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Ein Zimmer würde mir reichen...

Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes

Gisela B. (Name von Redaktion geändert) ist attraktiv und gepflegt. Ihr hartes Leben ist ihr nicht anzusehen. Im Darmstädter Frauen-Übergangswohnhaus haben wir uns kennen gelernt.

Sie ist zum zweiten Mal hier, im Jahr 2001 war es zu einem Rückfall in die Heroinsucht gekommen. Aber jetzt ist sie clean und bereit für einen Neuanfang. Sie hat viel Unglück erlebt. Eine besonders traumatische Vergewaltigung bedeutete für die damals Dreizehnjährige das Ende der Unbeschwertheit. Das junge Mädchen – fast noch ein Kind – wurde schwanger und gebar eine Tochter, die im Elternhaus als ihre »kleine Schwester« aufgenommen wurde. Gesprochen wurde nicht über das Vorgefallene.

Es folgte der zweite schwere Schicksalsschlag. Die fünfzehnjährige Gisela stürzte vom Karussell und verletzte sich schwer. Der rechte Unterschenkel musste amputiert werden. Eine psychologische Betreuung hätte ihr möglicherweise geholfen und die Sucht verhindert. Aber so gab es für sie nur Heroin und damit die Verdrängung der enormen seelischen Belastungen. Sie hat trotzdem fünf Kinder großgezogen, die alle lebenstüchtig sind. Drei Ehen scheiterten, aber sie war jahrelang erfolgreiche Unternehmerin mit einer eigenen Reinigungs-Firma. Nicht immer hat sie durchgehalten, es gab Beschaffungskriminalität und Gefängnis, auch Obdachlosigkeit und Prostitution in ihrem Leben. Jetzt lebt sie von 345 Euro Arbeitslosengeld. Ihr Traum ist eine eigene kleine Wohnung – »ein Zimmer mit Küche und Bad würde mir reichen« sagt die heute Fünfzigjährige.

Jede der Frauen hier im Übergangswohnhaus hat die harte Seite des Lebens kennen gelernt. Ich bin an diesem sonnigen Februarmorgen von Frau Wagner, der Leiterin, zum gemeinsamen Montagsfrühstück eingeladen worden. Die Unterhaltung ist lebhaft. Niemand käme so ohne weiteres auf den Gedanken, dass diesen Frauen etwas ganz Wesentliches fehlt: Das Dach über dem Kopf, die eigene Wohnung, die private Sphäre.

Hier wird ihnen Unterkunft und Schutz geboten. Es ist ein schönes und gepflegtes Haus. Die Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werkes bietet in schönen Ein- und Zweibettzimmern fünfzehn Frauen – manchmal mit Kindern – Unterkunft und Schutz, das Haus ist fast immer überbelegt. Individualität wird groß geschrieben: eine Bewohnerin hat ihr kleines Zimmer in ein grünes Paradies mit einer Flut von Pflanzen und vier Wellensittichen verwandelt! Die Frauen versorgen sich selbst und erledigen die Putzarbeit. Keine Frau wird abgewiesen, es ist immer jemand da, auch am Wochenende und nachts, um wenigstens fürs erste ein Notbett anzubieten.

1999 wurde das Frauenübernachtungshaus gegründet, es wird von der Stadt Darmstadt finanziert. Den Anstoß gab Stadträtin Wagner. Die ehemalige Frauenbeauftragte Edeltraud Baur hat die Initiative durch ihre Moderation des regelmäßig stattfindenden Fachtags der Wohnungslosenhilfe unterstützt. Davor gab es im Wohn- und Übernachtungsheim für Männer des Diakonischen Werkes lediglich sechs Plätze für Frauen. Das war problematisch, denn die Frauen erlebten dort unter Umständen weitere Belastungen und Bedrohungen.

Frauen verlieren ihre Wohnung bei Trennung oder Scheidung, auch durch die Gewalt des Partners oder Ehemanns, wegen Suchtproblemen und natürlich auch durch Kündigung oder durch Räumung wegen Mietschulden. »Es kommt auch vor, dass eine junge Frau aus der gemeinsamen Wohnung fliegt, wenn sie schwanger geworden ist«, erzählt Frau Wagner. »Wenn eine Schwangere hier Schutz gefunden hat und das Baby geboren ist, sind die Frauen sehr liebevoll mit Mutter und Kind«.

»Wir versuchen die Frauen zu stabilisieren und ihnen Selbstvertrauen zu geben«, erklärt Frau Wagner. »Nur wenn eine Frau wieder Hoffnung hat und an sich glaubt, schafft sie den Start in ein neues Leben und auch den Ausstieg aus der Sucht«. Darum wird hier im Haus daran gearbeitet, die Lebensfreude zu fördern, erlittene Gewalt und Kränkung aufzuarbeiten, soziale Beziehungen aufzubauen und nicht zuletzt die Weichen zu stellen für Ausbildung, Existenzsicherung und Wohnung.

Jeden Montagmorgen um 10 Uhr gibt es im Wohnhaus ein gemütliches Frühstück, zu dem auch ehemalige Bewohnerinnen gerne kommen.

Barbara Obermüller

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