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Foto: Liliane Wildner-Spandl

Mir ist das Neueste nicht neu genug...

Ein persönlicher Nachruf zum Tod von Leonore von Wilcke

Mir ist das Neueste nicht neu genug, ich hab es morgen schon wieder satt, das Kleid, den Hut, den noch niemand getragen hat…«. Das war ihr Motto, so war sie. Und mit diesem Zitat lässt ihr Sohn Nicolas sie zum letzten Mal zu Wort kommen – in ihrer Todesanzeige. eonore von Wilcke war eine ungewöhnliche Frau, eine Frau mit unendlich vielen Facetten, und niemand konnte genau wissen, welche sie als nächste zum Schillern bringen würde.

Geboren wurde sie 1920. Als ich sie 1978 kennen lernte, war sie bereits achtundfünfzig Jahre alt, aber so quirlig und voller Lebenshunger, als ob sie dreißig wäre. Mit ihrem Lebensgefährten, dem Keramiker Klaus Lehmann und ihrem kleinen Sohn bewohnte sie im Lengfelder Ortsteil Zipfen ein modernes kleines Haus mit Keramikwerkstatt.

Immer auf der Suche und bereit, Neues auszuprobieren, war sie Klaus Lehmanns Schülerin geworden und hatte sich so viele Fertigkeiten und keramisches Wissen angeeignet, dass sie es unbedingt weitergeben wollte. Voller Begeisterung begann sie, Keramikkurse für Kinder anzubieten. Außerdem arbeitete sie wie besessen in der Werkstatt, drehte an der Töpferscheibe Gefäße und Schalen und stellte auch selbst die Lehm- und Gesteinsmehlglasuren dafür her. Ihre eigenwilligen Arbeiten präsentierte sie in zahlreichen Ausstellungen.

Schon bald war auch das nichts Neues mehr, und sie suchte nach einer größeren Herausforderung in Form von Erwachsenenkursen. Ihre neue Zielgruppe waren die Eltern ihrer Kurskinder. Und sie wäre nicht Leonore von Wilcke gewesen, hätte sie sich »nur« mit den Müttern zufrieden gegeben, sie bestand auf einem Kurs für Ehepaare.

Immerhin kamen fünf mutige Väter, mehr geschleppt als gegangen, um sich mit ihren Ehefrauen - ich war eine von ihnen - in das Abenteuer Töpferkurs zu stürzen. Die Kurse liefen fast zwei Jahre lang, bis das Interesse der anderen Paare allmählich verflachte.

Für mich jedoch, aber auch für meinen damaligen Mann, waren diese Kurse bei Nora Leo, wie sie sich inzwischen nannte, der Grundstein für eine nicht geplante und vollkommen unerwartete Keramiker-Laufbahn. Mit ihrer außergewöhnlichen Fähigkeit, Menschen zu begeistern, hatte sie in uns beiden etwas zum Schwingen gebracht. Maßgeblich waren dabei nicht so sehr die keramischen Grundtechniken, die sie uns vermittelte, ihre große Stärke war die mitreißende Begeisterung für das Gestalten mit Ton, für den Umgang mit natürlichen Materialien wie Asche, Lehm und Gesteinsmehl, die wir in der Natur sammelten und aus denen wir, nach dem Vorbild japanischer Töpfer, Glasuren herzustellen lernten.

Ihre unbekümmerte Art zu experimentieren ermutigte uns schließlich, uns in Keramik-Seminaren weiterzubilden und eine eigene Werkstatt zu gründen. Auch wenn wir uns von da an ganz der experimentellen Arbeit mit Porzellan verschrieben, eine neue Technik entwickelten, papierdünne Gefäße und Objekte daraus herzustellen und uns damit endgültig von unseren Anfängen entfernten, Leonore von Wilcke als unsere erste Lehrerin war dennoch immer ein wenig an unseren späteren Ausstellungserfolgen beteiligt.

Sie selbst hatte inzwischen längst ein neues Betätigungsfeld für sich entdeckt, und ich bin überzeugt, dass sie damit ihren eigentlichen Beruf gefunden hatte: Puppenmacherin.

Auch in dieser Technik entwickelte sie in kürzester Zeit erstaunliche Fertigkeiten und begann, ihr Können in zahlreichen Kursen weiterzuvermitteln.

Unsere Wege hatten sich zwar getrennt, aber für mich war und bleibt Leonore von Wilcke ein sehr wichtiger Mensch, denn sie hat meinem Leben eine entscheidende Wende gegeben.

Christa Berz

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