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Essen im Altenheim

Rund 25 Prozent der Menschen in Deutschland haben das 60. Lebensjahr überschritten. In dreißig Jahren wird jeder Dritte zu den Senioren zählen, deren Lebenserwartung von Jahr zu Jahr steigt. Dies schätzt die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. in einem im Juni 2004 veröffentlichten Dossier zum Thema »Essen im Alter«, und stellt fest: »Fakt ist: In einer Gesellschaft, die immer älter wird, wird auch das Thema Ernährung im Alter immer bedeutender«.

 

In Darmstadt erregte mit dem »Jahrhundertsommer« im letzten Jahr, als in einem Darmstädter Altenheim acht Bewohner starben, auch die Frage nach den Ernährungsgewohnheiten in Seniorenheimen die Öffentlichkeit. So informierte das Darmstädter Echo im Juli diesen Jahres über einen Hitzealarm für Senioreneinrichtungen, der vorsorglich vom Hessischen Sozialministerium ausgerufen worden war. Die Heime hatten unter anderem die Dienstanweisung, mehrmals täglich Getränke und Salzgebäck anzubieten, um die Bewohner an heißen Tagen vor Salzverlust und Austrocknung zu schützen.

In Heimen, so die Studie der Verbraucherzentrale Bundesverband, »liegen bisweilen 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner mit ihrem Körpergewicht unterhalb des Normbereichs«. Zwar entwickelte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Empfehlungen für die Nährstoffzusammensetzung von Seniorenspeisen, doch die sind für Lebensmittelhersteller und Heimköche nicht verbindlich. Dennoch wurden bei einer chemischen Untersuchung in Heimen die Richtwerte weitestgehend eingehalten – einzig die Versorgung mit Nährstoffen wie Eisen und Magnesium zeigte Mängel. Ursache ist hier vor allem die angebotene Hausmannskost, die auch zu leicht erhöhten Fettwerten führt. Daneben ist »Austrocknung durch Wassermangel eine der zehn häufigsten Diagnosen bei alten, akut ins Krankenhaus aufgenommenen Patienten« stellt Michael Engel, Autor der Studie, mit Blick auf die Flüssigkeitsversorgung in Altenheimen fest.

Ursache für Untergewicht, Mangel- und Fehlernährung ist demzufolge vor allem die Appetitlosigkeit der alten Menschen. Dafür gibt es zum einen biologische Gründe, wie die eingeschränkte Funktion der Enzyme in Magen und Darm, das Gehirn kann Hunger und Durst nicht mehr richtig deuten, Kau- und Schluckbeschwerden sowie hunger-hemmende Medikamente kommen hinzu. Zum anderen verderben soziale und gesellschaftliche Faktoren den Heimbewohnern den Appetit: die ungewohnte Atmosphäre im Speisesaal, das als fremd empfundene Essen im Heim, die Breikost oder gar Sondenernährung der bettlägerigen Patienten, die fast keine Möglichkeit zur Selbstbestimmung mehr haben.

Engel fordert grundsätzlich mehr Kreativität bei der Zubereitung der Mahlzeiten. Die Bewohner sollten in die Essensplanung und Gestaltung mit einbezogen werden. So erzählt eine Darmstädter Altenheimköchin (Der Name wird auf Wunsch des Heimes nicht genannt), dass in »ihrem« Heim einige Wochen lang ein Wunschzettel ausgehängt war. Ganz oben auf der Liste stand jedoch Maggibrot und Zuckerbrot: »Eine inzwischen 100 Jahre alte Bewohnerin macht sich jeden Tag selbst ein Zuckerbrot«.

Der tägliche Speiseplan umfasst zwei ausgewogene Menüs, dazu die leichte Vollkost sowie die Breikost. Allerdings stellt auch die für das Abendbrot zuständige Köchin fest: »Bockwürstchen, Hausmacherwurst und Hawaitoast sind die Renner, bei denen immer sehr gut zugelangt wird.« Sie muss vor allem die Vorlieben der Bewohner in Sachen Brotsorten kennen – bei rund 150 Personen keine leichte Aufgabe. Am Getränkeangebot werde meist gemosert, »der Tee ist eigentlich immer zu kalt, auch wenn er ganz frisch zubereitet ist«. Freitags ist üblicherweise der Käseplatten- oder Fisch-Tag, da viele Katholiken an diesem Wochentag keine Wurst essen: »Da gibt es auch mal Rollmops püriert«.

Essensgewohnheiten zu durchbrechen, hält auch Michael Engel für eine schwierige Aufgabe. Als Appetitanreger schlägt er Mottos für einzelne Mahlzeiten vor, um diese zum Festessen zu machen. Eine weitere Forderung im Dossier der Verbraucherzentrale betrifft die individuelle Ernährungsbetreuung: z.B. Hilfe beim Kleinschneiden, Aufmuntern zum Essen oder Füttern. Auch dies gehört zu den Aufgaben der Darmstädter Altenheimköchin. Sie ist fürs Tischdecken, für das Schneiden von Reiterchen und das Eingießen von Getränken im Speisesaal ebenso verantwortlich wie für die Essensverteilung auf den Stationen.

Engels zentrale Forderung lautet: »Abbau des Mangels an Pflegekräften. Die Seniorinnen und Senioren in Heimen haben ein Grundrecht auf eine würdevolle Versorgung und Verpflegung«.

Sylvia Reeg

Quellen:
Michael Engel: »Essen im Alter. Zu wenig? Zu viel? Das Falsche?« Dossier zur Seniorenernährung in Deutschland.
Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (Hrsg.), Januar 2004
www.vzbv.de.
Echo online, Petra Neumann-Prystaj, 22.7.4

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