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MATHILDE

Im Wort überleben

Lebensentwürfe und Gesellschaftskritik in der Literatur von Frauen

Sappho Simone de Beauvoir Ulla Hahn Marilyn French Rosa Luxemburg

Es ist die Verknüpfung von Sozial- und Literaturgeschichte, in der das totschweigen der Frauen begründet liegt. Virginia Woolf formulierte 1928:
»(…) und wenn jede von uns fünfhundert im Jahr hat und ein Zimmer für sich allein, wenn wir an die Freiheit gewöhnt sind und an den Mut, genau das zu schreiben, was wir denken;(…) wenn wir der Tatsache ins Auge sehen, dass es keinen Arm gibt, auf den wir uns stützen könnten, sondern dass wir alleine gehen (…), dann wird die Gelegenheit kommen und die tote Dichterin, die Shakespeares Schwester war, wird den Körper annehmen, den sie so oft abgelegt hat.«

Das ist der klügste Lebensentwurf, den je eine Dichterin formuliert hat. Und für viele Frauen sind die beschriebenen Kreativitätsvorausetzungen noch heute utopisch.

Wahrheit ist, dass Frauen vielfach an ihrer Sehnsucht zerbrochen sind. Während der letzten vierzig Jahre hat die feministische Forschung literarische Schätze geborgen, die aus der Intensität des »Unbehaustseins in der bestehenden Gesellschaft« (Brinker-Gabler) entstanden sind. Frauen sind »Das andere Geschlecht«. Simone de Beauvoir formulierte: »Man kommt nicht als Frau zur Welt. Man wird es.« Und: » (…) Bei uns nimmt man an, dass die Frau mit der Gebärmutter denke: das ist wirklich eine Schweinerei! «

Griffen Frauen zur Feder, so war ihnen Jahrhunderte lang das Etikett des Dilettantismus sicher. Die ersten überlieferten Namen deutscher Dichterinnen entstammen dem 10.-12. Jahrhundert: Roswitha von Gandersheim, Frau Ava, Hildegard von Bingen u.a. lebten und bildeten sich in Klöstern. Eine der ersten Vorkämpferinnen der Emanzipation war die 1364 in Venedig geborene Christine de Pizan. In ihrem »Buch über die Stadt der Frauen« erbaut sie allegorisch einen Schutzraum gegen männliche Herrschaftsstruktur.

Bettina von Arnim Hildegard von Bingen Virginia Woolf Ingeborg Bachmann

Es dauerte bis 1641, bevor in Deutschland erstmals eine Frau eine Abhandlung über das Recht der Frau auf Bildung veröffentlichte: Anna-Maria von Schurmann war als Frau mit universeller Bildung in Europa eine Ausnahme.

In Frankreich veröffentlichte Olympe de Gouges 1792 »Die Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin«: »Frauen wacht auf! Die Stimme der Vernunft lässt sich auf der ganzen Welt vernehmen!« Oktober 1793 wird sie öffentlich hingerichtet. In Deutschland meldeten sich Bettina von Arnim, Rahel Varnhagen, Caroline Schlegel-Schelling und andere im Wirkungsraum der literarischen Salons rebellisch zu Wort: »Dass in Europa Männer und Weiber zwei verschiedene Nationen sind, ist hart. Die einen sittlich, die anderen nicht; das geht nimmermehr!« Caroline von Günderrode nahm sich das Leben – Sehnsucht kommt als ihr Negativ zum Tragen, Befreiung wird im Tod gesucht.

Louise Dittmar, Frauenrechtlerin und Philosophin, publizierte Mitte des 19. Jahrhunderts Texte von großer Schärfe: »Das ganze Leben steht der Frau feindlich gegenüber, und es erfordert nicht nur moralischen Mut, es gehört Begeisterung für eine uns belebende Idee dazu, um allen Hemmnissen entgegen zu treten (…)«.

1848 formulierte Malwida von Meysenbug, »aristokratische Demokratin« in Deutschland, Gedanken zur Emanzipation. Neben Louise Otto Peters, Vorsitzende des ersten `Allgemeinen deutschen Frauenvereins` und Herausgeberin des Organs »Neue Bahnen«, war sie eine Wegbereiterin der frühen Frauenbewegung. Dennoch klaffte zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine unüberwindbare Kluft. Künstlerinnen galten weiterhin nichts – oft auch im Kreis der sie belächelnden Familien.

1915 schrieb Charlotte Perkins Gilman den Roman »Herland«, in dem Frauen ein politisches System ohne Hierarchien und Gewalt errichten. Sie triumphieren über Männer, die sich zu Herrschern aufschwingen wollen. Erst 1980 erschien diese Utopie in deutscher Übersetzung. Die Autorin nahm sich 1935 das Leben.

Wahnsinn und Selbsttötung begleiten das Künstlertum von Frauen bis heute. »Es ist eine sehr alte, eine sehr starke Wand, aus der niemand fallen kann, die niemand aufbrechen kann, aus der nie mehr etwas laut werden kann. Es war Mord«, schrieb Ingeborg Bachmann in ihrem Roman »Malina«, der 1971 erschien. Zwei Jahre später ist sie tot.

Im 20. Jahrhundert nehmen schreibende Frauen den Faden ihrer Vorgängerinnen wieder auf: Christine Brückner gab den verschwiegenen Frauen Sprache zurück – Sappho beim Abschied zu den Mädchen von Lesbos, lässt sie aufbegehren: »Heute noch lösen eure Männer die Bänder, die ich euch kunstvoll zu binden lehrte, und ihr erfüllt ihre ungezügelten Wünsche, gehorcht ihrer befehlenden Stimme. Glücklich der, der euch sein eigen nennen wird, unglücklich die, die ihr verlasst!«

Literarische Gesellschaftsentwürfe von Frauen ergeben die historische Basis der erreichten emanzipatorischen Versatzstücke, die im 20. Jahrhundert die neue Frauenbewegung ermöglicht hat. Je deutlicher Frauen sich als im historischen Kontext stehend begreifen, desto tiefer die innere Zerrissenheit. Rosa Luxemburg postulierte einerseits: » (…)dass Millionen proletarischer Frauen selbstbewusst und trotzig rufen: Her mit dem Frauenwahlrecht! «, privat schrieb sie an Sophie Liebknecht: » (…)ich habe manchmal das Gefühl, ich bin kein richtiger Mensch, sondern auch irgendein Vogel oder ein anderes Tier in missglückter Menschengestalt(…)«.

Virginia Woolf erkannte in rückblickender Vision: »Wenn man jedoch von einer Hexe liest, die getaucht wird oder von einer Frau, die vom Teufel besessen ist, von einer weisen Frau, die Kräuter verkauft (…), dann, glaube ich, sind wir einer verloren gegangenen Romanautorin auf der Spur, einer unterdrückten Dichterin, einer stummen und unberühmten Jane Austen, irgendeiner Emily Brontë, die ihren Verstand im Moor auslöschte (…), umgetrieben von der Peinigung, die ihre Begabung ihr auferlegte.« 1941 nahm sie sich das Leben.

Der Einbruch der feministischen Forschung in die altehrwürdige Germanistik fördert verschüttete Literaturen von Frauen zu Tage. Die Amerikanerin Marilyn French trifft mit ihrem 600-Seiten-Roman »Frauen« die Aufbruchstimmung der Feministinnen: »Und es gibt so viele einfachere Arten eine Frau zu zerstören. Man muss sie nicht vergewaltigen und töten; man muss sie nicht einmal prügeln. Man braucht sie nur zu heiraten.«

Simone de Beauvoir, Alice Schwarzer, Senta Trömel-Plötz, Luise Pusch u.a. werden zu sozio-literarischen Galionsfiguren. Judith Jannbergs »Ich bin Ich« wird zum Kultbuch: »Welche Frau wäre von ihrem Ehemann noch nie gedemütigt worden? Welche Frau litte nicht an dem Verlust ihrer Identität?« Denken und Leben von Frauen verändern sich nachhaltig: »Hier besteht die Gewalt darin, dass Frauen penetrant als dumm gedacht und beschrieben werden. Die Gewalt besteht darin, dass dieses Bild Wirklichkeit wird (…) in jeder Unterhaltung mit einem Mann.« Es entstand die Spezies des weiblichen Science-Fiction-Romans, in dem der Entwurf eines frauendominierten, oft kämpferischen Utopias ausgesponnen wird; eine der bekanntesten Autorinnen ist die 1936 geborene Marge Piercy mit ihrem 1976 erschienenen Roman »Frau am Abgrund der Zeit«.

Der feministische Enthusiasmus der siebziger und achtziger Jahre ist verebbt, manche Frau dünkt sich emanzipiert, da sie Karriere machen darf im Männerland. Ria Endres schreibt in »Werde, was du bist«: »Der äußeren Hölle können sie sich leichter erwehren, als der inneren. Immer wieder gerät die Gegenwart zum Gefängnis. (…) Sie haben gedacht und dieses Denken auf Papier festgehalten. Man kann sie zwar in eine Schublade stopfen mit der Aufschrift »Frauenschicksale«, aber was nützt es?«

Die psychologische Wirkung des antifeministischen Kanons ist nicht zu unterschätzen: »Die Frauenbewegung ist nicht zu radikal geworden, sondern zu gemäßigt. Sie ist nicht zu pauschal, zu lamentierend oder zu männerfeindlich, sondern zu versöhnlich, zu verklärt und zu harmonisierend. (…) sie sind nicht unsere Genossinnen und nicht unsere potentiellen Verbündeten, diese Frauen in den Villen der Männer. Sie versprechen sich nichts von einer Frauenbewegung. Und wir sollten uns nichts von ihnen versprechen.«(Cheryl Bernard/ Edit Schlaffer).

Jahrhunderte der Frauenunterdrückung und der Befreiungsversuche greifen ineinander: Annette von Droste-Hülshoff dichtete Mitte des 19. Jahrhunderts: »Wär` ich ein Mann doch mindestens nur,/so würde der Himmel mir raten; /Nun muss ich sitzen so fein und klar,/Gleich einem artigen Kinde,/Und darf nur heimlich lösen mein Haar/ Und lassen es flattern im Winde!«

1961 schrieb Bachmann die Erzählung »Undine geht« – Liebe zwischen Frau (Sklavin) und Herr ist unmöglich: »Ihr Ungeheuer mit Namen Hans! (…) Ihr mit (…) eurer hochmütigen Nachsicht, eurer Tyrannei, eurem Schutzsuchen bei euren Frauen, eurem Wirtschaftsgeld und euren gemeinsamen Gutenachtgesprächen,(…), dem Rechtbehalten gegen draußen, ihr mit euren hilflos gekonnten, hilflos zerstreuten Umarmungen.«

Ulla Hahn ist wortweise tätlich geworden: »Maria (…) holte starkes Klebeband (…) und klebte die Lippen, die sie wieder und wieder geküsst und belogen hatten, zusammen. Durch die Handfesseln zog sie ein Lederband (…), er sollte sich bewegen, aber nicht fort bewegen können.«

Grausamkeit, ganz literarisch. Das Mörderische zwischen den Geschlechtern prägt bis heute – sei es latent, sei es bewusst - Leben und Literatur von Frauen.

»(…) Medusa, die Fürchterliche, die wilde Frau, der man nicht ins Gesicht sehen kann Der der Mann/ Perseus Donner und Blitz entreißt um sie dem Zeus zu überbringen Medusa aus deren blutenden Rumpf das Pferdchen Pagasos entspringt das Flügelpferd der Poesie aus dem Rumpf der sterbenden Frau So soll es sein So musste es werden(…)«, beschreibt Christa Wolf die Geburt der Dichtkunst. Und Frauen schreiben ihre eigene Geschichte fort, schreiben um ihr Leben. Das ist das Erstaunlichste. Denn es braucht den Mut, weiter zu denken Richtung Utopie.

Charlotte Martin

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