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Dem Wort Gestalt verleihen

Portrait der Schauspielerin Sigrid Schütrumpf

Es gibt Menschen, die bereits im Kindergartenalter wissen, welchen Beruf sie später ausüben möchten. Sigrid Schütrumpf gehört nicht zu ihnen. Aufgewachsen in einem Dorf bei Usingen im Taunus, hatte sie als Jugendliche nur einen einzigen Wunsch: weg aus der räumlichen und geistigen Enge des Dorfes, wo alles Fremde, Unbekannte argwöhnisch beäugt wurde.

Mit 18 Jahren verließ sie ihr Heimatdorf, nachdem sie zuvor noch dem gut gemeinten Rat der Eltern entsprach, eine kaufmännische Ausbildung zu machen. Doch dann: »Nix, wie weg! Raus!« Ihre Sehnsucht und Neugier nach »anderen Welten und Lebenswahrheiten« führte sie für ein Jahr als Aupair-Mädchen nach Genf. Über Paris kam sie nach Frankfurt zurück mit der Idee, sich als Stewardess zu bewerben. Eine Arbeitsstelle über den Wolken bekam sie allerdings nicht. Sie machte Schalterdienst bei verschiedenen Fluggesellschaften und nutzte häufig die verbilligten Reisemöglichkeiten. Doch die Sinnfrage stellte sich ihr hierbei ziemlich bald: »Wem dient dieses, mein Tun?«

Eine entscheidende Wendung nahm das Leben der damals 25jährigen, als sie in einer Frankfurter Wohngemeinschaft Leute kennenlernte, die auf dem zweiten Bildungsweg für ihre Abiturprüfung büffelten oder bereits studierten. »Die MitbewohnerInnen haben mir auf den Weg geholfen«, sagt sie heute.

Sie entschied sich ebenfalls für einen weiteren zweiten Bildungsweg und lernte zum ersten Mal etwas über Literatur und Kunst. Ihr damaliger Deutschlehrer machte sie beim Lesen eines Theaterstückes auf ihre schöne Stimme und intensive Vortragsbegabung, dem Wort Gestalt zu verleihen, aufmerksam und ermunterte sie, sich beim Theater vorzustellen.

Schauspielerin als Beruf? Theater – könnte das der Ort sein, wo sie ihre wahre Berufung finden würde? Sigrid Schütrumpf zögerte nicht lange und meldete sich als Statistin am Frankfurter Schauspielhaus. Sie wurde prompt genommen und sollte sogar zwei Sätze auf der Bühne sagen. Allerdings war der Regisseur des Stückes wegen ihres hessischen Dialekts entsetzt, der ihr bis dahin gar nicht bewusst war. Also war viel Lernen angesagt. Ein Jahr später bestand sie an der Hamburger Schauspielschule die Aufnahmeprüfung.

Bereits während des Studiums übernahm sie kleinere Rolle unter anderem im renommierten Thalia-Theater und im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Nach Abschluss des Studiums stand die 30jährige vor der Frage: Wie geht es weiter? Die Stellenangebote für Schauspielerinnen in diesem Alter mit wenig Berufserfahrung waren damals wie heute nicht gerade überwältigend.

Nach langer Suche schloss sie sich schließlich einer freien Theatergruppe an, die mit Zelt und Wohnwagen durch das Land zog. Diese Arbeit war knüppelhart!

Nach zwei Jahren verließ sie die Truppe und wurde Mitglied des Kinder- und Jugendtheaters »Schnawwl« am Nationaltheater Mannheim. 1990/91 trat Sigrid Schütrumpf erstmals in Darmstadt vor das Publikum. Sie spielte eine Rolle in Nestroys Stück »Der alter Mann und die junge Frau«. In den folgenden Jahren war sie am Staatstheater in vielen Schauspielaufführungen - durchschnittlich vier bis fünf pro Spielzeit - zu sehen, mal in kleineren mal in größeren Rollen. Die damalige Leiterin des Tanztheaters, Birgitta Trommler, entdeckte sie für sich und so gastierte sie in den letzten vier Jahren zusätzlich in Produktionen des Tanztheaters. Sie hatte seit langem das Gefühl, im für sie richtigen Beruf angekommen zu sein. Das Darmstädter Publikum honorierte ihre Leistung stets mit Applaus und das Staatstheater war zu ihrer Heimat geworden.

Dann kam im August 2004 das Ende der Umberg-Ära. Der neue Intendant brauchte sie und viele andere KollegInnen nicht mehr. Gerade 50 Jahre alt, stand sie ohne Engagement da. Glückliche Umstände führten sie direkt im September 2004 nach 13 Jahren Darmstadt wieder ans Nationaltheater Mannheim. Dieses Mal als Gast im dem Musical »Crazy for you« von George Gershwin. »Dieses Engagement federte meinen freien Fall nach dem Rausschmiss etwas ab.«

Wie es nach Ende dieser Produktion, also ab Juli diesen Jahres, allerdings weitergeht, weiß sie noch nicht. Doch ist sie zuversichtlich, dass wieder etwas kommt. »Dinge, die man im Leben errungen hat, für die man lebt und liebt, gibt man nicht so schnell auf.« Wir wünschen ihr für ihren weiteren Lebensweg interessante schauspielerische Aufgaben - und das so schnell wie möglich.

Mit Sigrid Schütrumpf sprachen Agnes Schmidt und Gabriele Merziger

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