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MATHILDE

 

Stadtlexikon Darmstadt,

herausgegeben vom Historischen Verein für Hessen im Auftrag des Magistrats der Wissenschaftsstadt Darmstadt.
Redaktion: R. Dotzert, P. Engels, Anke Leonhardt.
Konrad Theiss Verlag Gmbh Stuttgart 2006.
ISBN 3-8062-1930-3.
49,90 EUR

Das Darmstädter Stadtlexikon

Ein Fazit aus Frauensicht

Über tausend Seiten umfasst das neue Darmstädter Stadtlexikon. Darmstadt kann auf 675 Jahre Stadtrecht zurückblicken und wurde Ende des 11. Jahrhunderts als dörfliche Siedlung »darmundestat« zum ersten Mal namentlich erwähnt. Unsere Stadt hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Im Laufe der Jahrhunderte erlebte sie Plünderungen, Feuersbrünste, Krieg, Pest, Diktatur und die fast totale Zerstörung im 20. Jahrhundert. In diesem Lexikon werden die wichtigen historischen Ereignisse und verdienstvolle Persönlichkeiten vorgestellt. 1797 Schlagworte und zahlreiche Verweise erlauben einen schnellen Zugriff auf eine Vielzahl von Themen wie Kultur, Politik, Schule bis hin zu Sozialwesen, Sport und Verkehr.

Auch Frauenbiografien und frauenrelevante Themen sind im Lexikon durch viele Schlagworte abrufbar. Von Frauenbewegung über Frauenhaus bis hin zu Frauenstudium und Frauenvereinen werden interessierte LeserInnen rasch fündig. Auch die Mathilde wurde unter dem Punkt »Frauenzeitschriften« nicht vergessen.

Der Eindruck einer gut dokumentierten Frauengeschichte ändert sich jedoch beim Lesen des Kapitels »Stadtgeschichte«, das acht Seiten umfasst. Hier gibt es verschwindend wenig Verweise auf bedeutende Frauen oder auf frauengeschichtliche Ereignisse.

In diesem Kapitel fehlt jegliche Sensibilität für die Tatsache, dass Frauen trotz ihrer Unterdrückung und der herrschenden Männerdominanz die Geschichte immer mitgeprägt und vor allem stets für ihre Rechte gekämpft haben. Auf acht Seiten konnte ich nur zwei Frauen mit Querverweis zu ihrer Biografie finden, nämlich die Große Landgräfin Karoline Henriette und die Großherzogin Luise (letztere nur als Namensgeberin des Luisenplatzes). Völlig unverständlich ist z.B. das Fehlen der Landgräfin Elisabeth Dorothea (1640-1709); Mutter von acht Kindern, die als einzige Frau zehn Jahre in Darmstadt wirklich regiert hat, und zwar mit guten Ergebnissen. Ihre Biografie ist zwar im Lexikon zu finden, aber im Gegensatz zu zahlreichen Männernamen fehlt ihrer in der Stadtgeschichte mit Verweis zu dieser Biografie. Im übrigen gelten Elisabeth Dorotheas Tagebücher als geschichtlich wertvoll, da sie die sehr selten fassbare weibliche Perspektive des höfischen Lebens jener Zeit belegen. Sie hat 52 Jahrgänge an Tagebüchern hinterlassen, die auch in ihrer Biografie nicht erwähnt sind.

Die einzigartige Zusammenarbeit der Großherzogin Alice mit der Bürgerin Luise Büchner zum Wohle der Berufstätigkeit von Frauen und der Frauenbildung waren dem Autor dieser Stadtgeschichte keine Erwähnung wert, obwohl die Alice-Eleonoren-Schule und das Alice-Hospital noch heute daran erinnern. Lange haben Frauen gekämpft für ihre Zulassung zur Universität, für das Wahlrecht. Sie haben ihre Ziele erreicht, ohne dass in diesem Kapitel »Stadtgeschichte« ein Wort davon zu lesen wäre, wobei dann natürlich auch kein Verweis zu den meist vorhandenen Schlagwörtern möglich war. Auch bei anderen geschichtlichen Ereignissen haben Frauen in Darmstadt bleibende Spuren hinterlassen, sei es im deutschen Vormärz 1848, in der Mädchenbildung, in der neuen Frauenbewegung vor 30 Jahren, um nur einige zu nennen.

Offenbar ist es in Darmstadt auch nicht gelungen, die Arbeit von Frauen in den Zünften klar heraus zu arbeiten. Aus anderen Städten (wie z.B. Frankfurt) ist bekannt, dass Frauen bis ins Spätmittelalter eigenständig Geschäfte betrieben haben, als Meisterinnen tätig und so gut wie in jedem Handwerk, Gewerbe oder Handelsbereich zu finden waren. Vor allem im Textilgewerbe gab es kaum ein Handwerk, in dem nicht Frauen zur Zunft zugelassen waren*. In der Darmstädter Stadtgeschichte stehen unter dem Schlagwort »Zünfte« nur männliche Berufsbezeichnungen.

Dieses Stadtlexikon bietet detaillierte Informationen über Darmstadt in der Vergangenheit und Gegenwart. Viele haben daran mitgearbeitet und diesen Menschen gebührt Dank. In einer Neuauflage werden wichtige Fakten zum Thema Frauengeschichte hoffentlich auch einmal angemessen im Kapitel »Stadtgeschichte« vertreten sein.

Barbara Obermüller

* Quelle: Anke Wolf-Graaf. Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit. Eine Bildchronik. W. Heyne Verlag München 1994.

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