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»Ich fühle in meiner Seele einen Reichtum an Liebe«

Zum 150. Todestag der Darmstädter Schriftstellerin Louise von Gall

Vor 150 Jahren, am 16. März 1855 starb 39-jährig in Sassenberg (Westfalen) die Schriftstellerin Louise von Gall, eine gebürtige Darmstädterin. Schon zu ihren Lebzeiten war sie eine bekannte Schriftstellerin. Zeitungsredakteure wie Karl Gutzkow oder der Stuttgarter Verleger Cotta wetteiferten um Artikel von ihr für ihre Blätter. Ihre Novellen, Romane, Theaterstücke und Reiseberichte waren beim Lesepublikum äußerst beliebt. Zeitgenössischen Berichten zufolge war Louise von Gall nicht nur eine erfolgreiche Literatin, sondern auch eine faszinierende Persönlichkeit. In Wien, wo sie 1840/41 mit ihrer verwitweten Mutter längere Zeit lebte, waren Freunde von ihrer Intelligenz und Schönheit beeindruckt.

Sie war das einzige Kind ihrer Mutter, Friederike von Gall, die eine Tochter des Darmstädter Oberbaumeisters Johann Helfrich von Müller und seiner Frau Johanette von Westerfeld war.

Friederikes Ehemann, General Ludwig von Gall starb am 22. Juni 1815, wenige Wochen vor der Geburt seines einzigen Kindes Louise. Auch sonst musste diese von Natur lebenslustige Frau viele Schicksalsschläge verkraften: alle drei Brüder starben kurz hintereinander, noch zu Lebzeiten der Eltern.

Über die Kindheit von Louise und über ihre geistige Entwicklung sind wir ziemlich ausführlich aus den erhaltenen Briefen ihrer Mutter unterrichtet. Sie setzte ihr Vermögen und die Beziehungen der Familie ein, um ihrer begabten Tochter die bestmögliche Erziehung zuteil werden zu lassen. Louise sprach bereits als Kind mehrere Sprachen, malte und sang. Über das innige Verhältnis zu ihrer Mutter schrieb sie später an ihren zukünftigen Ehemann, Levin Schücking: »Ich habe nie im Leben eine andere Vertraute gehabt als meine Mutter. Auf ihre Liebe war ich wahrhaft stolz, denn sie liebte nur mich. Wir waren mehr wie zwei Schwestern als wie Mutter und Tochter«. Der plötzliche Tod der Mutter in Wien traf die 26-jährige angehende Sängerin und Schriftstellerin entsprechend hart.

Mehrere Freunde, vor allem ein Geschwisterpaar aus Ungarn, kümmerten sich um sie. Um von ihrer Trauer abzulenken, nahmen die ungarischen Freunde sie mit auf eine Reise nach Ungarn, die auf der Donau bis nach Pest führte. Diese Freundschaft und die Liebe zu dem damals von der industriellen Entwicklung noch unberührten Land begleiteten Louise von Gall Zeit ihres Lebens. Sie verfolgte aufmerksam den Kampf ungarischer Intellektueller für nationale Unabhängigkeit und wählte für ihren Roman »Gegen den Strom« Ungarn zum Schauplatz. In ihren Notizen kurz vor dem Tod äußerte sie sogar den Wunsch, ihre ungarische Freundin, Marie Horváth als Erzieherin ihrer Kinder nach Deutschland zu bringen. Diesen Wunsch wollte oder konnte Levin Schücking allerdings nicht erfüllen.

Louise von Gall kehrte im Herbst 1841 aus Ungarn nach Darmstadt zurück und wohnte bis zu ihrer Heirat im Herbst 1843 im Haus ihres Onkels in der Wilhelminenstraße. Bald war sie ein gern gesehener Gast im Salon der Luise von Plönnies, zu deren Freundeskreis auch das frisch verheiratete Ehepaar Ida und Ferdinand Freiligrath gehörten. Mit den Freiligraths verband sie bald eine innige Freundschaft. Freiligrath, der wegen der Gründung einer literarischen Zeitschrift nach Darmstadt kam, schrieb im Februar 1842 an seinen besten Freund Levin Schücking: »Fast kein literarisches Leben von Bedeutung hier in Darmstadt, wo Eduard Duller der besondere Günstling ist.« Dullers Zeitschrift »Vaterland« sei allerdings nur ein »unbedeutendes regionales Pfennigmagazin, für Gebildete zu viel und für das Volk zu wenig«. Immerhin kann Freiligrath dem Freund über die Besuche einiger berühmter Persönlichkeiten in Darmstadt berichten: Clemens von Brentano, August Freiherr von Gagern und Louise Christiane Grabbe besuchen ihn. Auch über den Besuch von Lorenz Diefenbach berichtete er, der bei dieser Gelegenheit vielleicht auch mit Louise Dittmar zusammentraf, mit der er später einige Briefe wechselte. Der scharfzüngige jungdeutsche Karl Gutzkow kam mit seiner Frau Amalie aus Frankfurt nach Darmstadt herüber, die wiederum bei dieser Gelegenheit wahrscheinlich auch Luise Büchner besuchten, die mit Amalie Gutzkow befreundet war. In dem oben zitierten Brief erwähnt Freiligrath auch die Bekanntschaft mit Louise von Gall, »die sehr geistreich, liebenswürdig und schön ist und die auch Schücking unbedingt kennenlernen muss«.

Nun dauerte es noch mehr als ein Jahr, bis Freundin und Freund der Freiligraths einander kennenlernten. Vorerst verbrachte Louise von Gall mit ihren Dichterfreunden einen herrlichen Sommer am Rhein, der als der »Poetensommer am Rhein« in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Die Dichterin Adelheid von Stolterfoth gehörte zu diesem Kreis, mit der Louise von Gall eine innige Freundschaft schloss, der amerikanische Dichter Longfellow, der zu den Verehrern »der schönen Gallina« (Freiligrath) gehörte und andere junge Literaten. In langen Briefen berichtet Freiligrath Freund Schücking über das Treiben dieser lustigen Gesellschaft. Da Levin, der zu dieser Zeit als Erzieher in einer Adelsfamilie sein Geld verdiente, in seinen Briefen über Einsamkeit und Sehnsucht nach geistigem Austausch klagte, schlug Freiligrath dem Freund einen Briefwechsel mit Louise von Gall vor. So entstand jener romantische Briefwechsel, in dessen Verlauf die beiden sich kennen- und lieben lernen und sich verloben, ohne sich je gesehen haben. Die erste persönliche Begegnung fand im Mai 1843 in Darmstadt statt. Offenbar gefielen die beiden Schwärmer einander, da sie nach einem gemeinsamen Aufenthalt mit den Freunden am Rhein am 7. Oktober 1843 in der katholischen Kirche in Darmstadt heirateten. Die 1928 in Buchform erschienenen »Brautbriefe« gehören übrigens mit zu den schönsten der deutschen Briefliteratur.

Die Ehe der beiden Literaten war sicherlich nicht mehr so romantisch wie ihre Verlobungszeit. Louise von Gall brachte fünf Kinder in zwölf Ehejahren auf die Welt. Geldsorgen und Schückings ernster, schwermütiger Charakter machten das Leben seiner Frau nicht gerade leicht. Die erhaltenen wenigen Briefe aus der Zeit der Ehe zeigen, welche Schwierigkeiten Louise von Gall überwinden musste, um neben Hausfrauen- und Mutterpflichten ihre schriftstellerische Arbeit fortzusetzen. Trotz aller Schwierigkeiten des Alltags blieben ihre starken Gefühle für Levin aus der Brautzeit nach diesen Zeugnissen offenbar unverändert. Und Levin wusste sehr wohl, was er mit dem Tod von Louise verloren hatte. Er schrieb in seinen Lebenserinnerungen: »Ich lernte durch sie in weite und mir unbekannt gebliebene Lebensperspektiven blicken; sie hatte alles mit ihrem Geiste, ihrer Lebhaftigkeit, ihrem schnellen und durchdringenden Verständnis aufgefasst, und mit ihrem großen Erzähltalent wusste sie es in dem Rahmen einer Phantasie von seltener Stärke und Schwungkraft gestellt wiederzugeben.« Ihre Natur, ihre Liebe sei ein »Seelenbad« für »seine eigene, durch manchen harten Zusammenstoß mit dem Leben doch mehr unterdrückte und gedämpfte Eigenart gewesen« schrieb er.

In einem ihrer Briefe an den noch unbekannten Levin schrieb Louise von Gall: »Ich fühle in meiner Seele einen Reichtum an Liebe – dass ich selbst darüber staune!« Dieses Staunen sich selbst und anderen Menschen gegenüber ist, was die Texte der in Darmstadt vergessenen Schriftstellerin auszeichnet und sie auch heute noch so lesenswert macht.

Agnes Schmidt

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