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Viele Welten leben – DIE Migrantin gibt es nicht

Junge migrierte Frauen erzählen von ihrer Lebenssituation und ihren Vorstellungen

»Die aktuelle Diskussion und Darstellung über die Lebenssituation von Migrantinnen in Deutschland geht an deren Lebenswirklichkeit vorbei, denn durch die Betonung und oft auch durch die Skandalisierung von Einzelschicksalen entsteht ein häufig verzerrtes Bild.«

Diese Aussage stammt von Marieluise Beck, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, bei der Vorstellung der wissenschaftlichen Untersuchung »Viele Welten leben«. Das Bundesministerium hatte mit der Erstellung der Studie Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning, Professorin für Migrationspädagogik und Rektorin an der Uni Duisburg/Essen, und Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu, Bereich Interkulturelle Bildung an der Uni Bremen, beauftragt. Die Forscherinnen haben für »Viele Welten leben - Lebenslagen von jungen Frauen mit griechischem, italienischem, jugoslawischem, türkischem und Aussiedlerhintergrund« 950 Mädchen im Alter von 15 bis 21 Jahren in ganz Deutschland befragt.

Die Ergebnisse sind erstaunlich. Laut der Studie fühlen sich junge Migrantinnen in ihren Familien nicht eingeengt, im Gegenteil, sie schätzen den Zusammenhalt daheim, fühlen sich unterstützt und anerkannt, sind aber auch der Tradition verbunden. Zwischen 82 und 95 Prozent der befragten Mädchen mit Migrationshintergrund leben bei den Eltern und erfahren dort kaum geschlechtsspezifische Benachteiligung. Sie stimmen dem Traditionalismus zu, lehnen aber beispielsweise traditionelle Eheanbahnungsformen ab. 87 Prozent finden eine »arrangierte Ehe« schlecht bis sehr schlecht. Nahezu alle jungen Frauen wollen heiraten und wünschen sich Ehepartner, die treu, verständnisvoll, zuverlässig, liebevoll und zärtlich sind. Dabei stellt die konventionelle Ehe »heiraten und dann zusammenleben« für die meisten das gewünschte Modell dar. Nahezu alle wollen Kinder, die teilweise anders als sie selbst und zweisprachig erzogen werden sollen. Die künftige Lebensplanung ist bei einigen Herkunftsgruppen (jugoslawisch, türkisch) eindeutig auf Deutschland ausgerichtet, wobei die Anpassung an deutsche Sitten und Gebräuche zurückgewiesen wird. Auch haben die jungen Frauen durchweg kaum Beziehungen oder Freundschaften mit Deutschen.

Das sind Auszüge aus der über 50 Seiten umfassenden Studie. Die Ergebnisse vermitteln ein absolut »rosiges« Bild vom Leben der jungen Migratinnen in Deutschland, das so nicht stimmen kann. Marieluise Beck spricht von einer Verzerrung durch skandalisierte Einzelschicksale, aber lesen, hören und erfahren wir nicht jeden Tag von jungen Migratinnen, die von ihrer Familie unterdrückt, gedemütigt, zur Heirat gezwungen oder sogar aus Gründen der Familienehre von Brüdern oder Vätern umgebracht werden? Bei dieser Vielzahl von Einzelschicksalen zu sprechen, ist eine heftige Untertreibung. Dass die Mädchen bei der Befragung ein so harmonisches Bild von ihrem Leben gezeichnet haben, mag zum einen daran liegen, dass negative Erfahrungen und Erlebnisse oft nicht nach außen getragen werden, sondern Familiengeheimnis bleiben. Wie ist es sonst möglich, dass junge Frauen oft jahrelang Repressalien schweigend erleiden, sich niemandem und erst recht keiner deutschen Behörde anvertrauen und manchmal auch nur eine Lösung in der Flucht oder im Selbstmord sehen.

Und was ist mit Migratinnen aus Ländern wie Afghanistan, Asien oder Afrika, deren Kultur sich gewaltig von der deutschen unterscheidet und die in der Studie keine Berücksichtigung gefunden haben? Selbst bei jungen Frauen aus »Jugoslawien« gibt es gewaltige Unterschiede, die in der Studie nicht aufgeführt werden. Es sind zwei paar Schuhe, ob ein Mädchen aus dem westlich orientierten Serbien stammt oder aus dem extrem traditionsbewussten Kosovo, wo oft noch mittelalterliche Strukturen herrschen. Dass sich junge Italienerinnen oder Griechinnen in Deutschland mit ihrer Familie wohlfühlen, ist nicht verwunderlich, gibt es doch hier keine so gravierenden Unterschiede in der Lebensweise oder Mentalität. Für mich lässt die Studie viele Fragen offen und ist in vielen Bereichen nicht glaubhaft und repräsentativ. Wer sich selbst ein Bild machen will: »Viele Welten leben« ist im Internet unter www.bmfsfj.de, Stichwort »Forschungsnetz« und dann »Forschungsberichte« zu finden.

Helge Ebbmeyer

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