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»Ich arbeite viel, aber gern«

Die Ärztin Christine Hidas über ihren Alltag und über geschlechtsspezifische Faktoren in Diagnose und Therapie

Als Tochter ungarischer Eltern wuchs Christine Hidas (38) in Darmstadt auf. Sie machte Abitur an der Edith-Stein-Schule und studierte Medizin in Wien und Frankfurt am Main. Noch während der Studienzeit bekam sie ihren ersten Sohn. 1992 legte sie ihr Staatsexamen ab und arbeitete als Ärztin im Praktikum vorerst in der Chirurgie am Darmstädter Klinikum.
Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes 1995 übernahm sie für mehrere Monate Praxisvertretungen. Einige Jahre arbeitete sie Teilzeit in einem ambulanten Dialysezentrum in Darmstadt.
Seit dem ersten Dezember letzten Jahres absolviert sie ihre Fachärztinnenausbildung in Vollzeit in Darmstädter Klinikum auf dem Gebiet der Inneren/Nephrologie. Neben Familie und Beruf engagiert sich Frau Hidas auf vielen Gebieten: sie ist Mitglied im Deutschen Ärztinnenbund. Vor kurzem übernahm sie auch die Leitung der Frankfurter Gruppe und organisiert Seminare, Weiterbildungskurse und Netzwerkarbeit für Ärztinnen.
Als Delegierte vertritt sie den Ärztinnenbund im Deutschen Frauenrat und ist Mitglied des Arbeitskreises »Frauengesundheit« im Hessischen Sozialministerium und in der Deutsch-Ungarischen-Gesellschaft, sowie des Französischen Kulturvereins Südhessen.
Mit der Frauenbeauftragten der Stadt Darmstadt, Barbara Akdeniz, und dem Frauenbüro des Landkreises Darmstadt-Dieburg erarbeitete sie vor zwei Jahren einen Wegweiser für brustkrebskranke Frauen und nahm bei der Durchführung der Landesinitiative »Frauengesundheit« zur Selbstuntersuchung der Brust teil.

Frau Hidas, wie bewältigen Sie all diese Aufgaben?

Das ist eine Frage der Organisation. Natürlich habe ich wegen der Geburt meines zweiten Kindes bei der Fachärztinnenausbildung einige Zeit verloren. Mit Hilfe meines Mannes, meiner Eltern und Kindermüttern habe ich jedoch versucht, so wenig wie möglich zu pausieren. Dass mein Mann kein Arzt ist, ist sehr vorteilhaft. Bei Ärzteehepaaren ist es oft so, dass die Frau diejenige ist, die im Beruf - freiwillig oder nicht - mehr zurücksteckt als der Mann. Eines unserer Themen hieß an dem Ärztinnenseminar im vergangenen Jahr: Ärztin mit Anhang – emotionale Fall-stricke für die berufliche Laufbahn.

Eine Ganztagsschule mit Mittagessen für die Kinder würde wahrscheinlich ihr Alltagsleben sehr erleichtern?

Unbedingt. Bereits morgens nimmt das Vorbereiten der Frühstücksbrote viel Zeit in Anspruch. Über das Mittagessen muss ich mir bereits am Vortag Gedanken machen. Wir Eltern müssen uns darum kümmern, dass die Kinder nachmittags ihre Schularbeiten machen oder zum Sport und zum Musikunterricht gehen. Das alles könnte in der Schule stattfinden, wie in Frankreich oder Skandinavien.

Frau Hidas, seit den 1990er Jahren wird in Fachkreisen, aber auch zunehmend in der Öffentlichkeit über geschlechtsspezifische Aspekte bei der Diagnose und in der Therapie diskutiert. Was ist Ihre Meinung über die »Gender Medizin«?

Lange Zeit hat man in der medizinischen Forschung die Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Körper vernachlässigt. Ein Beispiel: die Menge von Schmerz- beziehungsweise Narkosemitteln wurde und wird heute noch nach Körpergewicht berechnet. Eine Frau mit einem Gewicht von 80 Kilo bekommt also genauso viel Medikamente wie ein Mann mit gleichem Gewicht. Neueste Forschungen haben gezeigt, dass Frauen auf Schmerzmittel anders reagieren, sie brauchen in der Regel eine kleinere Dosis. Dieses Erkenntnis ist deshalb wichtig, da zu viele Medikamente viele Nebenwirkungen haben. Neben dem Geschlecht spielt bei der Dosierung von Medikamenten auch das Alter eine große Rolle. Also: unsere Aufgabe ist es, eine angepasste medikamentöse Dosierung nach Geschlecht und Alter zu finden.

Die Testpersonen für neue Medikamente sind in der Regel männlich und etwa 30 Jahre alt. Sollte man neue Medikamente an Frauen ausprobieren, die in gebärfähigem Alter sind?

Medikamente in der Erprobungsphase sind in der Regel bereits so weit erforscht, dass sie auch für Frauen keine Gefahr bedeuten.

»Frauenherzen schlagen anders.« Mit diesem Titel erschien vor zwei Jahren ein Buch über eine Studie von Professor Regitz-Zagrosek, herausgegeben von zwei Ärztinnen, Ingeborg Siegfried und Antje Müller-Schubert. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema?

Bei Frauen sind die Symptome für einen drohenden Herzinfarkt andere als bei Männern. Oft werden diese Symptome von ihnen selbst, aber auch von den Ärzten falsch gedeutet. Auch bekommen Männer früher und häufiger Betablocker und Aspirin bei Beschwerden am Herzen.

Zusätzlich sind Frauen aufgrund ihrer sozialen Situation stärker gefährdet als Männer, durch einen Herzinfarkt oder einen akuten Anfall zu sterben. Der Grund dafür ist, dass vielmehr Frauen als Männer allein leben. Damit ist für Frauen wesentlich seltener jemand da, der oder die schnelle Hilfe holen könnte. Deshalb ist es wichtig, geschlechtsspezifische Gesundheitsaufklärung zu betreiben. Übrigens, bei Erkrankungen des Herzens ist eine familiäre Belastung bei Frauen genauso gefährlich wie bei Männern.

Und noch eine wichtige Erkenntnis: das Risiko, einen Herzinfarkt zu bekommen, ist bei Raucherinnen viel größer als bei Rauchern.

Auf welchem Gebiet spielt der Gender-Aspekt neben der Kardiologie noch eine wichtige Rolle?

Eigentlich auf allen Gebieten der Medizin. Nehmen Sie die Psychiatrie. Wie in nahezu allen somatischen Bereichen fanden bisher auch in psychiatrischen Erkrankungen die meisten pharmakologischen Untersuchungen fast ausschließlich an männlichen Personen statt. Die hormonelle Situation, deren Kenntnis bei psychischen Erkrankungen sehr wichtig ist, ist bei Frauen jedoch eine ganz andere als bei Männern. Durch Nichtbeachtung dieser Unterschiede bekommen Männer nach einer klaren Diagnose meistens eine adäquate medikamentöse Therapie, während Frauen viel häufiger unspezifisch mit Tranquilizern versorgt werden.

Bei der Entstehung einer psychischen Krankheit spielt bei Frauen die Doppel- und Dreifachbelastung eine wesentliche Rolle, deshalb sind auch Frauen besonders gefährdet, psychisch krank zu werden.

Wir stehen heute am Anfang einer Gender Medizin, aber es sind bereits einige Schritte in die richtige Richtung getan worden, nicht zuletzt durch das Engagement junger Ärztinnen, deren Zahl in der letzten Zeit stark gewachsen ist.

Frau Hidas, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

(Das Interview fand in Frau Hidas‘ Küche statt, wo sie eine Suppe für den nächsten Tag zubereitete, dem jüngeren Sohn Abendessen gab und gleichzeitig telefonierte.)

Das Interview führte Agnes Schmidt

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