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MATHILDE

 

Fotos: Concordfilm

Lara Croft

Superheldin aus dem Cyberspace

Frau braucht schon ein reativ gesundes Selbstewusstsein, wenn sie, als leicht angegraute, aber eigentlich noch recht fitte Tante mit der 14-jährigen, pubertierenden und absolut coolen Nichte, den neuesten Lara Croft-Film besucht. Die Nichte übrigens ein begeisterter Fan des weiblichen Gegenstücks zu James Bond 007. Lara Croft, verkörpert von der in jeder Situation hinreißend aussehenden Angelina Jolie, kämpft sich durch eine lebensgefährliche Situation nach der anderen, natürlich um die Menschheit zu retten.

Die Tante rutscht immer tiefer in den Kinosessel hinein und wird, abwechselnd von Staunen und Neid geplagt, immer blasser. Sie fragt sich, wie kann ich gegen dieses Superweib jemals wieder vor der begeisterten Nichte bestehen. Lara ist nicht nur hochintelligent, sie beherrscht auch alle Kampfsportarten, sei es Karate, Kickboxen oder den Schwerterkampf. Sie schläft nicht nur mit dem Messer unter dem Kopfkissen, sie hat auch jederzeit eines im Stiefel parat. Sie schießt besser als die erfolgreichsten deutschen Biathlon-Damen, wirbelt mit tänzerischer Leichtigkeit über den Boden oder durch die Lüfte. Sie kann jedes Fahrzeug fahren, ihr beliebtestes Fortbewegungsmittel ist das Motorrad, auf dem sie im hautengen schwarzen Lederanzug sitzt, mit einer Figur, die Männerphantasien Flügeln verleiht.

Wie sich das für eine Superheldin gehört, spricht Lara natürlich alle Sprachen dieser Welt. Ihr Domizil ist ein riesiges Schloss mit 83 Zimmern, in der Garage stehen die tollsten Autos, die Agentin hat Geld ohne Ende.

Aber halt, da gibt es einen Punkt, wo die schon ziemlich demoralisierte Tante leichtes Oberwasser verspürt: Lara kann nicht kochen, selbst das Fertiggericht aus der Mikrowelle landet im Mülleimer. Aber das ist auch gar nicht nötig, denn - und hier nagt wieder Neid an Tantes Seele - die tapfere Heldin wird mit unendlicher Hingabe von ihrem Butler Hillary bekocht und liebevoll umsorgt. Auch Assistent Bryce steht ihr, obwohl manchmal etwas zerstreut und trottelig, todesmutig zur Seite. Das wäre doch etwas - Tante fängt an zu träumen - zwei absolut treu ergebene Männer, die alles für einen tun, ohne dafür etwas zu wollen. Überhaupt Männer, mag der jeweilige Bösewicht noch so attraktiv und charmant sein, Lara fällt natürlich nicht darauf herein. Wäre die Tante schon längst vor dem Blick aus strahlend blauen oder braunen männlichen Augen dahin geschmolzen, behält die Croft trotz angerührter Gefühle fast immer die Kontrolle, höchstens ein Wimpernzucken lässt eine leichte Empfänglichkeit für männlichen Charme erahnen. Fazit: Männer bleiben ein Sicherheitsrisiko, sie taugen bestenfalls als Handlanger fürs Grobe.

Ein Anflug von Weichheit streift die Tante, als sich herausstellt, dass Lara einen Vaterkomplex hat und nachts von bösen Träumen geplagt wird. Das können wir nachvollziehen. Da schimmern doch tatsächlich Tränen in Laras schönen Augen, wenn vom toten Papa die Rede ist. Aber nur für einen Augenblick. Gefühle sind nicht angebracht, denn es gilt mit aller Kraft die Welt zu retten, was der Traumfrau natürlich am Ende eines jeden Films gelingt.

Die Nichte, die während der Vorführung ab und zu ein anerkennendes »Cool« gemurmelt hatte, verlässt das Kino im lässigen Lara Croft-Gang und - wünscht sich jetzt ein ganz normales Eis. Die Tante, die ein stressiges Wechselbad der Gefühle hinter sich hat, atmet tief aus und erinnert sich tröstend: Gott sei Dank ist Lara nur eine aus einem Videospiel entstiegene Cyberlady. Und beim Eisessen mit der jetzt auch Filmkritik übenden Nichte wird ganz klar: Tauschen möchte ich mit Lara nicht.

Helge Ebbmeyer

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