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Fußballfans

Der französische Ballkünstler Zinedine Zidane

Sichtlich auch ein Fußballfan

Ballkünstler und Brutalos

Faszination Fußball: Rückblick auf die WM

Nein, Fußball ist nicht nur Männersache und Fußballgucken erst recht nicht. Das Fußballfieber der Geschlechter hielt sich nahezu die Waage: 86 Prozent der Männer und 74,2 Prozent der Frauen verfolgten deutschlandweit laut JOM-Studie (Jäschke Operational Media Hamburg) die Spiele vor dem TV. Fahnenmeer, rot-schwarz-gelb bepinselte Gesichter und Deutschlandrufe waren Ausdruck einer Begeisterung, die den Punker ebenso mitriss wie Kanzlerin Merkel, die Trainer »Klinsi« (Klinsmann) tief gerührt in die Pupillen blickte, oder das Rentnerpaar mit Radio im Schrebergarten. Denn auch Radio, Tageszeitungen und »Public Viewing« erreichten täglich neue Rekorde. 29,66 Millionen Zuschauer verfolgten das Halbfinale Deutschland - Italien vor dem Fernsehapparat, womit die Höchstmarke erreicht wurde.

Von solchen Zuschauerwerten konnten die deutschen Fußballfrauen 2003 nur träumen. Dabei waren sie tatsächlich Weltmeisterinnen, die männliche Nationalelf um »Schweini« (Schweinsteiger), »Prinz Poldi« (Podolski) und den saltoschlagenden Klose aber erkoren die Medien nach errungenem drittem Platz zum »Weltmeister der Herzen«. Dass Italien dann offiziell den Titel errang, wurde eher nebenher zur Kenntnis genommen, zumal das Finale vom Rowdytum überschattet war. Es geschah das Unglaubliche: der von Fans liebevoll »Zizou« genannte französische Ballkünstler Zinedine Zidane beendete seine Fußballkarriere, indem er sich selbst vom Platz katapultierte. Im Finale gegen Italien ließ Zidane sich so provozieren, dass er dem Italiener Marco Matterazzi einen Kopfstoß vor den Solar Plexus versetzte. Der argentinische Schiedsrichter Horacio Elizondo konnte nicht umhin, die rote Karte zu zücken.

Zinedine Zidane hat Beine, die Gold wert sind. In faszinierender Leichtigkeit balancierte der attraktive Fußballer den Ball mit sicheren Pässen über den 7630-qm-Rasen und trickste seine Gegenspieler aus. Die Rentnerrufe, die seine Rückkehr in die Equipe Trikolore begleitet hatten, verstummten. Weltweite Bewunderung begleiteten die fußballerischen Darbietungen des 1972 als Kind muslimischer Einwanderer in Marseille geborenen Zidane. Nach wie vor gilt er als bester Fußballer aller Zeiten.

Alle Welt fieberte mit, ein Aufschrei des Entsetzens ging um, kurz darauf frenetischer Jubel der italienischen Fans: Italien wurde Weltmeister. Doch um welchen Preis? »Matterazzi hat das Finale zerstört!«, titelten die Boulevard-Zeitungen. Dass sowohl er als auch Zidane Schweigen wahrten bezüglich der Worte Matterazzis, verhinderte nicht, dass das Gerücht sich hartnäckig hielt, der Italiener habe Mutter und Schwester Zidanes beschimpft. Das Wort »Terroristen« soll gefallen sein. Sogar manche Italiener distanzieren sich von Matterazzi, wenige verurteilten Zidane. Seine vor der Presse abgegebene Liebeserklärung an die Mama stützte den Nimbus des mehrfachen Familienvaters als zärtlichen Sohn.

Über vier Wochen verfolgten wir gespannt das Ausleben männlicher Spielfreude, als je zweiundzwanzig kleine Gestalten über unseren Bildschirm jagten, um einen hübsch gemusterten Ball im 18-Quadratmeter-Netz zu versenken. Absurd und doch prickelnd. Die Römer hatten Gladiatorenkämpfe und Wagenrennen, die Griechen die Leichtathletik und die Spanier bis heute ihre Stierkämpfe. Schon immer schlugen Wettkämpfe Menschen in Bann. Auch die Tatsache, dass es dabei nicht immer fair zuging, gilt bis heute. Deutschland und Frankreich begingen bei der WM die meisten Fouls – je 125. Insgesamt 20 Fouls beging allein der französische Stürmer Thierry Henry. Mit 24 gelben Karten lag Portugal in der Negativstatistik vorn, gefolgt von Ghana mit 18. Die Zahlen belegen, dass auf Sieg ausgerichtetes Spiel nicht immer schön anzusehen war und nicht nur sportliches Können, sondern brutale Austrickserei die Weltmeisterschaft entschieden hat.

Alles Außereuropäische war rasch zur Seite gekickt, die Strandfußballer aus Brasilien hatten keine rechte Lust und neben Argentinien (Viertelfinale) konnten nur Mexiko und die Ukraine bis zum Achtelfinale mithalten. Frankreich und seine Nachbarn Deutschland und Italien machten das Ende dann unter sich ab.

147 Tore wurden in 64 Spielen erzielt. Und auch hier liefen »Schweini & Co« den Italienern den Rang ab: 14 Treffer konnte die deutsche Elf verbuchen und lag damit vor Italien mit zwölf Toren auf Rang eins. Stürmer Miroslav Klose wurde der Goldene Schuh von Adidas überreicht, war er doch mit fünf Toren bester Schütze des Turniers.

Inzwischen ist es wieder ruhiger um die Ballkickerei geworden und der nationale Rausch ebbt ab. Nur vereinzelt schmücken noch schwarz-rot-gelbe Fähnchen die Autos – eigentlich kann man sie bis zur Europameisterschaft 2008 gleich dran lassen. Dass 2007 die Fußballweltmeisterschaft der Frauen in China ansteht, ist noch längst kein Thema. Und überhaupt: wer kennt schon Nia Künzer? Das ist die dreiundzwanzigjährige Abwehrspielerin, die zum Siegtor der WM 2003 gegen die Schwedinnen einköpfte.

Charlotte Martin

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