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MATHILDE

 

Heidemarie Wieczorek-Zeul

wurde am 21. November 1942 in Frankfurt am Main geboren. Nach ihrem Lehramtsstudium an der Universität Frankfurt, arbeitete sie von 1965 bis 1974 an der Friedrich-Ebert-Schule in Rüsselsheim.

»Ich habe meinen Schülern und Schülerinnen immer gesagt: ihr habt euren Kopf nicht zum Nicken, sondern zum Denken«.

1965 trat sie in die SPD ein, wurde 1968 Stadtverordnete in Rüsselsheim und 1972 Mitglied des Kreistages in Groß-Gerau. Von 1974 bis 1977 war sie Bundesvorsitzende der Jungsozialisten (JUSOS).

»Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden können sich als leitende Grundsätze nur dort behaupten, wo die Bürgerinnen und Bürger die politischen Prozesse durchschauen und beeinflussen können.«

Danach war sie zwei Jahre lang Vorsitzende des »Europäischen Koordinierungsbüros der internationalen Jugendverbände« und anschließend von 1979 bis 1987 Mitglied des Europäischen Parlaments, Mitglied des Deutschen Bundestages für Wiesbaden und europapolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion wurde sie 1987, ein Jahr später war sie bis 1999 Bezirksvorsitzende der südhessischen SPD. 1993 gewählt als stellvertretende Vorsitzende der Bundes-SPD und europapolitische Sprecherin der SPD (Schwerpunkt unter anderem Europäische Entwicklungspolitik) und seit Oktober 1998 ist sie Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

"Ich lasse mich nicht abschrecken"

Interview mit der Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul

Heidemarie Wieczorek-Zeul ist seit fast 40 Jahren aktiv in der Politik: in dieser Zeit hat sie ein Profil entwickelt, das von klaren Strukturen, Hartnäckigkeit und Kampfeswillen gekennzeichnet ist. Ihr Amt nimmt sie wichtig, hält die Entwicklungspolitik für einen wichtigen Pfeiler in der weltweiten Politik für Frieden und Gerechtigkeit, immer die Menschen selbst im Blick. So stellt sie sich dar, so redet sie, und das ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, wie jüngst im Juni bei ihrer Rede anlässlich der internationalen Konferenz für Erneuerbare Energien im Bundestag vor den Delegierten aus 154 Ländern. Sie scheut sich nicht, auch klare Worte für die Großmacht USA zu finden, die sich aus der Klimapolitik ausgeklinkt hat. Ein solches politisches Engagement erfordert Mut und Durchhaltevermögen. Darüber hat sich MATHILDE mit der Entwicklungsministerin unterhalten.

In meiner Einleitung beschreibe ich Ihre politische Arbeit als wagemutig. Empfinden Sie sich selbst so?

Wissen Sie, ich finde es immer sehr schwierig, sich selbst zu charakterisieren. Ich kann Ihnen vielleicht statt dessen erzählen, von welchem Vorbild ich mich immer habe leiten lassen: Im Neuen Testament erzählt Jesus die Geschichte der hartnäckigen Witwe. Sie hat ein Anliegen, mit dem sie immer wieder zu einem Richter kommt, der aber verstockt ist und ihr nicht recht geben will. Sie lässt aber nicht locker – bis der Richter irgendwann nachgibt und sie das bekommt, was ihr zusteht. Das hat mir imponiert, und vielleicht bin ich ein bisschen so wie diese hartnäckige Witwe. Ich lasse mich nicht abschrecken, wenn ich weiß, dass ich für eine gerechte Sache kämpfe.

Wie schwer mussten Sie sich diese Eigenschaften erkämpfen?

Als ich anfing, politisch aktiv zu werden, gab es kaum Frauen in allen politischen Parteien. Bei der ersten Juso-Konferenz, an der ich teilnahm, wollten einige der Männer mir typische Frauenarbeiten wie Protokoll schreiben zuweisen – das hat mich angespornt, es ihnen zu zeigen. Und wie Sie wissen, bin ich später selbst Bundesvorsitzende der Jusos geworden.

Welches politische Vorhaben hat Sie in Ihrer langen Laufbahn am meisten Kraft und Mut gekostet?

Es gibt ein Vorhaben, das mich in meiner gesamten Arbeit umtreibt – und das immer wieder Mut erfordert: Die Stimme zu erheben für diejenigen, die ansonsten nicht gehört werden. Das gilt genauso in Deutschland wie in den Entwicklungsländern. Ich streite für eine umfassende Solidarität – und in Zeiten der Globalisierung kann das nur bedeuten, auch globaler Solidarität zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn Sie es aber konkreter wissen möchten: Ich habe schon als Abgeordnete im Europa-Parlament für eine Änderung der ungerechten Handelsregeln der damaligen Europäischen Gemeinschaft gekämpft – und tue das noch immer. Die Stichworte, die mich wie ein Refrain begleiten, lauten: Abbau von Exportsubventionen, gerechte Zollbestimmungen und gleiche Chancen für alle auf den Weltmärkten.

Ich möchte nun über verschiedene Stichworte mit Ihnen sprechen. Einmal das Stichwort »Friedenspolitik« und damit verbunden die »gerechte Gestaltung der Globalisierung«: In Reden lassen sich diese Dinge wunderbar darstellen, doch in der Umsetzung erfordern Ihre Forderungen (ich denke zum Beispiel daran, die USA in Bezug auf den Abbau von Subventionen im Globalisierungsprozess stärker unter Druck zu setzen oder Entwicklungsgelder gegen wirtschaftliche Interessen der Regierung durchzusetzen) doch sehr viel Mut und Durchhaltevermögen. Wie stark ist der Gegendruck, den Sie aushalten müssen, und wie halten Sie ihn aus?

Natürlich bekomme ich Gegendruck – von den unterschiedlichsten Seiten; von der Opposition, von Lobbygruppen, von anderen Regierungen. Doch gibt es auch immer wieder Erfolge, die mir Mut und Kraft geben. Daraus ziehe ich meine Kraft. Das kann ich Ihnen auch an einem Beispiel erzählen: Im vergangenen Jahr habe ich an der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation im mexikanischen Cancun teilgenommen. Ein Thema war dort das Anliegen von vier westafrikanischen Ländern, die unter den obszön hohen Baumwollsubventionen der Industrieländer leiden. Die Westafrikaner können ihre Produkte nicht mehr mit Gewinn auf dem Weltmarkt verkaufen – obwohl ihre Baumwolle sehr gut ist – weil die Industrieländer die Preise mit den Subventionen in den Keller gedrückt haben. Um darauf aufmerksam zu machen, habe ich mit meinen afrikanischen Kollegen einen Baumwolltag in Cancun veranstaltet. Vorher haben mir alle gesagt: »Das darfst du nicht machen, das schwächt unsere Verhandlungsposition, das geht nicht.« Aber wir haben soviel Aufmerksamkeit erregt und Druck erzeugt, dass die EU in diesem Frühjahr ihre Baumwollmarktordnung geändert hat. Jetzt gibt es wenigstens bei uns schon einmal weniger Subventionen – und gute Aussichten für die Westafrikaner. Solche Veränderungen dauern natürlich lange, aber gerade das Beispiel »Baumwolle« erinnert mich immer daran, dass es auf jede und jeden einzelnen von uns ankommt. Und das gibt mir Mut und Kraft.

Ein weiteres Stichwort ist »Bürgernähe«, das im Zusammenhang mit Ihrer Politik fast immer auftaucht. »Bürgernähe« klingt gut, doch wie nah können Sie den Bürgern noch sein? Besser: Ist es nicht schwierig, in Ihrem Amt noch die Gratwanderung zwischen politischen Anforderungen und persönlichen Idealen zu schaffen?

Ich bin direkt gewählte Bundestagsabgeordnete für meinen Wahlkreis in Wiesbaden. Ich halte regelmäßig Bürgersprechstunden ab, zu denen die Menschen mit ihren ganz alltäglichen Problemen kommen: Arbeitsplatzsuche, Ausbildungsplätze, Aufenthaltsregelungen. Ich nehme das sehr, sehr ernst. So habe ich mich mit großem Engagement für den Erhalt der Arbeitsplätze beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden eingesetzt, um nur ein Beispiel zu nennen. Ich konnte und kann eigentlich das, was ich in Wiesbaden tue, immer gut verbinden mit dem, was in Berlin geschieht. Dadurch weiß ich bei Kabinettsentscheidungen auch ganz genau, welche Auswirkungen sie auf das reale Leben der Menschen haben. Und dann setze ich mich mit diesem Wissen in Berlin bei meinen Kolleginnen und Kollegen für Veränderungen ein.

Das letzte Stichwort, über das ich mit Ihnen sprechen möchte, ist »Einmischen«. Sie haben sich bereits vor 40 Jahren eingemischt, als Frau in den 60er Jahren war das sicherlich sehr viel schwieriger als heute. Was waren die höchsten Hürden, die Sie nehmen mussten, um sich zu behaupten? Wie haben Sie die Veränderung im Bewusstsein der Politiker und der Medien über einmischende und mitmischende Frauen erlebt?

Eine große Hürde ist, dass viele Menschen, vor allem Männer, bei Frauen nicht differenzieren. »Frau« ist »Frau« – egal, ob sie für Entwicklungspolitik oder für Familienpolitik zuständig ist. Das passiert immer noch und immer wieder. Ich glaube, die kooperativen Eigenschaften der Frauen – nämlich zu diskutieren, vernetzt zu denken, sich für eine Sache und nicht für die eigene Eitelkeit einzusetzen – werden immer noch weniger gesehen und geringer geschätzt. Da hat sich zwar in den vergangenen Jahren schon einiges getan. So ist es natürlich schon etwas anderes, als einzige Frau, wie in den frühen 70er Jahren, für etwas zu streiten, als heute eine ganze Reihe von Mitstreiterinnen zu haben. Und: Diesen Eigenschaften der Frauen gehört die Zukunft.

Die Fragen stellte Gabriele Merziger

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