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Weihnachten in der Kirche : Werbewirksames Event oder »Same procedure as every year, James?«

»Weihnachten - ein main-selling-event?«

Was wäre Weihnachten ohne Krippen- spiel, Christmette und der »Stillen Nacht« gemeinsam gesungen von Hunderten, die alljährlich die Weihnachtsgottesdienste bevölkern? Das Bedürfnis ist konfessionsübergreifend vorhanden, gar manche kirchenkritische Seele stattet an diesen Tagen doch dem Gotteshaus einen Besuch ab. Weihnachten für die Kirchenhauptamtlichen ist Stress: noch erschöpft von all den vorweihnachtlichen Besinnungs- und Bastelkursen, wird jetzt noch ein Schäufelchen zugelegt, um all jenen, die sich da in die Kirchen drängen Balsam für die sehnsüchtige Seele zu verpassen. Same procedure as every year?

Die ProtestantInnen sprechen das Phänomen gelassen an: Der Theologe und Journalist Dr. Matthias Morgenroth aus München hat ein Buch über die »Heiligabend-Religion« geschrieben, wie er die »moderne Sehnsucht nach Weihnachten« neu benennt. Seine Thesen stellt er am Dienstag, den 7. November um 19.30 Uhr in Darmstadt, Kiesstraße 17, vor.

Dr. Joachim Schmidt, Oberkirchenrat in der Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche Hessen-Nasssau, würde es jedem evangelischen Pfarrer des Dekanats gerne persönlich ins Stammbuch schreiben, dass die auch von vielen Konfessionslosen besuchten Weihnachtsgottesdienste »das main- selling-event« oder umgangssprachlich der werbewirksame Kassenschlager schlechthin sind. »Wer nicht begreift, dass sich bei diesen Gottesdiensten kirchenferne Menschen davon überzeugen lassen wieder in die Kirche zu kommen, der hat die Zeit verschlafen. Bei diesem Fest brauche ich keine Allerweltsveranstaltung, sondern hier gilt es ein Feuerwerk abzubrennen, um zu zeigen, was Glauben heute zu bieten hat. Ich will nicht hören, dass das nicht nötig ist, weil die Kirchen ja an diesen Tagen sowieso voll sind.«

Dem schließt sich Anita Gimbel-Mette, Pfarrerin der Stadtkirche prinzipiell an, doch ihre Priorität ist es, die Botschaft leben von der sie selbst überzeugt ist. Sie hat es schon erlebt, dass ihr wildfremde Menschen nach dem Weihnachtsgottesdienst rückmeldeten: »Wissen Sie, wir waren seit Jahren nicht mehr in der Kirche und wir wussten gar nicht, dass Kirche so sein kann: feierlich, aber nicht abgehoben, sodass es was mit unserem Leben zu tun hat und trotzdem nicht alltäglich ist - sondern etwas zu spüren ist, von dem, was unsere Wirklichkeit bei weitem übersteigt.« Noch in der vergangenen Adventszeit hat sie abendliche »Besinnunginseln« in der Kirche anbieten können, eine Stellenkürzung erlaubt ihr das nicht mehr. Der Pfarrerin blutet das Herz.

Für die MitarbeiterInnen von Kirche & Co., des ökumenischen Kirchenladens in der Darmstädter Rheinstraße beginnt deren Arbeit schon lange vor dem Heiligabend. Anni Treutel, die als Ehrenamtliche schon seit zehn Jahren bei diesem Projekt dabei ist, beobachtet, dass vor Weihnachten viele BesucherInnen den Weg zu ihnen finden. »Oft wissen die Leute selbst nicht, was sie wollen«, sagt Treutel, »Weihnachten ist oft ein Reizthema, viele wollen den Druck mit der Familie, den Festvorbereitungen oder auch mit dem Kirchgang loswerden.«

Ähnliche Themen bewegt auch das Klientel der Telefonseelsorge in der Vorweihnachtszeit. Geschäftsführerin Dr. Christiane Rieth kann zwar nicht statistisch nachweisen, dass sie an den Weihnachtstagen besonders nachgefragt sind, denn grundsätzlich gehen zwischen 40 und 50 Anrufen innerhalb 24 Stunden ein, sie weiß aber sehr wohl, dass Einsame in der Adventszeit anonym und gebührenfrei Vorkehrungen für sich treffen wollen.

Vor allem Singles und langjährige Klienten suchen hier ein offenes Ohr. »Überall sitzen Menschen hinter hell erleuchteten Fenstern, und das Gefühl nicht dazu zu gehören oder an alte Familiengeschichten erinnert zu werden, löst heftige Krisen aus«, weiß Rieth zu berichten. Aber auch Familienmenschen wenden sich in ihrer Not an die anonymen SeelsorgerInnen: Hohe Erwartungen, eine zu hohe Dosis an Nähe mit schwierigen Verwandten und Terminstress drücken auf die Psyche, oft so sehr, dass das Fest in Gewalt eskaliert oder gar mancher an Selbstmord denkt. »Weihnachten ist nicht das Fest der Liebe sondern das Fest der Hiebe«, zitiert Rieth den Kinderschutzbund. Sie wünscht sich für ihre Ratsuchenden ein größeres Angebot an Alternativen zum traditionellen Gottesdienst, besonders Angebote für Alleinstehende werden nachgefragt.

Dass diese Angebote gut angenommen werden, kann Rita Flegel, Gemeindereferentin der Mainzer Liebfrauengemeinde, nur bestätigen. Die mitternächtliche Gospelmette ist sehr gut besucht vor allem von jüngeren Erwachsenen und der mittleren Generation der bis 50jährigen. Afrikanische Gemeinden gestalten den Gottesdienst mit und auch die Predigt ist dem Stil der afrikanischen Christen angeglichen. Die fremden BesucherInnen könnten Studierende sein, schätzt sie, ein besonderes Programm gibt es für sie nicht. Werbung, das heißt hier nur eine Ankündigung im Gemeindebrief und »Wir predigen für unsere Gemeinde«. Da schreit auch schon mal ein Gemeindemitglied dem Pfarrer zu: »Gregor, du bist der beste Pfarrer, den ich kenne!« Andererseits wurden auch schon angeknabberte Hostien unter der Sitzbank gefunden, weil das Angebot der Eucharistiefeier zwar erklärt, aber wohl doch nicht von allen verstanden wird.

Das ist Kollegin Claudia Schöning aus Dieburg noch nicht passiert. Aber in katholischen Kreisen ist die Idee mit dem PR-Event sowieso nicht verbreitet. In der Dieburger St. Wolfgangskirche drängen sich zum nachmittäglichen Familiengottesdienst 500 Leute. Bei der abendlichen Christmette bekommen alle noch einen Platz. »Da kommen Leute, denen es im Familiengottesdienst zu laut ist«. Gemeinsam mit Ehrenamtlerin Christina Cronauer ist für Schöning ein besonderes Musikprogramm und eine ansprechende Predigt, aber besondere Action nicht gefragt. Gott wird Mensch: Das bereitet Schöning mit besonderen Veranstaltungen wie Morgenandachten oder einem lebendigen Adventskalender vor, bei denen Familien ein Fenster ihrer Wohnung besonders illuminieren und dazu die Gemeinde einladen. Frau Cronauer freut sich besonders über ihre aus dem Blickfeld verschwundenen Bekannten, die als »Familienbegleitung« solche festlichen Messen besuchen.

Auch Angela Lang, Referentin beim Referat Glaubensvertiefung in Bingen, möchte spirituell Suchenden weiterhelfen sich auf ein Weihnachten jenseits des Mainstreams vorzubereiten. Ein bis zwei Adventswochenenden sind reserviert für die Frage nach dem, was wirklich feiernswert ist. Die Kursteilnehmer des Kardinal-Volk-Hauses wollen »nicht zugetextet werden« und erwarten möglichst kreative Methoden, um sich dem zu stellen, was ihre individuelle Sehnsucht ausmacht. Ein etwas anderes Publikum hat die Schwester Maria Regina Wessels im Blick, mit denen sie im Exerzitienhaus der Franziskaner in Hofheim/Ts. Weihnachten und Sylvester verbringt. Mit der Generation 55plus feiert die Exerzitienleiterin die Kirchenfeste. Es sind vor allem alleinstehende Frauen, die die Gemeinschaft im Glauben schätzen und keine langen Wege mehr auf sich nehmen wollen. Wo Bingen nur Platz für maximal 20 Suchende bietet, können sich die Hofheimer zuweilen auf 50 KursteilnehmerInnen freuen.

Weihnachten als Presseveranstaltung: dafür scheint dieses wichtig(st)e Fest des Kirchenjahres allen befragten Macherinnen zu wichtig zu sein und es trotzdem aushalten müssen, wenn das Gros der KirchenbesucherInnen sich mit »Stiller Nacht« zufrieden gibt.

Gesegnete Weihnachen allerseits!

Andrea Krüger

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