine hohe Priorität für mich. Das hat so etwas, wie sich selber in Ordnung bringen, Plunder entsorgen, sich auf Wichtiges beschränken, Klarheit und Überblick zu schaffen, loslassen, etwas abzuschließen.

Das klingt so, als wolltest du dein Leben eigenständig bis zum Schluss erledigen?

Erledigen ist falsch: ich möchte bis zum Schluss über mich und mein Leben selber bestimmen, ja, und es auch abschließen - nicht: abbrechen.

Für dich gehört auch der Tod zum Leben und du möchtest Sterben bewusst erleben. Wie siehst du dann die Sterbehilfe?

Unter Sterbehilfe verstehe ich einfach nur Beistand am Lebensende, ganz banal: dass jemand da ist, der meine Hand hält, und hilft, meine Wünsche zu respektieren und durchzusetzen. Wenn unsere Gesellschaft endlich so weit wäre, die Wünsche der Kranken und/oder Sterbenden zu akzeptieren, wäre das ein echter Fortschritt.
Dazu gehört für mich auch, die Entscheidung zu einem Suizid zu respektieren und einen solchen in angemessenen Rahmen zu ermöglichen. Durch Verbot und Tabuisierung wird eine legitime Entscheidung zum Suizid kriminalisiert und es wird verhindert einen solchen Weg zu gehen.
Mit meiner Patientenverfügung beschäftige ich mich schon eine ganze Weile. Ich möchte klar äußern, was ich will, damit meine Wünsche bekannt sind, wenn ich mich nicht mehr verständlich machen kann. Dazu gehört, dass ich keine künstliche Verlängerung meines Lebens will.
Und ich will auch keine Manipulation an meinem Leichnam: keine Organspende, keine Obduktion, nichts, was meine Unversehrtheit berührt. Das wäre eine Grenzüberschreitung für mich, der ich niemals zustimme. Wenn es trotzdem geschieht, ist das für mich ein sehr übler Eingriff in meine Persönlichkeit, weil auch mein toter Körper immer noch mir gehört.
Ich wünsche mir, dass dieses respektiert wird, auch wenn ich mich nicht mehr wehren kann – oder gerade deswegen.

Ich danke dir für dieses offene Gespräch.

Gabriele Merziger

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