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Esma: Ein Mädchen aus dem Kosovo

»Ich heiße Esma und bin im Dezember 1986 in Prishtina/Kosovo geboren. Dort lebte ich bis zum Alter von sieben Jahren. Im Dezember 1993 reisten meine Eltern mit mir, zwei Brüdern und einer Schwester nach Deutschland. Hier fing ich die erste Klasse wieder von vorne an und lernte schnell die deutsche Sprache. Wir wohnten erst in Grönebach/Sauerland und sind dann nach Winterberg gezogen, wo ich in die zweite Klasse kam und neue Freunde kennenlernte. 1996 habe ich noch einen Bruder bekommen. Nach der vierten Klasse kam ich auf das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Winterberg. Ich habe die sechste Klasse beendet, bevor wir nach Ende des Krieges im Kosovo im Juli 2000 dorthin abgeschoben wurden.«

»Ich wurde von meinen engsten Freundschaften getrennt und musste ein neues Leben im Kosovo beginnen. Am 1. September 2000 hatte ich dann meinen ersten Schultag in der Grundschule in Prishtina. Ich habe inzwischen neue enge Freundinnen, meist Mädchen, die auch in Deutschland gelebt haben und mit denen ich deutsch sprechen kann. Ich bin jetzt vom Gymnasium Sami Frasheri aufgenommen worden, so dass ich meine Deutschkurse fortsetzen kann und vielleicht die Möglichkeit habe, später in Deutschland zu studieren.«

Wie ging es Dir in Deutschland, hast Du Dich da wohlgefühlt? Was ist der Unterschied zum Kosovo?

»Also in Deutschland ging es mir relativ gut. Natürlich gab es da auch Menschen, die Ausländer hassen. Wie in Grönebach, wo sie nachts in das Kinderzimmer eine alte Schranktür reinge-schmissen haben und uns die zerbrochenen Scheiben fast verletzt hätten. Oder als im Krieg im Kosovo fünf Verwandte von uns gestorben sind und mein Vater dort im Krieg war, haben ein paar Menschen Scherze darüber gemacht. Aber ich hatte mehr Freunde, die zu mir standen und mich und meine Familie immer respektierten. Ich habe noch heute viel Kontakt mit Freunden in Deutschland.

Der Unterschied zum Kosovo ist in erster Linie, dass die Kultur und die Mentalität der Menschen anders sind. Wenn man in Deutschland aufgewachsen ist, wie ich, ist es schwer sich an alles im Kosovo zu gewöhnen, an die Menschen, an deren Art. Es ist sehr schwer, sich mit ihnen anzufreunden, da sie sich sehr von den Deutschen unterscheiden. Die Lehrer gehen anders mit den Schülern um, und die Lernmethoden sind anders. Ich kann weder sagen, dass ich mehr zu den Deutschen passe noch zu den Kosovo-Albanern, da ich eine Mischung aus beiden bin. Meine Eltern haben mich schon albanisch erzogen und ich bin in Deutschland aufgewachsen, so dass ich mich in beiden Ländern als Ausländerin fühle.«

Du lebst jetzt im Kosovo, wie ist das Leben eines Mädchens im Kosovo, in einer von Männern beherrschten Gesellschaft?

»Das Leben als Mädchen im Kosovo ist sehr schwer weil man viel mehr von uns erwartet und wir weniger Rechte haben. In meiner Familie geht es nicht typisch kosovarisch zu, da meine Mutter uns anders erzogen hat. Ich genieße in meiner Familie sehr viel Freiheit und Vertrauen. Ich habe eine sehr gute Beziehung zu meiner Mutter und meinen Brüdern. Denen ist auch egal wenn ich einen Freund habe. Mein Vater allerdings ist sehr kosovarisch, ich weiß, dass er mich am liebsten nirgendwo hinlassen würde, aber er hat keine Chance gegen die ganze Familie und er kann mich nicht einsperren.

Bei meinen Freundinnen ist es anders. Eine gute Freundin von mir wurde mit einen Freund erwischt, der Vater hat sie voll geschlagen und dann wollte er sie nicht mehr zur Schule lassen. Sie wollte Selbstmord machen, sie hat über 50 verschiedene Pillen geschluckt, denn er hat sie im Winter in ein eiskaltes Zimmer eingesperrt und gab ihr kaum zu essen, nur gerade so viel, dass sie nicht verhungert ist. Ich habe ihr dann immer Essen gebracht und mir riesige Sorgen um sie gemacht. Ihre Eltern haben sich jetzt wieder beruhigt und sie darf wieder in die Schule gehen. Eine andere Freundin hat eine sehr kosovarische Familie. Ihre Mutter und ihr Bruder würden sie am liebsten einsperren. Sie kommen nicht damit klar, dass ihre Tochter beziehungsweise Schwester erwachsen ist, gut aussieht, Freunde hat und sehr umschwärmt ist. Sie darf am wenigsten. Da Mutter und Bruder einen großen Einfluss auf den Vater haben, denkt er auch so, wie sie, und verbietet alles. Wenn sie sich irgendwann von der Familie abwendet, dann werden sie merken, was sie falsch gemacht haben. Denn wir brauchen unsere Freiheit und ein wenig Unabhängigkeit.

Ich würde sagen, dass keine von uns dreien richtig kosovarisch ist, denn wir wehren uns und versuchen, uns nicht alles gefallen zu lassen. Wir denken sehr viel anders als Kosovarinnen, denn die denken, dass das richtig ist, wenn sie unterdrückt werden. Wir denken das nicht.

Viele kosovarische Männer denken, dass Mädchen und Frauen eine Stufe niedriger stehen. Sie haben es so von der Familie erzogen bekommen. Meine Mutter hat meine Brüder nicht so erzogen, sie geht wie eine Deutsche damit um. Aber die anderen Mütter und Väter tun das nicht und das weibliche Geschlecht hier gibt sich damit zufrieden und teilt deren Meinung. Und das ist das Schlimmste.

Es gibt auch nette Kosovaren, die meinen, dass die Frau nicht alles machen sollte, sondern dass man ihr auch helfen kann. Die meisten Männer jedoch behandeln ihre Frauen wie eine Dienerin, völlig respektlos und befehlen ihr alles.«

Würdest Du gerne anders leben? Was sind Deine Pläne und Deine Träume für die Zukunft? Wie stellst Du Dir eine Partnerschaft mit einem Mann vor?

»Ja, ich würde schon gerne anders leben wollen, in einem Land, wo nicht alle Nachbarn reden und den Eltern sagen, wie schlimm ihre Tochter ist. Sondern dort, wo jeder nur auf sich achtet und wo es selbstverständlich ist, dass man einen Freund hat. Wo Du auch in der Gesellschaft einfach alles machen kannst, was dir gerade einfällt. Wo man seine Meinung ausleben darf, ohne einfach jedem eine Erklärung schuldig sein zu müssen. Also ich würde gerne nach drei Jahren Gymnasium wieder nach Deutschland zum Studieren gehen, denn im Kosovo gibt es kaum Möglichkeiten. Am liebsten würde ich auch dort heiraten und eine Familie gründen. Ich träume von einen Mann, der mich wirklich liebt, akzeptiert und respektiert. Er sollte mich, meine Träume und meine Meinung ernstnehmen. Es sollte harmonisch ablaufen, ich will mich nicht rumkommandieren lassen, es sollte Vertrauen zwischen uns bestehen und er sollte nicht versuchen mich einzusperren. Ich möchte nicht abhängig von meinem Mann sein.«

Helge Ebbmeyer

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