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Darmstadt in Berlin vertreten

»Ich möchte die Bedingungen dafür schaffen, dass jede Frau das Leben führen kann, das sie möchte.«

Brigitte Zypries, seit 2002 Bundesjustizministerin, ist Direktkandidatin der SPD in Darmstadt für die vorgezogene Bundestagswahl im September.

 

Frau Zypries, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit zu diesem Gespräch genommen haben. Sie pendeln derzeit ja zwischen Berlin und Darmstadt hin und her. Wie sieht Ihr Leben momentan aus?

Mein Leben ist derzeit sehr stark auf Arbeit fokussiert. Im Moment habe ich fast kein Privatleben. Ich denke, das ist aber nur eine Übergangszeit von zwei Monaten. Die muss ich durchstehen. Danach wird es wieder besser.

Gibt es in Berlin denn noch viel zu tun?

Ja, die Sommerpause der Regierung steht zwar unmittelbar bevor, aber im Ministerium arbeiten wir weiter an Gesetzesentwürfen.

Die ist eine Zeitung für Frauen, deswegen interessiert uns besonders Ihr Engagement für Frauenthemen. Sie waren 1998 Staatssekretärin im niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales. Was haben Sie da erreicht?

In dem einen Jahr, in dem ich dort gearbeitet habe, haben wir das Gender Mainstreaming in der Landesverwaltung eingeführt. Die wesentliche Aufgabe war es, die Idee des G. M. zu verbreiten und die Umsetzungs-Möglichkeiten zu eruieren. Das heißt, es in alle Projekte in den verschiedenen Landesministerien einfließen zu lassen. Das war der Schwerpunkt. Heute hat sich G. M. auch auf Bundesebene durchgesetzt. Es hat eine Bewusstseinsveränderung stattgefunden.

War es für Sie persönlich schwierig, sich als Frau durchzusetzen?

Ich denke, dass es leicht ist, sich als Staatssekretärin in einem Frauenministerium durchzusetzen. Ich war dann 1998 die erste beamtete Staatssekretärin überhaupt im Bundesinnenministerium und habe erfahren: Wenn es um die fachlichen Diskussionen geht, werden Frauen genau so ernst genommen und akzeptiert wie Männer. Es zählen hier nämlich die Argumente. In informellen Kreisen allerdings ist es für Frauen schwieriger.

Als Justizministerin waren Sie auch einiger Kritik ausgesetzt. Beim Thema Kinderpornografie im Internet wurde Ihnen beispielsweise unterstellt, dass Sie die Besitzer von pornografischen Bildern nicht bestrafen wollten, sondern nur den Handel damit?

Manchmal werden juristische Formulierungen falsch interpretiert. Zwischen der Höhe der Strafe für den Besitz und der für den Handel von pornografischen Material muss es einen Unterschied geben. Natürlich gibt es auch eine Strafe für den Besitz von kinderpornografischen Bildern.

Wie sieht es bei der Zwangsheirat und den Ehrenmorden aus. Sie sagen, dass unsere bisherigen Gesetze ausreichen? Stimmt es, dass in der Praxis oft mildernde Umstände für Ehrenmordtäter berücksichtigt werden?

Das kommt schon mal vor, aber ich plädiere dafür, bei dem Grundsatz zu bleiben: Mord bleibt Mord. Die Zwangsheirat ist im geltenden Recht ein qualifizierter Fall der Nötigung. Eins der wichtigsten Gesetze in den letzten Jahren für Frauen ist meiner Meinung nach das Gewaltschutzgesetz. Dieses ermöglicht Frauen, die Gewalt von ihrem Ehemann erfahren, diesen mit Hilfe des Gerichts, der Wohnung zu verweisen. Er muss sich - bei entsprechender gerichtlicher Anordnung - außerhalb eines bestimmten Radius um die gemeinsame Wohnstätte herum bewegen.
Dieses Gesetz hat die Lebensqualität von Frauen sehr verbessert. Es betrifft nämlich eine sehr hohe Zahl von Frauen, alleine in Nordrhein-Westfalen sind es über 5000 Frauen im Jahr. Und dies ist nur die Spitze des Eisberges.
Außerdem arbeiten wir gerade an einem Gesetzesentwurf zur Bestrafung des "Stalking".
Für die Vorstellung des Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts haben wir viel Lob bekommen. Kinder sollen in den ersten Rang gehoben, und Frauen in den zweiten, wenn das Einkommen des Unterhaltsverpflichteten nicht für alle ausreicht. Langandauernde Ehen werden stärker berücksichtigt als kurzzeitige Ehen.

Viel Kritik haben Sie für den Vorschlag zum Verbot der heimlichen Vaterschaftstests geerntet?

Viel, aber ich halte diese Kritik nicht für richtig. Der genetische Code, auch der eines Kindes, ist höchst persönlich und muss geschützt werden. Es geht ja auch nicht, dass ein Chef beispielsweise genetische Daten von einem Mitarbeiter nehmen darf. Das Ziel ist jetzt ein vereinfachtes Feststellungsverfahren für einen Vaterschaftstest, aber die Zustimmung der Betroffenen muss immer eingeholt werden.

Unsere Leserinnen sind natürlich sehr daran interessiert, was Sie für die Frauen in Darmstadt bewegen wollen?

Ich werde in erster Linie Darmstadt in Berlin vertreten und ich werde eine gute Vertretung sein. Ich denke, dass ich das kann, weil ich die Region und gleichzeitig auch die politischen Abläufe in Berlin kenne.
Um konkret zu werden: Ich werde mich zum Beispiel weiter für Ganztagsbetreuung einsetzen. Für Kleinkinderbetreuung, Ganztagsschulen und auch für das Elterngeld.
Ganz generell möchte ich die Bedingungen dafür schaffen, das jede Frau das Leben führen kann, das sie möchte. Und Rahmenbedingungen dafür müssen im Bundestag verabschiedet werden.

Wenn man die derzeitige wirtschaftliche Lage und die Globalisierung betrachtet, wo Frauen aus dem Erwerbsleben schnell ausgegrenzt werden, wie soll das gehen?

Frauen sind flexibel und selbstbewusst. Sie stellen sich sehr schnell auf neue Gegebenheiten ein und kommen mit den veränderten Strukturen deshalb besser zurecht. Unsere Mädchen sind sehr leistungsfähig und machen sehr gute Schulabschlüsse. Generell haben wir derzeit die am besten ausgebildete Frauengeneration in Deutschland. Auch deshalb müssen wir sicherstellen, dass die Frauen am beruflichen und gesellschaftlichen Leben aktiv teilnehmen können.

Was können Sie sonst noch von Darmstadt mit nach Berlin nehmen?

Dass beispielsweise Fördereinrichtungen für Frauen, wie das Sefo, erhalten bleiben. Ich werde auf jeden Fall noch Kontakt zu den Fraueninitiativen in Darmstadt aufnehmen.

Wie sieht Ihr Wahlkampf in Darmstadt aus?

Es wird ja ein sehr kurzer Wahlkampf sein. Ich werde an Veranstaltungen teilnehmen und den Bürgerinnen und Bürgern an Infoständen begegnen. Ich möchte mit den Menschen hier ins Gespräch kommen und ihnen zuhören.

Unser Heft, in dem dieses Interview erscheint, hat das Thema "Lesen" zum Schwerpunkt. Lesen Sie gerne und kommen Sie momentan noch dazu?

Ja, ich lese sehr gerne, und gerne Romane. Zuletzt habe ich "Jacobowski und der Oberst" von Franz Werfel gelesen und von Marlen Haushofer "Die Wand". Leider komme ich momentan nicht so viel zum Lesen, wie ich gerne möchte. Aber ich nehme meistens ein Buch in den Zug oder ins Flugzeug mit.

Frau Zypries, wir bedanken uns für das Gespräch und dafür, dass Sie trotz Ihrer vielen Verpflichtungen Zeit für uns hatten.

Helge Ebbmeyer und Gundula Pause interviewten die sympathische Ministerin.

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