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Frauen beim Wäschewaschen am Fluss

Wasserträgerin

Fotos: Elisabeth Schweikert

Soziale Herkunft entscheidet

Zur wirtschaftlichen Situation von Frauen in Indien

Dieses geheimnisumwitterte riesige Land mit einer Milliarde Menschen fasziniert und begeistert viele EuropäerInnen. Jahrelang pilgerten vor allem Frauen in indische Regionen, schlossen sich religiösen Bewegungen an wie den Sanyassins oder erhofften sich Heilung durch Makrobiotik und Ayurveda.

Nach der in 1947 erlangten Unabhängigkeit von Groß-Britannien hat sich Englisch als Landessprache in ganz Indien durchgesetzt und das englische Rechtssystem wurde übernommen. PolitikerInnen halten ihre Reden auf Englisch, wohlhabende Familien erziehen ihre Kinder in englischer Sprache. An Universitäten ist Englisch die Sprache des Unterrichts. Das erleichtert die internationale Kommunikation. Allerdings bestand in den 70er und 80er Jahren eine regulative und protektionistische Politik der Abgrenzung, ausländischen Firmen wurden strenge Bedingungen gestellt, die lange Zeit Konzerne wie Coca-Cola und IBM außen vor ließen. Die Wirtschaft des Landes wuchs nach der Unabhängigkeit mäßig, während die Bevölkerung stetig zunahm und heute einem Fünftel der Weltbevölkerung entspricht.

Der Unterschied von Stadt und Land hat sich verschärft. Die Großstädte Delhi, Bombay, Kalkutta und Madras haben wirtschaftliche Vormachtstellung, obwohl nur fünf Prozent der Bevölkerung von Indien dort leben.

In den späten 80er Jahren lockerte die Regierung bürokratische Hemmnisse, strich Importzölle und leitete eine Liberalisierung des Marktes ein.

Exzellente Ausbildungen im Software-Bereich und ein tiefes Lohnniveau boten eine gute Grundlage für das Wachsen eines neuen Wirtschaftszweiges abseits der Metropolen.

So hat sich seit 1991 in Bangalore und Pune ein neuer Wirtschaftszweig entwickelt, der nicht durch einen veralteten Maschinenpark zu bremsen war. Bekannte Firmen aus USA und Europa bedienen sich der preisgünstigen aber qualifizierten Arbeitskräfte (IngenieurInnen, IT-Fachleute, WissenschaftlerInnen) der gehobenen Bildungsschicht der Inder und Inderinnen. Von Outsourcing ist die Rede, das ist Auslagerung von Dienstleistungen und Geschäftsprozessen vor allem in Billiglohnländer.

Die boomende Softwareindustrie in Bangalore beschäftigt bis zu 25 Prozent Frauen. Diese geben sich nicht nur als Angestellte zufrieden sondern erobern Managementabteilungen oder gründen eigene Firmen. Durch die Teilnahme an wirtschaftlichen Machtpositionen entwickeln sie ein starkes Selbstbewusstsein.

Eine gute Ausbildung war schon immer ein wichtiger Aspekt im Leben der wohlhabenden indischen Familien. Dort wurde den Töchtern genauso viel Aufmerksamkeit gezollt wie den Söhnen, das hat Tradition, was in zahlreichen Quellen dokumentiert wird.

Auch aus früheren Zeiten sind Skulpturen von schreibenden Frauen erhalten, in der Dichtkunst begegnen wir gebildeten Frauen, Malerei und Lithografien geben Einblicke in die ungehinderte Tradition des Lesens und Schreibens von Mädchen und Frauen und zeigen sie auch bei der Beschäftigung mit Arithmetik. In Palästen von Karnataka sehen wir auf Wandbildern Mädchen beim Einüben von Tänzen und Spielen von Musikinstrumenten. Bis ins 19. Jahrhundert wurden Mädchen im Haus erzogen und ausgebildet.

Heute studieren junge Frauen ebenso wie ihre männlichen Kollegen Fächer der Naturwissenschaften und der Technik. Wir finden an indischen Universitäten mehr als 50 Prozent Mathematikerinnen und 52 Prozent Informatikerinnen, in Deutschland liegt der Anteil der eingeschriebenen Informatikstudentinnen dagegen nur noch knapp über 10 Prozent.

Doch nur reichere Familien können es sich leisten, ihre Töchter zur Schule zu schicken. Die Analphabetenrate, die im Durchschnitt des ganzen Landes trotz der Bestrebungen der Regierung nach dem Ausbau von Schulen noch bei 50 Prozent liegt, erreicht bei Frauen sogar 60 Prozent.

Das Ausbildungsdefizit der Frauen führt zu überdurchschnittlichem Bevölkerungswachstum und die Kindersterblichkeit zählt zu der höchsten der Welt. Wenn zu viele Kinder in einer Großfamilie leben, werden bestenfalls die Jungen gefördert, die Mädchen bleiben auf der Strecke.

Die Regierung setzt neben der wirtschaftlichen Förderung ein Schwergewicht auf den Ausbau der humanen Entwicklungsziele. Kampagnen für ein gesundes Leben werden gestartet, die Zahl der Geburten soll verringert werden. Zugang zu Bildung und Alphabetisierung sind hohe Ziele, Mädchen und andere benachteiligte Gruppen sollen gefördert werden.

Seit den 1930er Jahren gibt es in Indien Gesetze, die Kinderarbeit verbieten, was sich aber kaum kontrollieren lässt, daher bleiben sie weitgehend ohne Wirkung. Es wird geschätzt, dass zehn Millionen Kinder auf Feldern und in den Fabriken von Indien arbeiten. Um bei Kontrollen nicht entdeckt zu werden, ziehen sich junge Mädchen einen traditionellen Sari an, um älter zu erscheinen.

Frauen arbeiten vielfältig, sie verkaufen Gemüse am Markt, rollen kleine Zigaretten (beedis) in Heimarbeit, arbeiten auf Baustellen, trocknen Kuhdung als Brennmaterial oder binden Trockenblumen für den Export. Im Straßenbild sehen wir hart schaffende Frauen, während Männer am Rand sitzen und dösen. Dennoch erhalten sie bei der gleichen Arbeit nur die Hälfte der Löhne von Männern. Für Indien wird geschätzt, dass 94 Prozent der Frauen nicht im formellen Sektor beschäftigt sind. Vielfach hängen sie von Heimarbeit als Geldquelle ab, 80 Prozent der erwerbstätigen indischen Frauen sind in der Landwirtschaft tätig, die ihnen keinen Zugang zu Geldeinkommen vermittelt. Hinzu kommen gesellschaftliche Diskriminierungen und die Familienpflichten als Frau. Auch deswegen arbeiten Frauen durchschnittlich mehr Stunden am Tag als Männer. Ihre Lebenserwartung liegt mit 62 Jahren unterhalb der der Männer, obwohl in fast allen Ländern der Erde Frauen länger leben.

Das gänzliche Fehlen sozialer Netze führt zu einem hohen Anteil an armen Frauen, da diese sich üblicherweise um Alte, Kranke und Kinder kümmern.

Der wirtschaftliche Boom lässt in den letzten zwei Jahren schon wieder nach. China und Vietnam sind harte Konkurrenten sowohl in der Textil- als auch in der Software-Industrie. So geht die Globalisierung ihren Weg nach eigenen Gesetzmäßigkeiten.

Gundula Pause

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