Werden Sie auch eine

MATHILDE

Jetzt spucken sie auch

Sind Frauen weniger aggressiv als Männer?

Neulich habe ich zum ersten Mal eine Frau auf die Straße spucken sehen, als ich in Darmstadt in der Nähe des Weißen Turms unterwegs war. Das wäre eigentlich kaum erwähnenswert – Männer tun das ja andauernd – aber ich frage mich doch, ob Frauen denn wirklich alles nachmachen müssen, selbst das, was auch bei Männern nur schwer zu akzeptieren ist. Müssen wir nun damit rechnen, dass Frauen bald auch in jede Ecke und in dunkle Hauseingänge pinkeln?

Es scheint tatsächlich ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, das manche Frauen geradezu zwingt, es den Männern in allen Lebensbereichen gleichzutun. Vom Grundsatz der Gleichberechtigung her gesehen ist das durchaus legitim. Aber ist es deshalb auch erstrebenswert?

Gleiches gilt auch für das Aggressionsverhalten.

Die Fernsehanstalten vermelden, dass sich immer mehr ZuschauerInnen im Fernsehen die Länderspiele der Fußball-Frauen lieber anschauen als die der männlichen Kollegen. Und warum? Die Frauen spielen nicht nur besser, (immerhin sind sie amtierende Weltmeisterinnen) sie spielen auch mit größerem Einsatz und sind vor allem weniger aggressiv. Das macht sie so sympathisch. Dass sie auch nicht dauernd in der Gegend herumspucken wie die Fußball-Männer, sei nur nebenbei bemerkt.

Aggression bedeutet laut Duden Angriffsverhalten, wodurch aber nur annähernd ausgedrückt werden kann, was speziell im Herrenfußball als noch akzeptabel oder sogar als normal gilt. Die Helden von Bern mit ihren vergleichsweise harmlosen Fouls erscheinen uns wie sanfte Waisenknaben, stellen wir sie ihren Kollegen des Jahres 2004 gegenüber. Das trifft aber auch für Eishockey und den anderen »Mann«schaftssportarten zu.

Dass Jungen aggresiver sind als Mädchen, ist seit langem wissenschaftlich bewiesen. Noch 1974 sahen die Forscher diese geschlechtsspezifischen Unterschiede im Aggresionsverhalten jedoch als biologisch bedingt und deshalb nicht veränderbar an. Unberücksichtigt blieben damals noch die sozialhistorischen und soziokulturellen Aspekte.

Die allgemeine Aussage, Frauen seien weniger aggressiv als Männer, sagt noch nichts über die Erscheinungsformen männlicher und weiblicher Aggression in unterschiedlichen Gesellschaften, Kulturen, sozialen Schichten, Altersgruppen oder eben auch im Sport aus. Aggression ist letztenendes bestimmt durch Machtverhältnisse und Machtbalancen innerhalb der einzelnen Gruppen und u.a. auch Ausdruck der Machtungleichgewichte zwischen Männern und Frauen. So ist davon auszugehen, dass sich aufgrund der zunehmenden Verringerung der Machtunterschiede zwischen Männern und Frauen das Aggressionsverhalten der Frauen dem der Männer anpassen wird. Im Bereich des Wettkampfsports wird dies sehr gut deutlich.

Aggression hat im Wettkampfsport eine gewisse Normalität. Dies ist einer der Gründe, warum Frauen lange Zeit generell von sportlichen Betätigungen ausgeschlossen waren und sich der Sport sehr lange – in einigen Sportarten bis heute – als »männliche Bastion« gehalten hat.

Die Geschichte des Regelwerks der einzelnen Sportarten ist zunächst eine Geschichte der wachsenden Tabuisierung und Dämpfung psychischer Gewalt.

Dies lässt sich am Beispiel des Fußballsports wiederum stellvertretend verdeutlichen. Seit 1845 sind Tritte gegen das Schienbein und das Tragen von eisenbeschlagenen Stiefeln verboten. Von 1874 an wurde das Treten, Schlagen und Beinstellen untersagt und 1884 der Schiedsrichter als externe Gewaltkontrolle eingeführt. Seit 1909 gibt es nach einem schweren Foul einen Platzverweis und 1970 werden als weitere Sanktionsmaßnahmen die Gelbe und Rote Karte eingeführt. Entgegen dem Trend zur Dämpfung der expressiven Aggression im Männersport zeichnet sich im Frauensport eine Zunahme expressiver, affektgeladener und lustvoll erlebter Aggression ab. Besonders deutlich wird das am Beispiel des Ringens und Boxens, in denen Frauen heute wie selbstverständlich Weltmeister- und Europameisterschaften austragen.

Aggression im Frauensport hat eine sehr wechselvolle Geschichte. So ist beispielsweise aus Sparta überliefert, dass körperliche Übungen und Wettkämpfe für Frauen selbst in harten Sportarten wie Ringen und Faustkampf einen großen Stellenwert hatten. Die Athenerinnen dagegen waren von allen sportlichen Betätigungen ausgeschlossen und mussten weitgehend in häuslicher Zurückgezogenheit leben.

Körperliche Übungen von Frauen im Mittelalter beschränkten sich vor allem auf Volkstänze oder Wettläufe, die auf Volksfesten überwiegend von Dirnen zur Volksbelustigung ausgetragen wurden. Körperliche Übungen der Frauen der oberen Schichten beschränkten sich auf Pferdesport, Florettfechten und tennisähnliche Spiele, die jedoch wieder verschwanden.

Mit dem Rokoko, wo die Sucht nach Bequemlichkeit und Luxus aufkam, verflachten die körperlichen Übungen der Frauen wieder, weil sie den Schönheitskanons dieser Zeit widersprachen.

Erst in den modernen Industriegesellschaften setzte ein Wandel der Machtbalancen zwischen den Geschlechtern ein und somit ein Trend zur Zunahme physischer Aggression im Frauensport.

Untersuchungen haben gezeigt, dass in den letzten fünfzig Jahren das Aggressionspotential bei den Sportlern enorm angestiegen ist. Bei den Sportlerinnen bewegt sich die Aggression auf einem zwar niedrigeren Niveau, steigt aber auch stetig an. Demnach sei es nur noch eine Frage der Zeit, dass expressive Aggression im Frauensport sich nicht mehr von der im Männersport unterscheidet. Speziell im Frauenfußball ist eine Entwicklung zu beobachten, nach der sich Härte, Aggressivität und expressive wie affektarme, instrumentelle Aggression mehr und mehr durchsetzen und den Standards der Männer anpassen. Noch unterscheiden sich die Fußball-Frauen positiv von den Männern, aber die Unterschiede verwischen sich zusehends.

Es bleibt zu hoffen, dass mit der wachsenden Teilhabe der Frauen an Sportarten, die expressive Aggression bedingen, nicht in gleichem Maße auch deren Bereitschaft zur Anwendung physischer Aggression zunehmen wird.

Christa Berz

zurück

MATHILDE