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MATHILDE

Bärbel Sauer (49) von Beruf Erzieherin, war verheiratet und Mutter von vier Kindern, als ihr Leben durch tragische Ereignisse eine unerwartete Wende nahm.

 

Mit Mut und Überzeugungswillen

Interview mit der Winzerin Bärbel Sauer

Dein Leben hat sich im Jahre 1991 total verändert, sozusagen von einem auf den anderen Tag. Wie sah dein Leben bis dahin aus?

Ich war damals eine ziemlich schüchterne junge Frau, machte meinen Haushalt, half meinem Mann bei seiner Arbeit auf dem Hof und im Weinberg und war außerdem fürs Büro zuständig. Ich habe ja in dieses Weingut eingeheiratet, und mir war die Arbeit auch nicht ganz fremd, weil ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin. Unsere vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter, waren zwischen vier und vierzehn Jahren. Außerdem wohnte damals noch meine Schwiegermutter mit im Haus.

Was passierte an diesem schrecklichen Tag?

Ich muss vorausschicken, dass sich bei meinem Mann nach einigen guten Ehejahren eine Schizophrenie bemerkbar gemacht hatte, die sich immer mehr verschlimmerte. Das äußerte sich durch Wahnvorstellungen, extreme Eifersuchtsanfälle und zunehmende Aggressivität, die sich hauptsächlich gegen mich richtete. Er ließ mich zum Beispiel nicht mehr alleine aus dem Haus gehen. Er selbst hatte sich mit der Zeit ganz von anderen Menschen zurückgezogen. Für mich und die Kinder war dieser Zustand sehr belastend. Schlimm war auch, dass mir in meinem Umfeld kaum jemand glaubte, wenn ich meine Not beschrieb, am wenigsten meine Schwiegermutter.
An dem besagten Tag war mein Mann alleine mit dem Auto unterwegs und kam abends nicht nach Hause. Das war bis dahin nie vorgekommen und ich machte mir große Sorgen. Schließlich meldete ich ihn bei der Polizei als vermisst. Nach vierzehn Tagen fand man ihn; er hatte Selbstmord begangen.

Das war sicher ein großer Schock für dich. Hattest du eine Vorstellung, wie es weitergehen könnte?

Nein, zuerst war ich wie gelähmt. Schwer auszuhalten war auch das plötzliche öffentliche Interesse, denn es hatte ja alles in der Zeitung gestanden. Außerdem ist unser Ort ziemlich klein, jeder kennt jeden. Da spricht sich so etwas schnell herum.
Es blieb mir nicht viel Zeit zum Überlegen, wie es weitergehen könnte. Das Weingut war finanziell fast am Ende, weil mein Mann keine Kundenkontakte mehr gewollt hatte und das Hoftor fast immer geschlossen bleiben musste. Wir waren so gut wie nie ausgegangen und hatten völlig isoliert gelebt.

Aber irgendwie musste es doch weitergehen. Hattest du Menschen, die dir über die erste Zeit hinweghalfen?

Ja, meine beiden Brüder standen mir mehr mit Rat als mit Tat zur Seite, denn sie haben beide ihre eigenen Höfe und deshalb kaum Zeit. Einige Nachbarn halfen, und ich hatte eine Freundin, die sich ab und zu um die Kinder kümmerte. Da das Weingut jetzt zu gleichen Teilen mir und meinen Kindern gehörte, hatte ich plötzlich auch noch mit dem Jugendamt zu tun. Sie befürchteten, dass ich das Erbe der Kinder »verprassen« könnte.

Was waren deine nächsten Schritte?

Ich habe mich an der Fachschule für Weinbau in Neustadt/Weinstraße angemeldet, um mich zur Winzerin ausbilden zu lassen. Ich hatte ja wenig Ahnung von der eigentlichen Arbeit im Weinkeller, wie der Wein ausgebaut wird und so weiter. Ich fuhr zweimal in der Woche abends 80 Kilometer einfache Strecke zur Schule und das zwei Jahre lang. In der Klasse war ich die einzige Frau unter 34 Männern, die mir das gar nicht abnahmen, dass ich wirklich Winzerin werden wollte. Ich war klapperdürr damals, alle bezweifelten, dass ich das kräftemäßig überhaupt schaffen könnte und die Lehrer behandelten mich eher mitleidig. Aber ich hielt durch und machte den Abschluss.

Und wie lief es zu Hause?

Mein ältester Sohn hatte inzwischen eine Lehre als Winzer angefangen, gegen meinen Wunsch leider nicht zu Hause, sondern auf einem anderen Weingut. Ich hätte seine Hilfe wirklich gut gebrauchen können damals. Aber im Nachhinein muss ich ihm natürlich recht geben, denn so konnte er neue Erfahrungen sammeln, die mir letztlich heute wieder zugute kommen.
Du musst dir vorstellen, dass es wirklich schwere Arbeiten zu tun gibt, zum Beispiel die Traktorarbeit im Weinberg, das Schneiden, die Weinlese und der Ausbau im Keller. Da musste ich mir immer wieder Hilfe von außen holen, obwohl meine anderen Kinder mir auch sehr viel geholfen haben. Ständig musste ich nach neuen Einkommensquellen suchen, um uns finanziell über Wasser zu halten. Als erstes stellte ich von Fass- auf Flaschenproduktion um und bot außerdem besondere Verpackungsvarianten an, die mir viele neue Kunden brachten. Zu der Zeit waren die Preise für Wein allerdings extrem eingebrochen, so dass ich kaum Gewinn erwirtschaften konnte.

Wie hast du es dann geschafft, in die Gewinnzone zu kommen?

Ich hatte die Idee, eine Probierstube anzubauen, um mehr Leute auf den Hof zu holen. Das war im dritten Jahr. Dann habe ich Kurse gemacht, wie man Gäste bewirtet und Familienfeste ausrichtet. Das brachte mir weitere Einkünfte. Ich wollte unbedingt jedem meiner Kinder eine gute Ausbildung ermöglichen und das ist mir gelungen. Meine Tochter ist Gärtnerin an der Dombauhütte Mainz, mein zweiter Sohn ist Maschinenbauingenieur und mein Jüngster macht eine Lehre als Zerspannungsmechaniker.
Nach seiner Ausbildung kam mein ältester Sohn als Winzermeister wieder zurück auf den Hof. 1996 wurde er als drittbester Jungwinzer Deutschlands ausgezeichnet. Inzwischen ist er verheiratet und wohnt nun mit seiner Frau und seinem Töchterchen hier. Seitdem geht es viel besser. Ich konnte das Haus modernisieren, Raum für Raum, den Innenhof pflastern und neu gestalten lassen und bin auch schon öfter in Urlaub gefahren.
Die schwere Weinbergarbeit macht jetzt mein Sohn zusammen mit einem Angestellten und ich kann mich mehr auf Vermarktung, Kundenbetreuung und die übliche Büroarbeit konzentrieren. Es läuft gut.
Einmal im Jahr veranstalten wir ein Hoffest mit Musik, Speisen und Getränken und mit Kinderunterhaltung, wo viele Gäste von weit her kommen und auch viele Leute aus dem Ort mitfeiern.

Meine Hochachtung! Ich kann dich nur beglückwünschen zu so viel Mut und Durchhaltevermögen. Du hast mir eine richtige Erfolgsstory erzählt, obwohl der Anfang ziemlich schrecklich war und es auch danach für dich und die Kinder noch ziemlich schwer gewesen ist. Ich wünsche dir auch weiterhin viel Erfolg.

Die Fragen stellte Christa Berz

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