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MATHILDE

Widerstehen

Jutta Ditfurth im Interview zu ihrem aktuellen Buch

 

Ich habe dein Buch »Durch unsichtbare Mauern. Wie wird so eine links?« gelesen. Du bist eine Frau, die die Dinge grundsätzlich zuerst einmal hinterfragt, sich eine Meinung bildet, aber auch diese für sich selbst immer wieder neu überdenkt und versucht, nicht an der Ausschließlichkeit festzuhalten, das heißt deine eigene Spur immer wieder und weiter definierst. Dabei trennst du nicht zwischen politischem und privatem Denken und Handeln, im Gegenteil, du sagst, wer stark zwischen politischer Anschauung und privatem Leben trenne, dem sei nicht zu trauen (S. 263). Stimmt das? Und wie schaffst du diese konsequente Nichttrennung?

»Ein wesentlicher Teil emanzipatorischer linker Utopie ist, dass die Menschen sozial gleich sein sollen, mit allen materiellen Voraussetzungen ausgestattet, dass sie ihre vielfältigen intellektuellen, praktischen, physischen, künstlerischen Tätigkeiten, ihr Menschsein vollkommen entfalten können. Im Kapitalismus ist das Gegenteil der Fall, der größte Teil der Menschen hat mit Mühe eine Chance zu überleben, meist ohne Perspektive, oft gänzlich ohne Selbstbestimmung, erniedrigt und ausgebeutet oder vollständig marginalisiert. Wie sollte ich da zwischen politischer und privater Ansicht trennen? Den andauernden Versuch zu machen, dieses Bild vom Menschen, diese Weltanschauung linker Emanzipation in den Alltag zu übernehmen ist selbstverständlich. Individuen erfahren dabei Widersprüche, die sie alleine nicht aufheben können. Natürlich bekämpfe ich einen, der sagt er sei für Gleichheit und ist »privat« ein Rassist oder Sexist. Was ist daran besonderes?«

Du bist in deinen Gedanken und deiner politischen Entwicklung einen sehr eigenen Weg gegangen – bewundernswert. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es dir sehr schwer fallen müsste, einer bestimmten Programmatik zu folgen, denn sobald Politik gemacht wird, braucht es Programmatik. Und sobald es eine Programmatik gibt, wird Politik unflexibel. Trotzdem machst du organisierte Politik. Wie kommst du mit diesem Widerspruch zurecht?

»Gut, denn es ist keiner. Du solltest den Lösungsprozess aus meiner adligen Herkunft, die Auseinandersetzung mit dem sozialen Milieu aus dem ich komme, weil ich da zufällig hineingeboren wurde, nicht verwechseln mit meinen politischen Aktivitäten ab Mitte der 70er Jahre. Als Jugendliche hatte ich über einige Jahre eine Auseinandersetzung allein und individuell zu führen, weil es anderen Jugendlichen anders ging. Aber das, was aus der ApO zu uns Jüngeren hinüberschwappte, hat diesen Emanzipationsschritt entscheidend geprägt. Wir lernten was Solidarität ist und kollektive Strukturen. Das Buch umfasst nur die Zeit von 1951 bis Anfang der 70er Jahre. Ich habe offensichtlich eine andere Auffassung als Du, was Politik ist. Emanzipatorische linke Politik ist nicht bürgerliche Parteipolitik. Mensch »folgt« auch keiner Programmatik, sondern entwickelt sie mit anderen zusammen. Sie sind Ausdruck theoretischer Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen und von Auseinandersetzung mit der Geschichte zum Beispiel von sozialen Kämpfen. Eine sollte entscheiden: will sie ernsthaft diese Welt verändern helfen oder davon profitieren, dass sie im Zentrum des Kapitalismus lebt, scheißegal wie es den meisten Menschen auf dieser Welt geht? Im Widerstehen lernt eine rasch, dass frau sich nicht auf Leute verlassen kann, die mit den herrschenden Verhältnissen eigentlich ganz zufrieden scheinen, die nur ab und an ein bißsschen rumnörgeln, um Dampf abzulassen. Dass sie dabei oft todunglücklich sind, ist eine andere Frage.«

Ich habe immer große Vorbehalte gegen Autobiografien, weil die meisten furchtbar egozentrisch geschrieben sind. Meistens dient die Literatur als Zweck, eigene Unsterblichkeit zu schaffen. Bei dir scheint Biografie eher das literarische Mittel zu sein. Du schaffst es gut, den Abstand zu deinem privatesten Leben zu halten – ich fühlte mich nie als Schlüssellochguckerin – und deine privaten Erlebnisse in einen zeitgeschichtlich politischen Rahmen zu packen. Faszinierend fand ich dein Erinnerungsvermögen. Gute Recherche ist eine Sache, gute Erinnerung eine andere, aber du scheinst ein Elefantengedächtnis oder ein super Privatarchiv aus Tagebüchern und alten Schulheften zu haben. Natürlich die Frage: Wie hast du recherchiert und deine Erinnerungen aufgefrischt? Welche Hürden waren zu nehmen (in der Familie, bei dir selbst?) Wo bist du angeeckt?

»Als Quellen kamen zusammen: gutes Gedächtnis, das ist wirklich sehr nützlich, einige Tagebücher und eine Archivrecherche über meine Familie und über das Zeitgeschehen, wie ich es als Autorin auch mache, wenn ich über andere Menschen schreibe. Dabei habe ich zum Beispiel herausgefunden, dass mein Urgroßonkel, der Dichter Börries von Münchhausen (1884-1945) ein Faschist war, der mit NS-Reichsinnenminister Frick kooperierte, um den Juden ihre angeblich nicht-jüdischen Namen zu entreißen.

Im eher persönlichen Bereich galt anderes: Da ich so aufgewachsen war, dass alle Geheimnisse in der Familie zu bleiben hatten und ich als linke Frau später in linken Bewegungen lernte, dass es besser ist, in vielen persönlichen Fragen die Klappe zu halten, weil es sonst die politische Position einer Frau schwächt, war genau dieses für mein Buch die größte Anstrengung: zu lernen, einen bestimmten individuellen, sehr persönlichen und zugleich politischen Lernprozess offenzulegen.«

ist eine regionale Frauenzeitung. Das Thema »Frau« ist immer präsent, trotzdem wird unser feministisches Bewusstsein leider überaus selten diskutiert. Schön wäre es, wenn es wegen unseres Selbstverständnisses als Frau nicht mehr diskussionsbedürftig wäre. Ich befürchte aber, das Gegenteil ist der Fall. Wir drücken uns, weil viele von uns in die Falle getappt sind (nach dem Studium ein bißsschen gearbeitet, Kinder bekommen, der Schorsch arbeitet nun, wir verzichten auf Karriere usw.) Du schreibst, du wolltest nicht in diese Falle laufen. Hast du es geschafft und bist du zufrieden damit? Auf was hast du verzichtet? Fühlst du dich als Frau immer noch benachteiligt?

»Ich hab als Schülerin und Studentin sehr genau beobachtet, wie Frauen in diesem Land leben. Es gefiel mir nie. Ich wollte meine künstlerischen und meine politischen Interessen entfalten, mich nicht konventionellen Entscheidungen unterwerfen oder mich in Bequemlichkeit selbst aufgeben. Ich bin glücklich, dass ich mich so entschieden habe. Es nervt mich bis heute, wenn Frauen oft ohne Not Ausbildungen abbrechen, sich politisch hinter Männern verstecken, aus häufig - ich betone: häufig, nicht immer - den falschen Motiven Kinder kriegen (Bequemlichkeit, soziale/familiäre Anerkennung) und anschließend unzufrieden herumjammern, alle anderen für ihr Schicksal anklagen und Tarotkarten legen oder sonstwelchen verblödenden esoterischen Scheissdreck konsumieren.

Aber Frauen sind nicht gleich. Der Grad und die Art ihrer sexistischen Diskriminierung unterscheidet sich nach ihrer sozialen Lage. Patriarchale Herrschaft ist längst untrennbar mit kapitalistischer Herrschaft verwoben und die Frauenfrage immer auch eine Klassenfrage. Antipatriarchaler Widerstand notwendigerweise immer auch antikapitalistischer, sonst ist Abschaffung von Herrschaft nicht möglich.

Eine emanzipatorische Linke hat ohne feministische Position keine Zukunft, so wenig wie ohne ökologische, beide sind Teil der sozialen Frage und des Hauptwiderspruchs. Eine Frauenbewegung ist dann nicht unterstützenswert, wenn sie sich vor allem um die Interessen der weiblichen Mitglieder des deutschen Bürgertums organisiert. Da steht mir jede brasilianische Landarbeiterin näher, die noch nie was von Genderdebatten oder Quoten gehört hat.«

In diesem Zusammenhang noch: dein Vater scheint die Person in deiner Familie zu sein, mit der du dich am meisten kritisch auseinandergesetzt hast und die dich am meisten herausforderte. Was ist mit deiner Mutter? Hast du dich wirklich mit ihr so wenig auseinandergesetzt wie es den Anschein hat?

»Nein, und es hat auch nicht den Anschein. Beide hatten verschiedene Rollen, familiär wie gesellschaftlich, und deshalb ist die Auseinandersetzung mit ihnen in meinem Buch auch unterschiedlich, das lässt sich da gut nachlesen.«

Gabriele Merziger

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