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Am 27.Mai 1999 stand Helga Hengge auf der Spitze des Mount Everest. Sie ist die erste deutsche Frau, die den Aufstieg über die gefährliche Nordroute in Tibet auf 8850 Meter Höhe geschafft hat und wohlbehalten wieder abgestiegen ist.

Biografisches

Helga Hengge ist in München aufgewachsen, hat 1985 dort Abitur gemacht und war von 1987 bis 1991 Moderedakteurin bei der Münchner Modezeitschrift »Miss Vogue«. Danach arbeitete sie als freie Modejournalistin in New York und studierte Marketing, Philosophie und Film an der New York University. 1995 schloss sie ihr Studium ab und entdeckte bald darauf an der Kletterwand ihre Leidenschaft fürs Bergsteigen. Nach Expeditionen im Hochgebirge von Argentinien, Peru, Nepal und Ecuador kletterte Helga Hengge 1998 auf den Achttausender »Cho Oyu« im Himalaya. Hier erblickte sie »Chomolungma – Muttergöttin der Erde«, wie der Mount Everest in Tibet genannt wird, zum ersten Mal und war fasziniert von dem Anblick. Im Jahr 2000 erschien ihr sehr erfolgreiches Buch »Nur der Himmel ist höher«. Hier beschreibt sie ihre Erfahrungen als Bergsteigerin, die von ihren männlichen Kollegen zuerst nicht ernst genommen wurde. Nie war das Erreichen des Gipfels für sie ein »Bezwingen des Berges«, sondern eher Hingabe und Einfühlung, die klare Einschätzung der Gefahren und die Erfüllung eines Traums. Mit dem Erlös ihres Buches unterstützt Helga Hengge eine von ihr mitgegründete Schule in dem tibetischen Dorf Tzombuk im Rongbuktal. Helga Hengge hält Vorträge in deutscher und englischer Sprache, speziell im Bereich der Wirtschaft. Mit den Themen ihrer Vorträge verknüpft sie die Erfolgsprinzipien extremer Herausforderungen am Mount Everest mit den Erfolgsprinzipien im Berufsalltag.

... dass mir das Herz vor Glück in der Brust zerspringt ...

Helga Hengge ist Bergsteigerin und hat als erste deutsche Frau den Mount Everest über die gefährliche Nordroute geschafft.

Wie sind Sie dazu gekommen, hohe Berge zu besteigen und seit wann sind Sie Bergsteigerin?

Ich habe im Sommer 1996 in New York an der Kletterwand angefangen. Sechs Monate später stand ich auf dem Aconcagua (6960 Meter) in Argentinien - dort hat mich das Bergfieber gepackt. Die Begeisterung für die Anden und den Himalaja und ihre höchsten Berge habe ich von meinen Großeltern - die sind schon vor vielen Jahren durch die Königreiche der Berge gezogen. Sie haben uns danach oft zu Dia-Abenden eingeladen und in diese fernen, himmlischen Orte entführt - zu den Menschen in Tibet mit ihren zerzausten Zöpfen und dicken Schaffelljacken auf das windige Hochland und in einsame Klöster, die in die Felswände hineingebaut waren, wo man die goldenen Gebetsmühlen drehen konnte. Ich weiß noch, dass ich damals gedacht habe: »Wenn ich groß bin, dann wandere ich dorthin aus.«

Ist Bergsteigen immer noch eine Männerdomäne oder sind Frauen als Bergsteigerinnen inzwischen eine ganz normale Sache?

Das Höhen- oder Extrembergsteigen ist immer noch hauptsächlich eine Männerdomäne. Ich war meistens die einzige Frau im Team. Es gibt aber immer mehr erfolgreiche Extrembergsteigerinnen und die »bärtigen, zerzausten Männer« haben mich meistens sehr wohlwollend in ihrer Mitte aufgenommen. Jede/r Expeditionsteilnehmer/in muss einen Platz finden im Team - Verantwortung für einen bestimmten Bereich übernehmen und sich nützlich machen für das Wohl aller. Ich hatte es da oft leichter als Frau. Und in der Küche bei den Sherpas war immer ein Platz für mich, dort war es am wärmsten, wenn draußen der Sturm ans Zelt peitschte und all unsere Pläne zunichte zu machen drohte. So habe ich viel Zeit mit den »Einheimischen« verbracht, viel von ihnen gelernt - nicht nur für die Berge, auch für die großen und kleinen Herausforderungen im Leben auf Meeresspiegelhöhe.

Sehen Sie das Bergsteigen vor allem als leistungsbezogenen Alpinsport oder spielt auch die Liebe zu den Bergen und Naturverbundenheit eine Rolle?

Die Liebe zu den Bergen und der Natur spielt eine große Rolle - die größte - denn ohne sie wären die Strapazen einer 8000er Expedition nicht zu ertragen. Du lebst mit »deinem« Berg, gehst abends mit ihm ins Bett und stehst morgens mit ihm auf, jede Windböe, jeder Sonnenstrahl ist von Bedeutung. Und das Gefühl hoch oben, über den Wolken im Zelt zu sitzen und in die Täler hinunterzuschauen ist unbeschreiblich. Sich einer so großen, ja übermächtigen Herausforderung zu stellen und nicht nach Hause zu fahren, das Beste zu geben, auch wenn die Aussichten auf Erfolg gering sind (nur 20Prozent der Bergsteigerinnen und Bergsteiger schaffen am Mount Everest den Aufstieg zum Gipfel), verlangt unbedingte Begeisterung und hohe Leidensfähigkeit.

Erleben Sie als »Gipfelstürmerin« manchmal einen seelischen Höhenflug und gab es Grenzsituationen, von denen Sie berichten können?

Seelische Höhenflüge gibt es viele - das Gefühl, dass mir das Herz vor Glück in der Brust zerspringt, hatte ich oft und auch diese schlichte Glückseligkeit, die sich in der Stille der Berge einstellt, wenn mich der Wind über ein Schneefeld trägt, da höre ich auf zu leben und fange an zu sein. Grenzsituationen gab es auch - das Gefühl der totalen Erschöpfung, keine Kraft mehr zu haben für den nächsten Schritt und trotzdem weiterzukämpfen, den Mut nicht zu verlieren. Das war oft schwer. Auf meinem letzten 8000er bin ich auf dem Weg zurück ins Basislager im Eisfall verloren gegangen - ich war so erschöpft nach unserem Gipfelanstieg, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte - bald war ich mitten drin in dem eisigen Labyrinth und konnte keinen Ausweg finden. Es war, als hätte ich den Lebensfaden verloren. Die Angst, dort für immer eingesperrt zu sein, werde ich nie vergessen.

Welche Charaktereigenschaften sind nötig, um eine Bergtour erfolgreich durchzuführen und die Gefahren möglichst gering zu halten?

Eine Extrembergtour ist gleichzeitig physischer und emotionaler Grenzgang und zum Erfolg sind die gleichen »Ingredients« erforderlich, die jede andere große Herausforderung verlangt - ein klares Ziel vor Augen, Teamwork und Vertrauen, Mut und viele kleine Schritte, Durchhaltevermögen, Willenskraft und Ausdauer, Risikobereitschaft und kritische Selbsteinschätzung, Begeisterung, die Flügel verleiht und einen starken Glauben an die innere Kraft.

Haben Sie Pläne für weitere Besteigungen von hohen Bergen?

Träume schon, konkrete Pläne im Moment nicht. Ich bin schwanger und habe schon ein kleines Mädchen zu Hause. 8000er und Familie lassen sich leider nicht verbinden - vielleicht, wenn die Kinder größer sind und ins Basislager mitkommen können. Vielleicht werden es dann keine hohen Berge mehr sein, sondern Abenteuerausflüge durch das Hochland von Tibet.

Interview: Barbara Obermüller

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