Werden Sie auch eine

MATHILDE

Alte Frauen genießen hohen Respekt.

Keine Mutter muss ihre Kinder alleine großziehen.

Die mütterliche Sippe bietet Sicherheit.

Fotos: Uschi Madeisky

Am Anfang die Mütter - Matriarchat in Indien

Im hinduistischen Indien werden die Menschen hierarchisch in Kasten eingeteilt. Doch daneben hat in diesem Land ein viel älteres, egalitäres Gesellschaftssystem die Zeiten überdauert. In Rückzugsgebieten existieren noch matriarchal lebende Volksstämme. Die bekannte Philosophin und Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth hat über die Matriarchate in Indien und in anderen Ländern eine umfassende Forschungsarbeit geleistet, auf die in diesem Artikel Bezug genommen wird. Außerdem sind die vor Ort gemachten Erfahrungen der Dokumentar-Filmemacherin Uschi Madeisky in den Bericht eingeflossen.

Das Volk der Khasi: von einer Mutter geboren

Zwischen den großen Flüssen Brahma-putra und Irawadi in den Khasi-Bergen Ostindiens im Bundesstaat Meghalaya leben noch über zwei Millionen Menschen nach Mutterrecht. Die größte Gruppe ist das Volk der Khasi. »Kha- si« heißt »von einer Mutter geboren« und die Sippenmutter ist auch die wichtigste Person des Clans. Sie ist Oberhaupt der Sippe, Familienpriesterin und Verwalterin des gesamten gemeinsamen Besitzes der Sippe, der jedoch keineswegs ihr Privateigentum ist. Sie genießt natürliche Autorität. Frauen tragen in diesen Gesellschaften die größere Verantwortung, aber sie herrschen nicht. Wichtige Entscheidungen werden stets mit allen Familienmitgliedern besprochen.

Die mütterliche Linie

Die Khasi leben matrilinear und matrilokal, das heißt das Sippeneigentum vererbt sich in der mütterlichen Linie von der Mutter auf die Tochter. Die jüngste Tochter, die »Khadduh« übernimmt nach dem Tod der Mutter materiell wie auch spirituell die Verantwortung für die Sippe. Die Jüngste deshalb, weil sie voraussichtlich am längsten lebt und die für die Khasi sehr wichtigen Bestattungsrituale für alle durchführen kann. Es leben vier Generationen in großen Häusern zusammen: Großmutter, Mutter, Töchter und Enkelinnen mit den in direkter Linie verwandten Männern und Jungen. Für die Kinder ist der Schulbesuch wichtig. Anders als im übrigen Indien ist die Anzahl der Mädchen im Unterricht hier größer. Außer Fächern wie Geographie und Mathematik steht auch Englisch auf dem Lehrplan.

Junge Frauen und junge Männer der mütterlichen Linie bleiben im Mutterhaus als festem Wohnsitz, die Liebhaber der jungen Frauen kommen abends und gehen morgens wieder fort. Bei den Khasi leben Paare auch zunehmend zusammen, aber immer ist der Mann Gast im Haus der Frau. Er gehört weiterhin zu seiner mütterlichen Sippe und wird nach seinem Tod auch dort bestattet. Liebe wird als reine Zuneigung verstanden ohne wirtschaftliche Zwänge und ohne Besitzanspruch. Die Freiheit der Partnerwahl beruht für die Frauen auf der Sicherheit ihrer frauenbestimmten Ökonomie. Die Schwestern jeder Generation betrachten sich als gemeinsame Mütter der Kinder. Die Rolle des Vaters übernimmt der älteste Bruder der Mutter. Er genießt hohes Ansehen als sozialer Vater seiner Nichten und Neffen und Delegierter der Sippe nach außen. Aus matriarchaler Sicht garantiert die Verwandtschaft in der mütterlichen Linie eine größere Sicherheit für Kinder, als die erotische Beziehung zu einem Mann. Die Kinder gehören zur Mutter und tragen ihren Sippennamen. Es kommt nicht vor, dass junge Frauen mit ihren Kindern allein gelassen werden oder alte Menschen hilflos und verlassen leben und sterben. Gewalt gegen Frauen und Kinder ist für diese Menschen nicht vorstellbar.

Mutter Erde ist göttlich

Die AhnInnenverehrung spielt bei den Khasi eine große Rolle, sie ist direkt mit dem Glauben an Wiedergeburt verbunden. Verehrt wird die Mutter Erde und der Kosmos als weibliche Gottheit, die ganze Welt wird als göttlich angesehen und mit Ehrfurcht behandelt.

Patriarchale Überlagerung und Verdrängung

Trotz vieler patriarchaler Einbrüche konnten die Khasi ihre Gesellschaftsform bewahren, aber sie sind durch westliche Einflüsse sehr gefährdet. Eine autonome Khasi-Bewegung kämpft für das alte matriarchale Gesetz als die Stärke dieses Volkes.

Über das Matriarchat der Khasi gibt es einen sehr schönen Videofilm »Die Töchter der sieben Hütten« von Uschi Madeisky und Klaus Werner. (Bestellung: ur-kult-ur, Im Klingenfeld 37, 60435 Frankfurt am Main. Zusätzliche Infos unter: www.ur-kult-ur.de).

Auch in anderen Teilen Indiens weisen einzelne Stämme, Sprachen und Sitten auf matriarchale Ursprünge hin. Die zwei großen Städte Kalkutta und Kalikut tragen den Namen der uralten Göttin Kali. Am dichtesten sind matriarchale Kulturelemente in Südindien, an der Malabarküste (Kerala), bei den Tamilen sowie im Gangesdelta zu finden.

Barbara Obermüller

Literatur:
Heide Göttner-Abendroth, Matriarchat II, 1 und 2.
Für Brigida, Göttin der Inspiration.

zurück

MATHILDE