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Geschlechterblindheit in der Medizin

Erst ganz langsam wird die Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in der Medizin ein Thema, das öffentlich diskutiert wird. Auf einer Fachtagung in Rossdorf, die vom Frauenbüro des Landkreises Darmstadt-Dieburg organisiert wurde, gaben Expertinnen und ein Experte den 120 Teilnehmerinnen und vier Teilnehmern einen Einblick in den aktuellen Stand der Gesundheitssituation von Frauen und Männern.

»Frauenherzen schlagen anders. Männerherzen auch« ist der Titel des Buches, das die Allgemeinmedizinerin Ingeborg Siegfried von der Uniklinik Gießen verfasst hat. Inzwischen sei es etwas bekannter, dass Frauen bei einem Herzinfarkt nicht die bei Männern typischen Ausstrahlungsschmerzen in den linken Arm hätten, sagte sie in ihrem Vortrag. Oberbauchschmerzen seien bei Frauen häufig ein Symptom, bei dem MedizinerInnen an einen Herzinfarkt denken müssten. Allein wegen der unterschiedlichen Stoffwechselsituation seien Männer und Frauen bei gleichen Krankheiten verschieden zu behandeln, sagte die Fachfrau für Gefäßkrankheiten. MedizinerInnen müssten auch die Hormonsituation im Blick haben. Als Beispiel führte Ingeborg Siegfried das Hormon Östrogen an. Die Blutgefäße würden durch die Östrogene vor Verschleiß und Herzinfarkt bewahrt. »Dieser Östrogenschutz wird durch die Antibabypille aufgehoben«, formulierte die Medizinerin. Ein weiterer Schwachpunkt bestehe in der Forschung. Sie kritisierte fehlende Untersuchungsergebnisse zur Aspirin-Dosierung. Das Schmerz- und Blutverdünnungsmittel müsse bei Frauen höher dosiert werden, damit es wirke. Fest stehe lediglich, »bei Frauen wirkt es weniger«.

Die Soziologin und Diplom-Sozialarbeiterin Christa Oppenheimer lenkte den Blick auf die Aufgabenverteilung in Krankenhäusern. Die Mehrheit der Ärzte seien immer noch Männer und die Mehrheit der Pflegenden seien immer noch Frauen. Das war auch für die Pflegewissenschaftlerin Eva-Maria Krampe der Ansatz ihres Referats. Es fehle jegliche Auseinandersetzung im Alltag und in der Forschung etwa zu der positiven Diskriminierung von Pflegern. Männlichkeit sei eine riskante Lebensform, resümierte die Politikwissenschaftlerin Maike Weerts von der Universität Bremen ihren Vortrag. Sie stellte die Unterschiede im Gesundheitshandeln heraus. Der Durchschnittsmann rauche, ernähre sich ungenügend und schade sich im Autoverkehr mit überdurchschnittlich vielen Unfällen. Zudem gingen nur 17 Prozent der Männer zur Krebsvorsorge-Untersuchung, Frauen nutzen diese zu 51 Prozent. Schließlich deckte sie auch eine sprachliche Ungleichheit auf. Bei Männern von typischen, und bei Frauen von untypischen Symptomen zu sprechen, zeige auf, dass der Mann immer noch als Norm gesehen wird, die Frau als die Abweichung davon.

Der Mann als Norm, die Frau als Abweichung

Die Position der Männer nahm der Vorsitzende des Dresdner Instituts für Erwachsenenbildung und Gesundheitswissenschaften Matthias Stiehler ein. Der gelernte Theologe und Erziehungswissenschaftler arbeitet hauptberuflich in der Beratungsstelle für Aids im Gesundheitsamt Dresden. Er fasst die Erkenntnisse seiner Arbeit zusammen, wenn er sagt: »Männer verleugnen ihre eigenen Nöte, weil diese in der Gesellschaft nicht akzeptiert werden«. MedizinerInnen, SozialwissenschaftlerInnen und PolitikerInnen müssten da an einem Strang ziehen, dies zu ändern, denn »Männer werden in ein Korsett gezwungen, das ihnen von Kindheit an auferlegt, nicht bei sich zu sein, sich nicht zu spüren und die Maßstäbe für eigenes Handeln im Außen zu finden«, erläutert Stiehler, der auch zum Initiativkreis bundesdeutscher Männergesundheit gehört. Ziel dieses Kreises sei, einen bundesweiten Männergesundheitsbericht in die Wege zu leiten. Ein Frauengesundheitsbericht sei 2001 bereits erschienen.

Barbara Köderitz

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