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MATHILDE

»Ich starre auf diesen Mann mit dem erloschenen Gesicht. Ich kenne ihn nicht. Aber ich erkenne mich in ihm...«

...Wibke Bruhns, als sie ihren Vater, Hans Georg Klamroth, in der Fernsehdokumentation über den 20. Juli vor Gericht sah.
Er wurde am 28. August 1944 wegen Hochverrats in Plötzensee hingerichtet;
der NS-Volksgerichtshof hatte ihn als Mitwisser des Attentats auf Adolf Hitler zum Tode verurteilt.

Der fremde Vater

Interview mit Wibke Bruhns über ihr Buch »Meines Vaters Land«

Wibke Bruhns (*1938 in Halberstadt) wurde bundesweit bekannt, als sie 1971 als erste Frau die »heute«-Nachrichten im ZDF präsentierte. Ab 1979 war sie Stern-Korrespondentin in Israel und in den USA, später Kulturchefin des ORB. Heute lebt sie als freie Autorin in Berlin.

Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?

Es gibt viele Antworten: Einmal war mir aufgefallen, dass, nachdem ich die Videoaufnahmen vom Volksgerichtshof gesehen habe, wo mein Vater vor Freissler steht, dass ich nichts über ihn weiß, und dass er mich so ungeheuer angerührt hat, wie er so da stand. Und zum anderen dachte ich, es sei nun allmählich mal an der Zeit, mich einem lange vermiedenen Thema zu nähern. Ich habe als junge Frau, aber auch als junges Mädchen, ein bisschen Probleme gehabt mit dem 20. Juli, der Stimmung in Deutschland in den 50er Jahren zusammen. Da waren das ja durchaus noch Hochverräter, man wusste nicht, wie man sich dazu so richtig verhalten sollte. Und dann dachte ich, ich will keine Heldentochter sein, und ich will mich schon gar nicht mit fremden Federn schmücken. Aber ich wusste auch nicht, wie diese Federn eigentlich wirklich aussehen. Und nun hab ich gedacht, nun wird’s wirklich Zeit.

Der fremde Vater, in dem Sie sich äußerlich wiedererkennen; die Suche nach seiner – und Ihrer – Geschichte, um zu sich selbst zu finden: Ist Ihnen die Annäherung gelungen, sind Sie zufrieden?

Ja, das bin ich schon. Wobei ich immer ein bisschen zögere mit dem Wort Vater. Ich habe nicht wirklich eine Beziehung zu der Funktion, sondern ich bin einem Menschen sehr nahe gekommen, und er ist mein Vater. Aber das hat nicht wirklich etwas damit zu tun, dass wir blutsverwandt sind. Hätte ich irgend jemand anderen gehabt, über den ich so viel hätte erfahren können, dann wäre das genau so gewesen, denke ich mal. Vater ist für mich wirklich funktional. Wohingegen der Mensch, der mir näher gekommen ist, und zwar in all seinen guten und schlechten Seiten, den hab ich wirklich »rund« gekriegt, behaupte ich, der ist mir natürlich sehr nahe gekommen.

Welche Fragen sind offen geblieben?

Gar keine. Ich werde häufiger danach gefragt. Ich glaube, ich weiß alles, was ich wissen will. Da gibt es natürlich ein paar Lücken in den Dokumenten, und da ich meine journalistische Sorgfaltspflicht hier wirklich nahezu übertrieben habe, ich habe nichts geschrieben, was ich nicht belegen konnte, sind da ein paar Löcher. Aber ich habe diese Löcher ergänzen können, dadurch, dass ich korrespondierende Dokumente von anderen hatte, so dass ich Rückschlüsse ziehen konnte. Ich glaube, ich habe so wirklich alles begriffen, was man in diesem Fall begreifen musste.

Welche Stationen waren für die politische und militärische Entwicklung Ihres Vaters wichtig?

Also, ich würde da schon noch ein Stück zurückgehen. Der Großvater war sehr wichtig und die Tatsache, dass der Vater geboren und aufgewachsen ist in der Wilhelminischen Zeit. Das war eine ganz spezielle Prägung, die sich nicht nur bei ihm, sondern auch bei vielen Deutschen durchgezogen hat bis in die Nazi-Zeit. Die Wirbel und Turbulenzen in den 20er Jahren haben ihn schwer gebeutelt. Es war überhaupt nicht mit seinem nationalen Selbstverständnis vereinbar, dass Deutschland diesen Versailler Vertrag unterschreiben musste, und für mich jedenfalls, nachdem ich das alles durchgelesen habe, wurde plötzlich sonnenklar, wie das eine aus dem anderen entstanden ist.

Wann hat Ihr Vater begonnen, seine politischen Koordinaten zu überprüfen?

Ja, wenn ich das wüsste, dann wäre es natürlich auch besser. Aber das kann man ja auch nicht wissen, weil ja niemand dieser Menschen das aufgeschrieben hat, außer vielleicht die Moltkes. Und er ist ein Geheimdienstmann, der hat natürlich nicht darüber geredet, und er hat natürlich nicht darüber geschrieben. Ich vermute, dass es sich im Jahre 1943 so ergeben hat, als er in Berlin war, und eben mit vielen Leuten des Ersatzheeres, was ja die treibende militärische Kraft dieses Umsturzes war, zu tun hatte und befreundet war. In den Kaltenbrunner-Berichten nennt er »Stalingrad« als Auslöser.

Welche Funktion nahm er im Kreis der Widerstandskämpfer wahr?

Gar keine. Er war Mit-Wisser, nicht Mit-Täter. Nun hatten die ja auch nicht mehr richtig die Chance, irgend etwas zu tun. Er saß auf einem Abwehrposten, auf einer Position, wo er nicht wirklich nützlich sein konnte. Er hat niemanden denunziert, deswegen haben sie ihn gehenkt. Er war für nichts vorgesehen, er hat mit Sicherheit an keinen Planungsbesprechungen teilgenommen. Also, wenn ich sage »mit Sicherheit«, dann sind das meine Vermutungen. Doch er würde auch das natürlich nicht aufgeschrieben haben. Er hatte keine andere Funktion, als die anderen nicht zu verraten und sie gegebenenfalls, wäre es denn gelungen, zu unterstützen. Davon gehe ich mal aus.

Sie haben sich emotional wie politisch mit Ihrer Familiengeschichte auseinander gesetzt. War diese Auseinandersetzung von Anfang an so gewollt? Wie schwer trägt man am Erbe eines solchen Vaters?

Also, jetzt zögere ich ein bisschen. Ich glaube, ich habe nie »schwer« an seinem Erbe getragen.
Es hat mich einfach ungeheuer interessiert. Als ich den Sprung gewagt habe, mich wirklich in diese unendlichen Mengen von Material zu stürzen, war ich fasziniert, weil ich auch entdeckt habe, dass diese Familie prototypisch ist für eine ganze Reihe von bürgerlichen bis großbürgerlichen Familien, die in Deutschland Führungspositionen eingenommen haben, die Verantwortung trugen, die geprägt waren durch die Wilhelminische Zeit und die im Ersten Weltkrieg waren, eben so merkwürdigerweise überhaupt nicht in der Lage waren, in der Weimarer Republik sich mal nach politischen Alternativen umzusehen.
Die hatten mit den Sozialdemokraten nichts am Hut. Die hatten überhaupt nichts mit den Kommunisten natürlich am Hut, sondern sie waren erzkonservativ, aber das bedeutete noch nicht, dass sie Nazis waren.
Ich habe deswegen die »Harzburger Front« so ausführlich beschrieben, weil das typisch war.
Es waren typisch konservative, meinetwegen auch vaterländisch, jedenfalls hoch national gesinnte Menschen, aber noch keine Nazis.
Und die haben geglaubt, fürchte ich, sie könnten Hitler benutzen. Sie könnten ihn einspannen für ihre konservativen Ziele, die aber nicht nationalsozialistisch waren.
Hitler hat ihnen ganz klar gemacht, schon in Harzburg: »Ich brauche Euch nicht! Meine Bewegung guckt nach vorn, die ist jung. Ich brauche die alten Konservativen nicht. Und entweder, Ihr macht bei mir mit, oder gar nicht.«
Das haben die mühsam lernen müssen. Deswegen gab es so viele, die 1933 dabei waren, von dieser Gruppe, von der ich jetzt rede, und sich relativ schnell wieder zurückgezogen haben, weil sie merkten, sie konnten da gar nichts werden, das hatte natürlich auch andere Gründe.

Ursula Geiling

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