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Gisela Stete

Von der Nonnenschülerin zur Ingenieurin

Die Diplom-Ingenieurin Gisela Stete leitet ihr Büro für Stadt- und Verkehrsplanung seit 1991. Gegründet als Bürogemeinschaft mit der Architektin Christel Frank ( »Frank und Stete«) trägt es seit 2001 - nach dem Ausscheiden von Christel Frank - nur noch ihren Namen »Stete Planung«; allerdings gibt es auch heute eine Bürogemeinschaft mit Architektinnen bzw. Stadtplanerinnen.

Gisela Stete sieht ihren Weg in das männlich dominierte Bauingenieurwesen ein Stück weit als Konsequenz aus ihrer Biografie. »Ich war ein wildes Mädchen, auf dem Land in der Nähe von Limburg an der Lahn aufgewachsen und immer mit Jungencliquen unterwegs.« Der Weg zum Abitur führte damals nur über ein von Nonnen geleitetes katholisches Mädchengymnasium. Sich hier zurecht zu finden, fiel ihr nicht leicht, denn die schulische Mädchenwelt war eine völlig andere als der Alltag als »halber Junge« im Heimatdorf. Sie macht aber auch das Positive daran deutlich, dass Mädchen in diesem Gymnasium nicht in Konkurrenz zu Jungen treten mussten und es für sie schon in den 1960er Jahren ganz selbstverständlich war, sich für Mathematik und Naturwissenschaften zu interessieren. Die Liebe zur Mathematik und die Freude am Entwerfen führten zum BauingenieurInnen studium, das dann sozusagen das Kontrastprogramm zur Nonnenschule bildete:

Unter dreihundert Studienanfängern waren 1968 gerade mal sieben Frauen, nach dem Vordiplom blieben noch drei übrig. Sie legte ihren Studienschwerpunkt nicht in den konstruktiven Ingenieurbau, sondern in den Bereich der Planung und nahm hierbei die Möglichkeit wahr, als Hauptfach Städtebau im Fachbereich Architektur im Austausch zu einem Ingenieurfach zu belegen.

Nach der Diplomprüfung hat Gisela Stete zunächst sechs Jahre in Verkehrsplanungsbüros gearbeitet und ist nach der Geburt ihrer Tochter 1983 als erste (weibliche) wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Wasser und Verkehr an die TH Darmstadt gewechselt. In diese Zeit fiel die Geburt ihres Sohnes 1986.

Schon früh in ihrer Berufstätigkeit interessierte sie sich für die Belange und Bedürfnisse der von ihrer Arbeit als Verkehrsplanerin Betroffenen. Wie müssen Verkehrssysteme gestrickt sein, damit sie gebrauchsfähig für alle sind? Wie müssen Straßen gestaltet sein, die nicht nur für den Autoverkehr gut funktionieren, sondern auch für Menschen zu Fuß und mit dem Fahrrad attraktiv sind? Im Rahmen ihrer Tätigkeit an der TH Darmstadt bot sich 1988 die Chance für ein interdisziplinäres Projekt, das diese Fragen exemplarisch für den weiblichen Teil der Bevölkerung behandeln sollte. Zusammen mit ihrer Kollegin Christel Frank, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Architektur, führte sie Seminare zur »Berücksichtigung von Frauenbelangen in der Stadt- und Verkehrsplanung« durch.

Die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse haben sie auf ihrem weiteren Berufsweg begleitet. Bei einer Ausschreibung der Stadt Frankfurt für das Projekt »Mobilität und Sicherheit von Frauen im Öffentlichen Personen- Nahverkehr und dessen bedarfsgerechte Umgestaltung« gelang es den beiden Wissenschaftlerinnen 1991, sich mit ihrem Angebot gegen die Konkurrenz durchzusetzen und es folgte der Sprung in die Selbständigkeit.

Darüber hinaus wurden (und werden) im Büro allgemeine Aufgabenstellungen aus dem Verkehrsbereich bearbeitet, z.B. die Planung von Tempo 30 Zonen, Untersuchungen zu den verkehrlichen Auswirkungen von neuen Wohn- und Gewerbegebieten, Entwürfe von Straßen und Plätzen, etc. Wichtig sind Gisela Stete dabei nach wie vor die Bedürfnisse der Betroffenen. Hier geht es ihr nicht darum, für einzelnen Gruppen, z.B. die Frauen, einen Sonderstatus zu etablieren, sondern die Belange von allen im Auge zu behalten. Für die Verkehrsentwicklungsplanung beispielsweise bedeutet dies, dass neben dem Autoverkehr die Verkehrsmittel des sogenannten »Umweltverbundes« (die eigenen Füße, das Fahrrad und die öffentlichen Verkehrsmittel) als gleichrangige Handlungsfelder bearbeitet werden, denn sie werden von berufstätigen wie nichtberufstätigen Frauen, Kindern, Jugendlichen und Älteren gleichermaßen mehrheitlich genutzt. Dies ist aus ihrer Sicht beim Verkehrsentwicklungsplan Darmstadt gelungen, den das Büro StetePlanung bearbeitet und Ende 2005 vorgelegt hat.

Ein wesentlicher Aspekt bei der Existenzgründung war der Wunsch nach Flexibilität im Alltag mit zwei kleinen Kindern und doch kostete der Aufbau des Büros wesentlich mehr Energie, als sie sich das vorgestellt hatte. »Wir hatten in den ersten beiden Jahren gut zu tun, aber dann musste es Folgeprojekte geben,« sagt sie »und das war nicht einfach. Es hat dann noch mal fast 5 Jahre gedauert, bis ich das Gefühl hatte, ich habŽs geschafft.« Die Befürchtung, dass die Kinder dabei zu kurz kommen, hätte sie permanent begleitet, wobei ihr beide heute die Rückmeldung geben, dass sie die damit verbundene stärkere Eigenverantwortlichkeit als positiv erlebt haben.

Sie versucht, Frauen in ähnlicher Situation zu unterstützen. Fünf Mitarbeiterinnen hat ihr Büro, nach Wunsch fest angestellt oder als freie Mitarbeiterin. Drei von ihnen sind Mütter, und jede Frau kann ihr ganz spezifisches Arbeitsprogramm selbst bestimmen - den Arbeitsumfang, die Arbeitszeiten und die übrigen Bedingungen. Es kann auch zu Hause gearbeitet werden, Gisela Stete sieht hier in Zeiten des Internets kein Problem. Trotz gelegentlicher Reibungsverluste ist sie davon überzeugt, dass Motivation und Engagement ihrer Mitarbeiterinnen ein anderes ist, als wenn sie in ein enges Korsett gezwängt würden. Für ihr Modell spricht auch die äußerst geringe Fluktuation unter ihren Mitarbeiterinnen. Das ausschließlich weibliche Personal stößt allerdings immer wieder auf ungläubiges Staunen: »Was, nur Frauen?« Bei rein männlich besetzten Ingenieurbüros fragt dagegen keiner. Dabei hat Gisela Stete gar nichts gegen männliche Mitarbeiter und damit auch schon positive Erfahrungen gemacht. Sie würde jederzeit - wenn die Auftragslage es zulässt - einen Ingenieur beschäftigen, wenn er ins Team passt.

Der Bereich Verkehr ist nach wie vor von Männern dominiert und das findet Gisela Stete aus einem bestimmten Grund bedauerlich: »Männern fehlt weitgehend die Alltagserfahrung von Frauen bzw. die Erfahrungen, den Alltag zu Fuß und mit dem Fahrrad zu bestreiten. Sie sind mehrheitlich mit dem Auto unterwegs, viele von ihnen wissen einfach nicht, wie es ist, mit einem Kind an der Hand oder einem Kinderwagen zu Fuß auf zugeparkten Gehwegen durch die Stadt zu gehen, oder als 12jähriges Kind auf Hauptverkehrsstraßen ohne Radweg fahren zu müssen oder auf den Öffentlichen Personennahverkehr angewiesen zu sein, der außerhalb der Hauptverkehrszeiten – insbesondere auf dem Land – viel seltener fährt. Alltagserfahrungen prägen nachweislich das berufliche Handeln«, sagt Gisela Stete, und wenn das Auto das Hauptverkehrsmittel ist, steht es stärker im Focus und spielt in der Verkehrspolitik und der Planung eben die Hauptrolle. Das ist weder Ignoranz noch böser Wille, sondern lediglich eine eingeschränkte Sicht der Dinge, eben die »Windschutzscheibenperspektive«

Es wird Zeit, dass sich das ändert, sei es, dass Männer stärker andere Alltagserfahrungen machen oder mehr Frauen in der Verkehrsplanung arbeiten. Sie findet, beides ist wichtig!

Barbara Obermüller

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