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Foto: privat

Die volle Dosis Athen

Eindrücke einer freiwilligen Helferin von den Olympischen Spielen

Gisela Schaffert ist Sekretärin an der TU Darmstadt. Sie arbeitet ganztags, hat drei studierende Kinder und läuft Marathon. Mit ihrer ältesten Tochter und dem Hund fuhr sie im VW-Bus nach Athen, um dort als ehrenamtliche Helferin bei den Olympischen Spielen dabeizusein. Ihre Eindrücke schildert sie in diesem Interview.

Gisela, wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, dich für die Olympischen Spiele zu bewerben?

Ich habe vor zwei Jahren in einer Studentenzeitschrift davon gelesen und gleich online ein Formular aus-gefüllt, es abgeschickt und die Sache ziemlich schnell wieder vergessen. Eines Tages bekam ich einen Brief mit der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in Athen. Ich wollte aber nicht extra hinfliegen. Also musste ich einen Fragebogen ausfüllen und drei Arbeitsbereiche ankreuzen, in denen ich tätig sein wollte und das zurückschicken. Und ich musste nachweisen, dass ich eine Unterkunft in Athen hatte.

Hast du für deine Arbeit eine Entschädigung bekommen?

Wir haben die Kleidung bekommen, und es hieß, das Essen sei frei. Es stellte sich nachher aber raus, dass es nur eine Mahlzeit war. Ich hatte noch Glück, weil ich im Olympischen Dorf war, und dort hatten wir eine gute Kantine. Allerdings hatten wir nur eine halbe Stunde Mittagspause, und wir durften nichts mit raus nehmen. Die Leute, die in den Stadien waren, bekamen ein Lunchpaket mit etwas Obst, zwei Sandwiches und einen Liter Wasser. Das war’s. Und das reicht nicht für einen achtstündigen Arbeitstag bei den hohen Temperaturen.

Das heißt, ihr habt die Anreise und die Unterkunft selbst bezahlt und noch nicht mal genug zu essen und zu trinken bekommen?

Es war schon ein ziemlich teures Vergnügen. In Athen gab es eine Art Olympiaaufschlag auf alles. Dabei bin ich mit meiner Tochter auf dem Campingplatz gewesen, aber selbst der war völlig überteuert. Und die sanitären Verhältnisse waren auch nicht so toll. 300 Leute auf dem Campingplatz, und für die gab es fünf Toiletten und fünf Duschen. Da kannst du dir ja vorstellen, wie es da aussah. Aber dann hat mir ein Kameramann gesagt, sein Hotelzimmer würde 460 Euro pro Nacht kosten, und das war noch nicht mal ein besonders tolles, und ich sei mit meinem Campingplatz noch gut dran.

Wo wurdest du eingesetzt?

Im Olympischen Dorf, als Mitarbeiterin des Fahrzeugpools. Für die VIPs und Funktionäre standen Fahrzeuge zur Verfügung. Die Leute haben dann bei uns angerufen und gesagt, wann sie wohin wollen, und wir haben dafür gesorgt, dass ein Auto da war und sie hingebracht hat. Allerdings gab es im Dorf keinen Informationsschalter, das hatten die Griechen einfach vergessen, und die Leute kamen dann alle an unserem Schalter vorbei und wollten alles mögliche wissen. Das hat mir richtig gut ge-fallen, sonst wäre es doch etwas lang-weilig gewesen. So furchtbar viele Fahrten gab es ja nicht zu organisieren.

Und wie bist du zur Arbeit gekommen?

Mit dem Fahrrad. Das hatte ich von zu Hause mitgebracht. Ich habe nur nicht gewußt, dass in Athen kein Mensch Fahrrad fährt und es ziemlich gefährlich ist im Straßenverkehr. Und die wilden Hunde sind hinter mir hergejagt; die kennen wohl keine Fahrräder. Ich hab mir dann Steine mitgenommen, um sie eventuell nach Hunden werfen zu können, weil ich schon ziemlich Angst vor denen hatte. Und die Autos nehmen auch keine Rücksicht auf Radfahrer. Meine Fahrt zur Arbeit war schon ganz schön aufregend.

Hattest du Gelegenheit, Wettkämpfe anzusehen?

Ja, ich war mit meiner Tochter beim Hockey, Beachvolleyball, beim Handball, bei der Leichtathletik, beim Bogenschießen - das war im historischen Stadion, das war ganz toll – beim Rudern, Marathoneinlauf und beim Schwimmen. Allerdings mussten wir Helfer da auch den vollen Eintritt zahlen. Wir haben immer die billigsten Plätze genommen. Bei der Leichtathletik war’s okay, da haben wir 40 Euro pro Person bezahlt, und die Veranstaltungen gingen von halb sieben bis Mitternacht. Beim Schwimmen haben wir auch 40 Euro bezahlt, und nach einer Stunde Vorläufe war alles vorbei. Beim Einlauf vom Marathon im Stadion kosteten die Plätze nur 10 Euro, aber eine Tageskarte fürs Fechten war unter 125 Euro nicht zu haben. Auf dem Campingplatz war eine fünfköpfige Familie mit einem Sohn, der selbst im Fechten aktiv ist, aber die konnten sich das nicht leisten. Wer kann das schon?

Hast du im Olympischen Dorf SportlerInnen auch gezielt angesprochen?

Eigentlich nicht. Wir haben zwar keine Verhaltensregeln bekommen, aber mir wäre das unangenehm gewesen. Die wollten da ihren Wettkampf machen und mussten sich konzentrieren, ich hätte das peinlich gefunden, denen nachzurennen. Nur Jan Ullrich habe ich um ein Autogramm gebeten, für meinen Chef, der wollte so gern eins. Aber Jan Ullrich kam sowieso zu mir, weil er auch den Informationsschalter suchte. Es hat sich dann einfach so ergeben, dass man mit einigen Sportlern ein paar freundliche Worte wechselte. Die freuten sich immer, wenn sie in ihrer Muttersprache angesprochen wurden. Ich bewundere das sehr, wenn Menschen das ganze Jahr über so diszipliniert und zielstrebig auf ein Ziel hinarbeiten. Umso schöner war es dann, wenn sie nach einem erfolgreichen Wettkampf vom Feiern zurück kamen und man ihnen anmerkte, dass sie richtig einen drauf gemacht hatten. Wie ganz normale Menschen eben.

Was hast du sonst noch für Eindrücke gewonnen?

Mir war nicht klar, wie hundefeindlich die Athener sind. Wenn wir mit unserem Hund durch die Stadt gegangen sind, haben die Leute einen Bogen um uns gemacht, als wären wir aussätzig. Der Hund durfte nicht in den Bus, nicht in die Metro, in kein Restaurant, es war wirklich nervig, weil wir dann dauernd mit dem Auto fahren und einen Parkplatz im Schatten suchen mussten. Nur morgens sehr früh und abends spät hat man Griechen gesehen, die mit ihren Hunden spazieren gingen.

Die Organisation der Griechen war im Olympischen Dorf ziemlich gut, bis auf den Informationsschalter. Ich hatte meiner Chefin vorgeschlagen, nachträglich einen zu organisieren, aber davon wollte sie nichts wissen, das war ja nicht ihr Aufgabengebiet. Ich hatte schon den Eindruck, dass alle dort ihre Arbeit gut machen, aber dabei nicht nach links und rechts gucken. Wenn der Schalter fehlt, fehlt er eben. Damit arrangiert man sich dann irgendwie.

Ach ja, und das Transportsystem war toll. Es gingen regelmäßig Busse vom Olympischen Dorf zu den Wettkampfstätten und auch zu zwei Metrostationen, von denen man überall hinkam. Das hat prima funktioniert.

Wenn du alle schönen und weniger schönen Erlebnisse zusammenzählst, hast du dann deine Entscheidung bereut, als freiwillige Helferin nach Athen zu fahren?

Nein, auf keinen Fall. Ich hab schon mal die Website von Peking 2008 angeschaut, aber das ist mir wohl doch zu weit.

Vielen Dank, dass du dir Zeit für das Gespräch genommen hast, und melde dich, falls du doch nach Peking fährst.

Das Interview mit Gisela Schaffert führte Andrea C. Busch

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