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»Die nackte Wahrheit« in der Schirn

Auf die Suche nach der nackten Wahrheit begeben sich zur Zeit viele, seien es Fußball-Funktionäre oder politische Untersuchungsausschüsse, ob sie diese aber wirklich finden werden, ist fraglich.

Ganz sicher zu finden ist die nackte Wahrheit in Frankfurt in der Schirn Kunsthalle, wo vom 28.1. bis 24.4.2005 eine Ausstellung unter diesem Titel stattfindet. Gezeigt werden Bilder und Zeichnungen der Wiener Avantgarde um 1900. Die Maler Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka sind darunter die Bekanntesten.

Alle bilden sie die Nacktheit ab, vorwiegend aber die Nacktheit von Frauen. Eine Ausnahme bildet Anton Kolig, der sich ausschließlich mit dem männlichen Körper beschäftigt und so seine versteckten homosexuellen Fantasien zum Ausdruck bringt.

Der Kampf gegen die scheinheilige Sexualmoral jener Zeit und die Zwänge einer großbürgerlich geprägten Gesellschaft ist allen gemeinsam. Sie griffen tabuisierte Themen wie Schwangerschaft, Sexualität, Homoerotik und Geschlechterkampf auf und provozierten damit einen nie dagewesenen Skandal. Durch die Sprengung jeglicher Grenzen wurden sie zweifellos zu Vorkämpfern der späteren sexuellen Befreiung. Bei aller Achtung vor der künstlerischen Freiheit beschleicht mich beim Gang durch die Ausstellung dennoch ein gewisses Unbehagen, und das nicht etwa aus moralischen Gründen.

Mir drängt sich die Frage auf, ob nicht neben der beabsichtigten Provokation mehr noch der uralte männliche Wunsch nach Macht über die Frau bei der Entstehung der Werke maßgeblich war. Besonders Egon Schieles Darstellungen von Frauen mit weit gespreizten Schenkeln und weit gespreizter Scham, signalrot hervorgehoben, lassen dies vermuten. Es ist dieser gynäkologische Blick, den ich, wie wohl die meisten Frauen, als unangenehm und entwürdigend empfinde. Auf Männer mag das anders wirken.

Vielleicht ist es aber gerade diese unterschiedliche männliche Sichtweise, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Schau zieht und diese Ausstellung zu einem noch immer aktuellen Dokument des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern macht.

Christa Berz

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