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MATHILDE

Malen wie ein Vogel, der sein Lied pfeift

Ausstellung zum 80. Geburtstag von Ricarda Jacobi

Den Ausspruch ihres Lehrers und Förderers Oskar Kokoschka »Malen wie ein Vogel, der sein Lied pfeift«, hat sich die Darmstädter Malerin Ricarda Jacobi zum Leitspruch gemacht. Gleichzeitig könnte dieser Satz auch ein Hinweis sein auf die scheinbare Leichtigkeit, mit der sie ihre Bilder malt - mit sicherem Pinselstrich und hauptsächlich mit Ölfarben.
Die Schau mit dem Charakter einer Retrospektive (Ankündigung in , Heft 66), die am 31. Oktober 2003 endete, war die erste Einzelausstellung Ricarda Jacobis in Darmstadt und wurde vom Kunst Archiv in Zusammenarbeit mit der Galerie Netuschil anlässlich ihres 80. Geburtstages ausgerichtet. Eine angemessene Würdigung dieser hervorragenden Malerin war mehr als überfällig, lebt sie doch immerhin schon seit 50 Jahren in dieser Stadt.

Frau Jacobi, ich möchte mich zunächst einmal für Ihre Bereitschaft bedanken, MATHILDE ein Interview zu geben, obwohl Ihnen eine gewisse Öffentlichkeitsscheu nachgesagt wird. Deshalb weiß ich dieses Entgegenkommen ganz besonders zu schätzen. Sie sind in Sachsen-Anhalt aufgewachsen und haben 1941 an den Franckeschen Stiftungen in Halle Abitur gemacht. Wann spürten Sie zum ersten Mal den Wunsch, Malerin zu werden?

Diesen Wunsch hatte ich schon von klein auf. Von meinen Eltern bekam ich viel Unterstützung. Nach dem Arbeits- und Kriegshilfsdienst begann ich 1942 mein Studium an der Hochschule für Kunsterziehung in Berlin. Als mein Lehrer Willy Jaeckel 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben kam, wechselte ich an die Münchner Akademie und anschließend auf die Burg Giebichenstein in Halle.

Wie gestaltete sich dann Ihr Leben als Malerin in der späteren DDR?

Ausgesprochen schwer, denn mein Vater wurde 1947 von der russischen Besatzungsmacht verhaftet. Dabei glaubten wir uns sicher, weil mein Vater schon 1942 von der Gestapo verfolgt worden war. Erst nach fünfeinhalb Jahren wurde er als kranker Mann entlassen. Während dieser Zeit musste ich für meine Mutter und mich sorgen. Dreizehnmal überquerte ich »schwarz« die grüne Grenze nach Westen. Mit den Aufträgen von dort konnte ich uns beide einigermaßen über Wasser halten. Bei einer solchen illegalen Reise lernte ich 1951 Oskar Kokoschka kennen.

1953 flohen Sie mit Ihren Eltern nach Darmstadt, dem Geburtsort Ihres Vaters. Wie war Ihr Neuanfang in der Bundesrepublik?

»Der Neuanfang war sehr mühsam. Nur mit viel Glück und mit Hilfe von Freunden und Verwandten ist mir das gelungen. Freunde ermunterten mich auch, den Maler Paul Thesing aufzusuchen. Er bot mir an, täglich in seinem Kranichsteiner Atelier zu arbeiten, was ich noch heute als einen Glücksfall empfinde. Seiner Kritik und seinem Wissen verdanke ich viel.«

Ihre Bekanntschaft mit Oskar Kokoschka, an dessen Salzburger Sommerakademie »Schule des Sehens« Sie mehrfach teilnahmen, war wohl die herausragendste Begegnung in Ihrem Leben. Auf welche Weise hat er Sie und Ihre Malerei beeinflusst?

Ja, diese Begegnung hat sich entscheidend auf mein Leben ausgewirkt. Ich hatte nie zuvor Anschauung so wörtlich als An - schauung erlebt. Seine Bejahung und Hilfe über viele Jahre hinweg waren für mich ein einzigartiges Geschenk.

Die aktuelle Ausstellung im Kunst Archiv ist Ihre erste Einzelausstellung in Darmstadt. Wollten Sie gerne im Verborgenen bleiben oder hat der öffentliche Kunstbetrieb Sie nicht genügend wahrgenommen?

Ich bleibe eigentlich gerne als Person im Hintergrund und stelle lieber meine Bilder vor. Wissen Sie, ich bin meine Bilder. Ich habe mich zwar zweimal vergeblich bei der Darmstädter Sezession beworben, mich aber keineswegs zurückgezogen, sondern gemalt.
Für die Fassade eines Kinderheims in Gießen gestaltete ich 1958 das Glasmosaik »Franz von Assisi«. 1962 trat ich dem Schutzverband für Bildende Künstler in München bei und nahm zwei Jahrzehnte lang an den dortigen Jahresausstellungen teil. Außerdem beteiligte ich mich an Gruppenausstellungen in anderen Städten. In den Jahren 1969 und 71 kamen Aufträge für Frankfurter Oberbürgermeisterporträts im Römer auf mich zu.
Für das Darmstädter Staatstheater porträtierte ich Karl Böhm, Harro Dicks und George Maran.

Sie haben sich sehr auf die Porträtmalerei spezialisiert, die Sie vorwiegend in Öl ausgeführt haben. Was hat Sie gerade am Thema Porträt so sehr fasziniert?

Das Bildnis, die »Geografie des Gesichts« (ein Zitat von Kokoschka) war von jeher der Schwerpunkt meiner Arbeit. Als Ausgleich sind für mich jedoch Stilleben und Gartenlandschaften ebenso notwendig. Bei diesen Sujets hat mich das Aquarell besonders fasziniert. Die Natur und die Kreatur sind mir unsagbar wichtig. So hat elf Jahre lang ein kleiner Spatz freifliegend mein Atelier bewohnt und belebt. Er hat mir geholfen, meine Modelle am Einschlafen zu hindern, und ich führte lange Gespräche in seiner »Sprache« mit ihm.

Glauben Sie, dass Sie es als Frau schwerer hatten als ein Mann, künstlerische Anerkennung zu finden?

Meiner Meinung nach hängt die künstlerische Anerkennung nicht vom Geschlecht ab, sondern von einer ganzen Reihe anderer Faktoren, Frauen müssen also nicht zwangsläufig benachteiligt sein.

Woran arbeiten Sie zur Zeit?

Mein derzeitiger Auftrag »Herr mit Hund« erwies sich als eine recht schwierige Aufgabe. Es dauerte lange bis es gelang, diese unterschiedlichen Modelle zu einer Bildeinheit zu verknüpfen.

Frau Jacobi, ganz herzlichen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben.

Christa Bertz

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