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Eine Darmstädterin in China

Als Expertin für Arbeitsmarktpolitik leitet die promovierte Politikwissenschaftlerin Michaela Baur ein Projekt der GTZ (Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) in China, das die Wiedereingliederung arbeitsloser Frauen in den Arbeitsmarkt zum Ziel hat. Sie ist eine echte Darmstädterin und zweitälteste Tochter von Trautel Baur, der früheren, unvergessenen Frauenbeauftragten der Stadt Darmstadt. Trautel Baur freut sich besonders über die sehr erfolgreiche Tätigkeit ihrer Tochter, die mit diesem Engagement für Frauen in ihre Fußstapfen getreten ist. Michaela Baur lebt seit dem Jahr 2002 mit Mann und zwei Kindern in Nanjing, China. hat sie über ihr Leben in China und ihr Projekt befragt.

Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland?

Die GTZ ist in ca. 130 Ländern tätig und führt in einer großen Bandbreite Projekte durch, die über Umweltschutz, Verwaltungsaufbau und Rechtsberatung bis hin zur Gesundheitsvorsorge, Energieversorgung und Berufsbildung reichen, um nur einige zu nennen. Die GTZ-Projekte werden auf die Bedürfnisse und Wünsche der Partnerländer zugeschnitten. In diesem konkreten Fall geht es um die wachsende Arbeitslosigkeit, mit der die chinesische Regierung durch die Transformation der Planwirtschaft in eine marktorientierte Wirtschaft konfrontiert ist und die eine Destabilisierung der sozialen Lage befürchten lässt. Denn durch die schlechte soziale Absicherung bedeutet Arbeitslosigkeit hier schnell Armut für die Menschen. Frauen sind doppelt diskriminiert. Sie verlieren zu einem größeren Anteil ihre Arbeitsplätze und haben häufiger Probleme, wieder Beschäftigung zu finden. Dies war der Hintergrund, vor dem das Projekt beschlossen wurde, welches nun seit 1999 läuft und 2006 enden wird. Ich selbst besuchte das Projekt seit seiner Entstehung als Kurzzeitexpertin, ca. ein bis zweimal pro Jahr. Als meine Vorgängerin nach 5 Jahren in Nanjing zu neuen Aufgaben strebte, stellte sich plötzlich die Frage, ob ich mich nicht bewerben wolle. Nach einem längeren Aufenthalt in Kirgistan zwischen 1996 und 1999 hatten wir eigentlich nicht geplant, schon wieder die Koffer zu packen. Andererseits passte es gut in unsere berufliche Situation und auch die Abenteuerlust packte uns erneut.

Welche Qualifikationen können die Frauen in diesem Projekt erwerben? Welche Kurse werden angeboten?

In unserem Projekt gibt es vier Bereiche: Berufsberatung (die keinerlei Geschichte in China hat), Training, flexible Beschäftigungsformen und Existenzgründungsförderung. Über jeden einzelnen Bereich wäre natürlich sehr viel zu berichten. Wichtig ist das integrierte Konzept, welches Synergieeffekte zwischen den genannten Bereichen induzieren soll. Wichtig ist auch der Grundsatz: »Qualität hat Vorrang vor Quantität«. Die herkömmliche chinesische Arbeitsmarktpolitik leidet gerade unter dem Problem, dass möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit mit Trainingskursen und anderen Maßnahmen »versorgt« werden und zu wenig danach gefragt wird, was mit den Leuten danach passiert. Im Trainingsbereich haben wir acht Pilotkurse gemacht, die hauptsächlich dazu dienen, Erfahrungen zu sammeln. Inhaltlich reichten sie von einfacheren Tätigkeiten wie Haushaltshilfen bis hin zu Website-Gestaltung, Werbedesign, Bürokommunikation und Marketing-Management. Damit profitiert dann ein größerer Teil von Menschen, im übrigen nicht nur Frauen.

Wie erfahren die Frauen von diesem Projekt und was kosten die Kurse?

Die Angebote des Projektes sind für die Frauen kostenlos und auch die regulären Kurse sind für Arbeitslose beim ersten Mal kostenlos. Um möglichst zielgenau zu sein, wurde die individuelle Berufsberatung eingeführt. Allein gefragt zu werden, was sie wollen, können und anstreben, ist für viele Frauen schon eine einmalige Erfahrung. In unserem Projekt machen wir offensive Öffentlichkeitsarbeit. Über uns wird oft berichtet, Fernsehen, Internet, Zeitung und Radio sind die häufigsten Medien. Und vor konkreten Kursen gibt es Aufrufe in der Zeitung, sich dafür zu bewerben. Mit Mini-Assessments werden dann geeignete Teilnehmerinnen ausgewählt. Insgesamt konnten mithilfe des Projektes Tausende Frauen von den genannten Angeboten profitieren, für die meisten konnten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werden. Überdies geht es ja nicht nur darum, mit den konkreten Frauen zu arbeiten, sondern in erster Linie um die Beratung zum »Change Management«, nämlich aus den beteiligten Arbeitsämtern transparente und kundInnenorientierte Institutionen zu machen, ausgestattet mit einem flexiblen und effizienten Set arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen. Nur wenn uns das gelingt, ist die Nachhaltigkeit des Projektes gesichert. Mir geht es auch darum, einen gewissen »Spirit« mit dem Projekt einzuführen: Dass Frauen das gleiche können wie Männer, manchmal sogar mehr, dass gute Arbeitsmarktpolitik von Transparenz, Verbindlichkeit und Freiwilligkeit lebt, und dass jeder Kunde, jede Kundin eine eigene Geschichte mitbringt und insofern individuell behandelt werden muss.

Wie hoch ist die Arbeitslosigkeit von Frauen in China?

Die offizielle Arbeitslosenquote in China liegt bei 4,5%, die der Frauen etwas höher. Diese offizielle Zahl wird Jahr für Jahr politisch festgesetzt und hat mit den realen Problemen auf dem Arbeitsmarkt relativ wenig zu tun. Regional unterschiedlich dürfte ein realistischer Wert drei- bis viermal höher liegen. In unserem ersten Projektstandort in Nanjing ist die Situation noch vergleichsweise gut, der zweite Standort, Benxi in Nordchina, mit seinen Altindustrien hat mit viel größeren Problemen zu kämpfen.

Gibt es soziale Rechte, wie Kündigungsschutz, Mutterschafts- bzw. Erziehungsurlaub?

Es gibt soziale Rechte, manche sogar durchaus weitreichend. Ein Mutterschutz zum Beispiel existiert und auch die Möglichkeit, bis zu einem Jahr Erziehungszeit zu nehmen. Auch Kündigungsschutz ist vorhanden, das Problem ist für die Einzelnen jedoch, diese Rechte durchzusetzen. Gerade bei den neuen privaten Unternehmen, insbesondere bei den kleinen, herrscht real ziemlicher Wildwuchs. Und wie immer, wenn an jeder Ecke ausreichend Ersatz herumsteht, haben einzelne ArbeitnehmerInnen kaum Durchsetzungsmacht. Zum Teil werden noch nicht mal die Löhne bezahlt, Arbeitsschutz und -recht stehen oft nur auf dem Papier. Die chinesische Regierung versucht, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, aber der sich bahnbrechende Kapitalismus mit seiner ganzen Urgewalt hat durchaus Schattenseiten für Mensch, Gesellschaft und Umwelt.

Wie ist die Situation in punkto (Ganztags-)Kinderkrippen, Kindergärten, Schulen?

Die Kinderversorgung findet, bis die Kinder zwei oder drei Jahre alt sind, hauptsächlich in der Familie statt. Für die Frauen ist es ganz normal zu arbeiten, sie brauchen natürlich auch das Einkommen. Und so passen sehr häufig Oma und Opa auf, in der Regel von der väterlichen Linie. Ab drei kommen die Kinder dann in den Kindergarten, der heutzutage, sofern er gute Qualität bietet, das halbe Gehalt eines Elternteiles auffrisst. Aber chinesische Familien haben nur ein Kind, in dieses wird nach Kräften investiert, die Erfolgserwartungen sind entsprechend. In China Kind zu sein ist nicht immer lustig.

Müssen Frauen in China, wie ihre deutschen Schwestern, um den Zugang zu männerdominanten Berufen kämpfen? Welche Berufe und Ausbildungen stehen ihnen offen?

Es gibt Frauenbranchen und -berufe und umgekehrt Männerbranchen und -berufe. Grundsätzlich stehen Frauen alle Bereiche offen, aber eben nur in der Theorie. Damit stößt das Projekt oft auch an seine Grenzen. Natürlich können Frauen in Männerberufen qualifiziert werden, aber was hilft das, wenn sie nicht genommen werden? Die Grenzen müssen hier schrittweise und zäh erweitert werden, müssen aber immer im Bewusstsein bleiben.

Gibt es ähnlich wenige Frauen in Führungspositionen und eine Diskrepanz bei der Bezahlung von gleichwertiger Arbeit zwischen Männern und Frauen wie in Deutschland?

Frauen in Führungsposition, ob in Politik, Wirtschaft oder Verwaltung, sind auf dem Top-Level so selten wie in Deutschland und wie dort auch gibt es sie eher im Mittelbau. Im Durchschnitt verdienen Frauen 70% der Männerlöhne, selbst bei vergleichbaren Jobs. Diese ganze Thematik wäre sicher schon ein eigenes Projekt wert, sie ist vielschichtig und komplex und vielfältige Variablen spielen mit hinein.

Gibt es eine »Frauenbewegung« in China und existieren »Tabuthemen«, wie häusliche Gewalt oder Homosexualität? Ist Scheidung und Abtreibung möglich?

In China gibt es eine institutionalisierte Frauenbewegung, nämlich den Frauenverband, eine von sieben Massenorganisationen. Viele Themen wie Frauenhandel, Diskriminierung, häusliche Gewalt und rechtliche Gleichstellung in allen Lebensbereichen kommen nun langsam hoch. Aber in vielen Regionen ist der Frauenverband nicht gerade die Speerspitze der Innovationen. In Nanjing z.B. beschränkt sich ihre arbeitsmarktliche Tätigkeit auf die Vermittlung von Haushaltshilfen, ein Berufsbild, welches wenig soziale Sicherheit oder Aufstiegsperpektiven bietet.

Nicht-Regierungsorganisationen sind jedoch noch absolut die Ausnahme, mit der Buntheit und Vielfalt der Szene in Deutschland lässt sich die Situation nicht vergleichen. Homosexualität, schon gar unter Frauen, ist wirklich ein Tabu-Thema. Gleichgeschlechtliches Leben kann höchstens in absoluten Nischen der Gesellschaft bzw. im Privaten stattfinden. Scheidungen sind möglich und auch liberalisiert worden. Dennoch stellen sich Frauen materiell oft schlechter. Abtreibungen sind nicht nur erlaubt, sondern werden zum Teil sogar erzwungen, bis in den neunten Schwangerschaftsmonat hinein. Die Ein-Kind-Politik sieht zwar eher Geldstrafen vor, aber wer sich das nicht leisten kann, muss mit einer Zwangsabtreibung rechnen.

Ist durch die »Ein-Kind-Ehe« und die Bevorzugung von Jungen ein spürbarer Mangel an Mädchen vorhanden?

Um »freiwillige« Abtreibungen zu reduzieren, wird den Schwangeren mit »regulärem Wunschkind« bis zuletzt das Geschlecht nicht verraten. Denn bis heute wollen viele, besonders in der Landbevölkerung, einen Jungen. Denn dieser wird in der Familie bleiben, die Mädchen »fallen« bei der Heirat der Schwiegerfamilie zu. So gibt es bis heute und auf absehbare Zeit einen Männerüberschuss. Aber langsam, ganz langsam, scheint es einen Bewusstseinswandel in der gebildeten Stadtbevölkerung zu geben.

Haben Sie, Ihr Mann und Ihre beiden Kinder sich gut in China eingelebt? Konnten Sie Freundschaften knüpfen?

Wir haben uns in Nanjing sehr schnell eingelebt. Als erst einmal die Wohnung gefunden und eingerichtet war, die Hürden mit der Schule genommen und die ersten Bekanntschaften geknüpft waren, ging der Rest wie von selbst. Der größte Wermutstropfen ist definitiv, dass wir tausende Kilometer von unseren Familien und den deutschen Freunden getrennt sind und mehr als zweimal im Jahr schaffen wir es nicht, die Reise westwärts anzutreten. Aber wir haben neue Freunde gefunden, ich habe ein super Team, bestehend aus deutschen und chinesischen KollegInnen und so bleibt für Einsamkeit nicht viel Zeit.

Ist ein Unterschied zwischen europäisch und asiatisch geprägten Menschen spürbar?

Unterschiede zwischen asiatisch und europäisch geprägten Menschen gibt es durchaus. In China kommt die sozialistische Denkweise hinzu, ein weiteres gleichmachendes Element. Auch die Rolle des Staates wird ganz anders gesehen, mehr oder weniger sanfter Zwang und Überredung gelten oft noch als probates Mittel, Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Unterschiede gibt es auch in der Arbeitsweise. Wir Deutsche gelten hier oft als PlanungsfetischistInnen, während Chinesinnen und Chinesen, wenn zum Beispiel eine große Veranstaltung geplant ist, bis zuletzt das Programm und den Rahmen immer wieder neu erfinden. Das erfordert viel Flexibilität auch auf meiner Seite, aber manchmal ist auch Sturheit gefragt., sonst ist von der ursprünglichen Idee kaum noch etwas übrig. Ohne Kompromisse geht es nicht, Entscheidungen werden in China jedoch weniger funktional als machtbezogen gefällt. So knirscht es immer wieder mal und wenn in entspannten Zeiten nicht für ein sehr gutes Klima gesorgt wird, könnte das schon zu Spannungen im Projekt führen.

Wie offen können Sie mit den Menschen, speziell den Frauen umgehen?

Insgesamt wird Fremden in China mit freundlicher Neugier begegnet. Warum haben wir in Deutschland diese Haltung ausländischen Menschen gegenüber entweder nie gehabt oder verloren? Die Leute hier sind neugierig und interessieren sich für alles mögliche, Kindererziehung, Konsumverhalten, gesellschaftliche Fragen. Von sich selbst geben sie jedoch wenig preis. Oftmals merke ich, dass ich zu einer bestimmten Frage, sei sie politisch, gesellschaftlich oder ganz allgemein eine ganz andere Auffassung habe, als mein Gegenüber. Schon 1999, als ich das erste Mal hier war, habe ich beschlossen, aus meiner Meinung kein Geheimnis zu machen, selbst wenn dadurch manchmal Erstaunen hervorgerufen wird. Es muss halt in einer Weise ausgedrückt werden, dass es verständlich und nicht anmaßend ist. Aber zu viele Knoten im Gehirn haben noch nie dazu geführt, authentisch zu sein. Und das wäre ich schon gerne, wenn auch ich ein kleines bisschen die Deutschen hier in China vertrete, so wie alle KollegInnen und Landsleute auch.

Barbara Obermüller

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