Werden Sie auch eine

MATHILDE

»Eine Ehe darf nur im freien und vollen Einverständnis der künftigen Ehegatten geschlossen werden.«

(Artikel 16 Abs.2 der Allgemeinen Er-klärung der Menschenrechte von 1948, gültig für alle UN-Mitgliedstaaten)

 

 

Blanvalet Verlag, München, 19,90 €

Ayses Ehe:
Arrangement des Schreckens

Eine türkische Geschichte der Demütigung und Unterdrückung - in Deutschland

Ayse (*1964 in einem Dorf in Anatolien) wurde mit 14 Jahren mit ihrem Cousin Mustafa verheiratet und zur Familie ihres Mannes nach Deutschland geschickt. Doch anstatt ins »gelobte« Land zu kommen, wird ihr Leben hier zur Hölle. Schon vor der Hochzeit wird sie von Mustafa brutal vergewaltigt. Auch danach muss Ayse häufig Prügel und sexuelle Willkür ertragen. Das Geld, das sie in der Fabrik und durch Heimarbeit verdient, kassiert die Schwiegermutter. Für diese ist sie eine Arbeitssklavin: jedes Recht auf Freiheit, Bildung oder das von ihr selbst verdiente Geld wird ihr verwehrt. Mit 15 bringt sie ihr erstes Kind zur Welt – drei weitere kommen hinzu. 19 Ehejahre hält sie aus; als ihr Mann sie krankenhausreif schlägt, flieht Ayse und reicht die Scheidung ein... Jahre später hat sie ihre Geschichte veröffentlicht.

In Deutschland ist das Thema Zwangsehe zum Politikum geworden: Zum einen wegen der ausländerrechtlichen Diskussion um den erleichterten Zuzug auch von zwangsverheirateten Ehegatten nach Deutschland, andererseits durch die aktuellen Ereignisse, wie den Mord an Hatun Sürücü, Anfang dieses Jahres in Berlin. Häufig endet der Versuch junger Frauen, aus solchen Ehen auszubrechen, mit einem Ehrenmord. Ein hessisches Beispiel gibt es auch: eine junge, hier aufgewachsene Türkin wollte aus überkommenen Familientraditionen ausbrechen und ihr Leben mit dem Mann ihrer Wahl selbst bestimmen. Ihr Mörder war der jüngste Bruder - inzwischen verurteilt, wie weitere beteiligte männliche Verwandte.

Interview mit der Journalistin Renate Eder, die Ayses »mündlichem Buch« die Schriftform gegeben hat, anlässlich eines Lesetermins in Darmstadt

In welchen Städten in Deutschland waren Sie bislang? Wo werden Sie noch lesen?

Wir waren zuerst in Jena und Göttingen, dann kürzlich in Frankfurt und heute in Darmstadt. Übernächste Woche findet in München eine Lesung statt, dann folgen Bonn, Kassel und Marburg. Und im März nächsten Jahres sind wir in Stuttgart.

Wie haben Sie Ayse kennen gelernt?

Das war total witzig. Ayse kenne ich über meine Freundin Angelika. Sie erzählte mir von Ayse und ihrer Zwangsverheiratung, was mich natürlich hellhörig machte. Und dann erzählte mir Ayse, als wir uns schon näher kennen gelernt hatten, dass sie immer die Idee hatte, ihre Geschichte aufzuschreiben und das wohl auch mit Angelika besprochen hat ... Nun gab es den Zufall, dass Angelika wiederum eine Journalistin kannte. So haben wir uns kennen gelernt, und sie hat mir ihre Geschichte erzählt, die mich in den Grundfesten erschütterte. Ich konnte es echt nicht glauben, obwohl mir die orientalische Mentalität nicht fremd ist.

Warum erzählt Ayse ihre Geschichte? Ist das nicht gefährlich für sie?

Ob es gefährlich ist, wussten wir lange selber nicht - weder sie noch ich, noch der Verlag. Wir haben den Justiziar des Verlages prüfen lassen, weil uns nicht klar war, was da auf uns zu kommen könnte. Für Ayse war es eine Art Selbsttherapie, dass sie die Geschichte zunächst ihrer Mutter erzählte und dann mir. Und ich weiß noch: eins der ersten Gespräche, die wir miteinander geführt haben: da saß sie nur da und hat geweint. Es ging speziell um die Kinder und wie schrecklich sie es fand, dass sie so entfremdet, so aus dem Familienzusammenhang herausgenommen sind. Es war ein einziges Drama.

Aber sie haben trotzdem ein paar Vorkehrungen getroffen, damit Ayse und ihre Familie geschützt sind. Was haben Sie konkret gemacht?

Zuerst einmal heißt Ayse nicht Ayse; das ist ein Pseudonym – wie jeder andere Name, der vorkommt. Wir waren ja gemeinsam in der Türkei und saßen zusammen in Istanbul am Flughafen und haben auf den Weiterflug gewartet. Da haben wir die gesamte Familie mit Pseudonymen versehen und praktisch eine neue Familie entworfen. Und am Anfang hatte ich immer diese Liste vorliegen, damit ich wusste, wer wie heißt. Wir haben die Daten verändert und natürlich den Ort, auch in München...

Warum gibt es Zwangsheiraten? Viele Frauen in Deutschland können das kaum verstehen – wir kennen Asyes Kultur nicht, so man das so nennen kann. Außerdem leben wir hier in einem demokratischen Land. Woran mangelt es in unserer deutschen Gesetzgebung?

Das ist eine sehr vielschichtige Angelegenheit. Das ist in unserem Bewusstsein noch gar nicht vorhanden, dass es Zwangsverheiratungen in dem Ausmaß gibt. Vom Gesetzgeber ist bislang nur der Tatbestand der schweren Nötigung vorgesehen. Ich habe vor kurzem erfahren, vor ca. zwei Wochen, es gibt wohl ein Elternpaar und eine Schwiegermutter, die wegen des Tatbestandes der Zwangsverheiratung vor Gericht gestanden haben und verurteilt wurden. Tatsache bei uns ist, man hat immer die Augen zugemacht und ist auf einer Multi-Kulti-Welle geschwommen: man dachte, das ist schon alles richtig so, das sind die Traditionen, da sollen die mal sehen... Und wir wollen einfach nicht wahrnehmen, nicht sehen, dass das eine extreme Menschenrechtsverletzung ist.

Die Gleichheit der Geschlechter, im Grundgesetz verankert, wird so ja mit Füßen getreten...

Ja, so ist es.

Zwangsheirat zählt ebenso wie Ehrenmord, Steinigung oder Mitgiftmord zu den Verbrechen im Namen der Ehre. Das sind schwerwiegende Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen. Welche »Ehre« soll damit wiederhergestellt werden? Hat das überhaupt etwas mit dem Islam zu tun?

Hier geht es nicht um die individuelle Ehre eines Menschen, sondern um die Familienehre, also um die Ehre eines ganzen Clans. Die Mädchen und jungen Frauen sind sozusagen die Ehre einer Familie. Damit sie ihre Ehre, sprich ihre Jungfräulichkeit, nicht verlieren (das ist es nämlich in Wahrheit, um was es geht), verheiratet man sie - oft - ganz früh. Nur so kann - im Namen der Ehre - verhindert werden, dass sie die Ehre der Familie beschmutzen.

Das Verbrechen Zwangsehe hat mit dem Islam nichts zu tun. Mädchen und Frauen werden auch in anderen Kulturen und Religionsgemeinschaften gegen ihren Willen verheiratet. Ein weit verbreitetes Phänomen ist die Zwangsehe z.B. in Indien, China oder verschiedenen afrikanischen Staaten. Zwangsehen sind vielmehr Ausdruck archaischer und patriarchalischer Strukturen!

Wie viele Frauen, die ein Schicksal wie Ayse erlitten haben, gibt es in Deutschland? Kann man die Zahl zumindest schätzen?

Es gibt keine Zahlen. Vor ein paar Jahren wurde im Auftrag des Berliner Senats eine Untersuchung durchgeführt. Darin wurden ca. 230 Fälle von erzwungenen Ehen bekannt. Aber verlässliche Zahlen sind das nicht. Man geht davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt.

Gehen Sie und Ayse auch in Schulen und erzählen über Ayses elendes Leben? Es ist ja beispielhaft für das Elend tausender türkischer »Importbräute«, wie Serap Çileli im Vorwort sagt.

Wir sind gerade dabei, Schulen anzupeilen, weil dort ja u.a. unsere Zielgruppe sitzt - junge türkische Frauen - und auch Männer. Wir möchten aber auch deutsche Schüler und Schülerinnen mit diesem Thema vertraut machen, weil sie einen anderen Zugang zu ihren ausländischen Mitschülern haben.

Welche Motivation hat Ayse heute, wenn sie mit Ihnen zusammen das Buch vorstellt?

Ayse will aufklären, will anderen Frauen aus der Not helfen, aus der Anonymität herauszutreten, will ihnen sagen: »Schaut her, ich hab's auch geschafft. Ihr könnt das auch. Ihr müsst nicht alles aushalten.«

Das Interview führte Ursula Geiling

zurück

MATHILDE