Werden Sie auch eine

MATHILDE

Simone Obenhack

Foto: Charlotte Martin

"Ich tanze, also lebe ich!"

Eine Begegnung mit Simone Obenhack

Wer sich für die freie Theaterszene Darmstadt interessiert, dem ist Simone Obenhack in Sachen Tanz- und Theaterperformance seit vielen Jahren ein Begriff. Die Kurse der in »Body - Mind Centering®« geschulten Bewegungsanalytikerin und Therapeutin sprechen vor allem Frauen an. Frauen jeden Alters und aller Couleur.

Ich treffe Simone an einem verregneten Montagabend. Auf dem Fahrrad, eingehüllt in ein leuchtend rotes Regencape, kommt sie vor der gemütlichen Kneipe an, in der wir uns zum Gespräch verabredet haben. Leider ist hier heute geschlossen. Unverdrossen machen wir uns auf den Weg zum »Cafe Blatt« in der Wilhelm-Leuschner-Straße. Nachdem Simone sich aus der Zwergenverkleidung geschält hat, stehe ich einer elfenhaft schmalen Person gegenüber, die sich sehr gerade hält, den Kopf mit dem kurzen braunen Haar stolz erhoben. Die Grazie der Simone Obenhack täuscht: dieser Körper hat Kraft, Mimik und Gestik sind energiegeladen. Zwei Ledersessel an der Stirnseite des Raumes, entdecken wir sofort für uns. Die Frau ist so offen, dass von Anfang an ein sympathisches Flowing möglich ist. Beim allzu bitteren Latte Macchiato wendet sie mir ihr ungeschminktes Gesicht zu, um zu erzählen, zu antworten und auch zu fragen.

Aufgewachsen im Vogelsberg in einer von Gewalt und Sprachlosigkeit geprägten Familienstruktur, in der ein seelisch kriegsversehrter Vater dominiert, hört die fünfjährige Simone auf zu sprechen und rettet sich in den Tanz. Sie tanzt, wo immer sie geht und steht. Von jeher spürt sie, wie das Leben in Leib und Seele einkehrt, wenn sie tanzt. Dennoch trägt sie – ganz fürsorgliches Mädchen! – das Leid des Vaters, ja, der Familie, auf ihren schmalen Schultern und zieht nach Schulabschluss nach Darmstadt, um Krankenschwester zu lernen. Doch neben dem Beruf geht das Tanzen weiter: zunächst in Discos bis zum Abwinken, dann in unbewusst zielgerichteter Mischung in verschiedenen Tanz-Workshops. Simone weiß, Tanzen ist ihr Leben. Während sie an diesem schummrigen Abend im »Cafe Blatt« erzählt, fällt kein wehleidiger Ton, bei allem erinnerten Schmerz. Die Frau strotzt vor Energie, die Hände sind in untermalender Bewegung, die Mimik spricht Bände der Authentizität.

Schließlich wird ihr das Leben als Krankenschwester zu eng. Lebendigkeit und Lebenslust bewegen sie, ihrem eigentlichen Anliegen ein Fundament durch Ausbildung zu geben: unter schwierigen finanziellen Bedingungen geht Simone Obenhack den Weg zu sich selbst – und zum Tanz als Profession. Als erklärter Pina-Bausch-Fan war der hart strukturierte Tanz des Balletts noch nie ihre Sache. Sie will Bewegung als lebendigen Ausdruck, will tanzend kreativ gestalten. Engagiert besucht sie entsprechende Workshops, lernt afrikanischen Tanz in Berlin, unternimmt allein große Reisen zu anderen Kontinenten, in fremde Kulturen. Ihre Berufung und die persönliche Selbstfindung sind nicht zu trennen: das ist ein Merkmal der Kunst. Simone erobert sich ein eigenes Leben und ihren Körper zurück: In Holland (Arnheim) macht sie an der internationalen Hochschule der Künste (»Performance-Tanz-Art-School«) eine vierjährige Ausbildung zur Bühnentänzerin und Choreographin am dort integrierten europäischen Zentrum für neue Tanzentwicklung. Sie wird anerkannte »Diplom- Bühnentänzerin« und hat – im landläufigen Sinn – eine »brotlose Kunst« erlernt. Absicherung gibt es nicht - nicht im Leben, nicht in der Kunst. »Guck um dich und arbeite mit der Umgebung, die du hast!«, bekommt sie von der Schulleiterin mit auf den weiteren Weg.

Zurück in Darmstadt, bietet sie erste Workshops an, lehrt, wie es ist, »über den Körper zur Seele zu kommen«. Simone, die inzwischen ein Bierchen mit mir trinkt, sagt: » Frauen wohnen nicht in sich«. Mit ihren Kursen will sie Frauen helfen, in Kontakt zu sich selbst zu kommen. Ich frage nach Männern und bekomme die schon erahnte Antwort: Männer sind in ihren Kursen in der Minderheit, kommen aus sozialen Berufen oder gehören zur gesellschaftlichen Randzone – manchmal wollen welche auch einfach eine Frau kennen lernen. Simone Obenhack aber hat die Strukturen ihrer Workshops im Griff – nicht zuletzt durch die vierjährige bewegungstherapeutische Ausbildung in »Body - Mind Centering®«. Damals fuhr sie jeden Sommer für zwei Monate nach Amerika, um diesen für ihre Arbeit grundlegenden ganzheitlichen Ansatz zu studieren.

»Unter den Wurzeln« hieß das vierte Tanz-Theater-Projekt von Simone Obenhack 2004. Ein anderes »Out of Balance« oder »Paar- Exemple«. Alles ist Körper, alles, was Menschen bewegt. Der Künstlerin gilt die Virtuosität des Balletttanzes nichts – Lebendigkeit und Kreativität im Tanz, alles. Wer ihre Workshops besucht, tut Schritte zu sich selbst. Tanzend. Meditierend. Leben aufwühlend.

Viele Menschen, sagt Simone, empfinden sie als bedrohlich. Bedrohlich in ihrer Lebendigkeit und Lust an Weiterentwicklung. Sie weiß: Erfahrung, wie schmerzlich auch immer, muss abgearbeitet werden: wo die fünfjährige Simone aus Entsetzen ihre Stimme verlor, findet die 39-jährige Künstlerin zu ihr zurück. Sie inszenierte in Zusammenarbeit mit ihrem Musiker und Klangkomponisten Nikolaus Heyduck das Solo »We have met before« – eine Wiederentdeckung der eigenen Stimme. »Überhaupt, Zusammenarbeit? «, frage ich. Sie kooperiert gern, findet es spannend, aber sie erwartet Offenheit von beiden Seiten. Nicht Neid, nicht Missgunst, die leider auch die Kunstszene mitprägen. Simone selbst fürchtet da nichts, gibt sich mit jeder Bewegung preis: »Ich weiß, dass nicht imitiert werden kann, was nicht persönlich durchlebt wurde.«

2003 zwang das Leben Simone Obenhack zum Innehalten. Sie zog sich einen Achillissehnenriss zu. Die Phase der Ruhe führte zu neuen Bewusstseinsprozessen. Auch zu seelischen Abstürzen ins Bodenlose. Simone ortet sich neu. Wie es weiter geht, im Leben und in der Kunst, sie weiß es nicht. Spürt vielen Ideen nach, eine Reisende, die nirgendwo Zuhause ist, als bei sich selbst. Im Tanz eben - sie tanzt, also lebt sie. Schließlich frage ich Simone, ob sie nicht mal auf Toilette muss. Sie erwidert meinen Blick leicht erstaunt: »Doch, gleich…«. Ich lache: »Ich will dich gerne mal gehen sehen!«

Und dann sehe ich sie: eine grazile Frau mit guter Bodenhaftung und fließender Bewegung – vom hoch erhobenen Kopf bis zu den Füßen. Leibhaftig faszinierend! Ihr Projekt trägt den Titel »WeiberLeiber – Körperarbeit, Tanz, Frauenrituale« und findet an drei Samstagen im November /Dezember statt. Wenn nicht alle Stricke reißen, bin ich dabei!

Charlotte Martin

Simone Obenhack nimmt Anmeldungen telefonisch (0170 -1793188)
oder per Mail entgegen: s_obenhack@gmx.de
Ein Blick auf die Web-Seite lohnt sich: www.obenhack.de

zurück

MATHILDE