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Güldem Özpolat-Ismail

Foto: Ulrike Bauch

Mehr Toleranz, Mitgefühl und Freiheit

Visionen einer Frau, die sich in drei Kulturen bewegt über ihr Leben und ihre Wünsche - Güldem Özpolat-Ismail

Verständnis und Rückhalt hat sie sich im Alter von 16 Jahren von ihren deutschen Freundinnen gewünscht, aber nicht erhalten. Das war für die 1964 in Reichelsheim geborene Güldem Özpolat so verletzend und enttäuschend, dass sie sich von da an mehr auf Freundschaften mit türkischen Mädchen einließ. Güldem, Tochter anatolischer Eltern, wurde einen Monat nach Ankunft der Familie in Deutschland geboren. Zu dieser Zeit gab es nicht sehr viele türkische Familien im Odenwald.

Die Kindergarten- und Schulzeit auf einer Gesamtschule und auch ihre Freizeit verbrachte Güldem mit deutschen Mädchen. »Ich habe kein Türkisch gesprochen. Wenn meine Eltern mit mir türkisch sprachen, habe ich deutsch geantwortet. Meine erste Sprache war deutsch« beschreibt die intelligente, attraktive Frau die damalige Zeit. Die Erziehung von Güldem und ihren zwei Schwestern war eher traditionell, strenger als bei deutschen Freundinnen, aber nicht so rigoros wie normalerweise in türkischen Familien, erzählt sie. »Mein Vater hat seine Töchter über alles geliebt.« Die Sorglosigkeit und Freiheit der Kinderzeit erfuhr jedoch eine tragische Wende. Als Güldem elf Jahre alt war, starb eine der Schwestern durch einen Autounfall. Die Erziehung der Eltern wurde strenger, weil sie Angst um ihre verbliebenen Töchter hatten. Trotzdem konnte sie mit ihren Freundinnen ins Kino gehen oder in Begleitung der älteren Schwester bis Mitternacht ausgehen.

Güldem beschreibt die Situation als Jugendliche so: »Meine Eltern sprachen Verbote nicht direkt aus, aber ich wusste automatisch, was ich darf und was ich nicht darf.« Sie setzte sich ihre Grenzen selbst und stieß dabei bei ihren deutschen Freundinnen auf wenig Verständnis. »Es war ein gravierenden Abschnitt in meinem Leben, es hat mir sehr weh getan, dass mich meine deutschen Freundinnen nicht verstanden haben. Ich hätte mir auch mehr Mitgefühl und Unterstützung gewünscht. Ich fühlte mich manchmal sehr allein. Meine Mutter war durch den Tod meiner Schwester immer sehr traurig und für mich kaum ansprechbar.« Die Traurigkeit ist auch heute noch in Güldems Stimme hörbar.

Rückhalt fand sie bei Freundinnen ihrer Kultur. Güldem träumte im Alter von 16 Jahren von einem Beruf, bei dem sie viel mit Menschen zu tun hat, von einem modernen Mann und einer glücklichen Familie. Sie absolvierte die Mittlere Reife und machte eine Lehre als Arzthelferin. »Dann habe ich gemerkt, dass mich das nicht erfüllt.« Sie besuchte die Fachoberschule und legte ihr Fachabitur in Wirtschaft und Verwaltung ab.

Mehr Freiheit im privaten Bereich brachte Güldem die Heirat der älteren Schwester, die mit ihrem Mann in Darmstadt wohnte. »Ich habe meinen Eltern gesagt, ich besuche meine Schwester und übernachte dort. Das gab mir die Gelegenheit, beispielsweise in die Disco zu gehen. Ich habe diese neue Freiheit genossen, ich habe eine andere Welt kennengelernt mit weniger Zwang. Ich fühlte mich frei.«

Sie begann ein Studium für Information und Dokumentation. Im Alter von 24 Jahren zog sie ins Studentenwohnheim, damals ein großer Schritt. Sie arbeitete im Frauenreferat mit. 1986 lernte sie beim Studium Haroun kennen und verliebte sich in ihn. Ihrer Meinung nach eine aussichtslose Liebe, da er Jordanier war und nach Abschluss seines Studiums nach Jordanien zurück wollte. »Ich hatte Angst, dass es nur eine kurzfristige Beziehung wird und versuchte, sie zu beenden.« Sie nahm ein Urlaubssemester und ging für sechs Monate in die Türkei. »Aber Haroun und ich haben so viel telefoniert, dass wir für das Geld ein paarmal hätten hin- und herfliegen können« sagt sie lächelnd. Die Liebe war stärker. Ab 1988 waren die beiden ein Paar, heimlich. Güldem war nicht glücklich, weil ihr der Segen der Familie zu der Verbindung fehlte. Sie versuchte mit ihrer Mutter zu reden, die sagte »mach, was du willst«, die Beziehung aber nicht offiziell erlauben wollte.

Sie wandte sich an das Familienoberhaupt, die älteste Schwester des Vaters. Ihre Tante lernte Haroun kennen und gab ihr okay. Sie redete mit Güldems Eltern und schaffte es, dass sie sich mit der Verbindung einverstanden erklärten. »Ich wollte unbedingt, dass meine Familie zustimmt, es war mir wichtig. Wir haben dann in Darmstadt geheiratet, hatten eine große, schöne Feier mit 300 Gästen, ich war glücklich« und ihre dunklen Augen strahlen dabei.

Die Visionen der beiden von einem gemeinsamen Leben passten zusammen. »Wir wollten unseren eigenen Weg gehen, er auf seine Art, ich auf meine Art. Wir wollten uns unseren Weg nicht von den Familien vorschreiben lassen. Wir wollten frei sein, ohne die Eltern zu kränken. Uns ein Leben und eine Familie selbst aufbauen.« Güldem und Haroun haben heute zwei Kinder, Wunschkinder, ein Mädchen und einen Jungen. Bei der Auswahl der Namen - Suzan und Murat - haben die beiden darauf geachtet, dass sie sowohl in jordanischer als auch in türkischer und deutscher Sprache gut aussprechbar sind.

Güldem hat heute eine Halbtagsstelle beim ASB Landesverband, arbeitet im Restaurant ihres Mannes mit, organisiert viel für die Kinder (9 und 10 Jahre) und findet trotzdem noch Zeit, etwas für sich zu tun. Sie war zwei Jahre lang in einer Bauchtanzgruppe und hat sich jetzt mit ihrer Tochter zusammen bei einer türkischen Musikschule angemeldet, um das Instrument Sas spielen zu lernen.

Auf die Frage, was aus ihren früheren Träumen geworden sei, antwortet sie, dass diese größtenteils in Erfüllung gegangen sind. Sie ist sehr stolz auf ihre selbstständigen, aufgeweckten Kinder. In ihrer Beziehung vermisst sie ein wenig mehr gemeinsame Zeit mit ihrem Mann. Güldem hat neue Visionen für die Zukunft, sie wünscht sich, dass ihre Tochter eine starke Frau wird. »Sie soll sehr frei sein, weil mir das früher gefehlt hat.«

Sie würde gerne ein Buch schreiben, darüber denkt sie seit drei Jahren nach. Ein Buch über ihr Leben in Deutschland. Über ihr Leben im Kindergartenalter, als sie viel Zeit in deutschen Familien verbrachte, dann die Hinwendung zur türkischen Welt. »Ich war hin und her gerissen zwischen deutscher und türkischer Kultur.«

Heute kann Güldem mit drei Kulturen gut umgehen, »das ist ein sehr großer Vorteil. Ich möchte in dem Buch schreiben, dass man damit etwas machen kann. Ich muss mich nicht für eine Kultur entscheiden. Von allen etwas zu haben, ist ein Reichtum. Meine Kinder bekommen von drei Kulturen etwas mit. Dazu ist Toleranz sehr wichtig. Ja, das habe ich erreicht, und ich bin sehr stolz darauf. Ich war die erste in meiner Familie, die einen Mann aus einer anderen Kultur geheiratet hat.«

Güldem Özpolat-Ismail lebt ihre Vision von Toleranz, Mitgefühl und Freiheit.

Das Interview führte Helge Ebbmeyer

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