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Die "Ladies" von Chesterfield - nicht adlig, sondern respektiert

Die Haupterwerbszweige in Chesterfield lagen traditionell im Bergbau und in Ingenieurberufen, wo vor allem Männer arbeiteten. Frauen waren in den Bereichen Handel, Büro, Dienstleistungen und einigen industriellen Berufen vertreten. Die Familien waren meist abhängig von den relativ hohen Gehältern der Männer. In den letzten zwei Jahrzehnten schlossen viele traditionelle Firmen. Viele wurden vom niedrigeren Frauengehalt abhängig - so überhaupt ein Familienmitglied Arbeit hatte. Neue Arbeitsmöglichkeiten bieten vor allem kleine Dienstleistungs- und Konsumgüterfirmen an. Meist zu niedrigeren Löhnen wie in den althergebrachten Industriezweigen, bieten sie Arbeit für Frauen und Männer.

Viele Frauen in Chesterfield versuchen mit oder ohne Partner und erweiterter Familie bezahlte Arbeit und Kinderbetreuung zu kombinieren. Wie im übrigen Großbritannien sind in Chesterfield die Kinderbetreuungsmöglichkeiten zu teuer und nicht ausreichend. Viele erwerbstätige Frauen verlassen sich auf Familienmitglieder, häufig ihre Mütter, um die Betreuung ihrer Kinder außerhalb der Schulzeiten zu sichern. Stress rund um die Kinderbetreuung betrifft viele Frauen. Die Kinder beginnen ihre offizielle Schullaufbahn mit fünf Jahren oder früher. Die Schulzeit ist von 9 Uhr bis 15 oder 16 Uhr. Das Holen und Bringen der Kinder muss in der Regel von den Frauen organisiert werden.

Großeltern, insbesondere Großmütter, kümmern sich ebenfalls um die Kinder der Erwerbstätigen. Sie setzen damit eine Tradition fort aus der Zeit der kleinen geografisch und sozial isolierten Bergbaugemeinden. Jeder war auf seine eigenen Möglichkeiten angewiesen. Das bedeutet, dass mehr ältere Frauen als in anderen Gegenden Großbritanniens Kinder betreuen.

In Chesterfield gibt es ein vielfältiges Freizeitangebot: Sport, Vereine, Clubs, das Theater, Musikveranstaltungen. Für viele Frauen jedoch dreht sich das soziale Leben um Familie und Freunde. Ihre Freizeit wird eingeschränkt durch die häufig langen Arbeitstage oder die Notwendigkeit mehrere Jobs nebeneinander zu haben, um genügend Geld zu verdienen. Innerhalb der Familie haben Mütter weniger Freizeit als der Rest der Familie, da sie nach wie vor den größten Anteil der Hausarbeit erledigen, selbst wenn andere Familienmitglieder mithelfen.

Miss Robinson und ihre Erbinnen

Frauen beteiligen sich am politischen Leben. So sind zum Beispiel 13 der 47 Stadträte Frauen aus beiden Parteien. Immer noch sind mehr Mittelschichtfrauen bei den Liberal Democrats und mehr Arbeiterinnen bei der Labour Partei. Die Klassenunterschiede bestehen demnach noch, sind aber nicht mehr so bedeutend wie in der Vergangenheit. Dass Politik immer noch überwiegend eine Männerwelt ist, wird als Problem in Großbritannien gesehen. Unterschiedliche Strategien wurden ausprobiert, um mehr Frauen zur Politik zu ermutigen. Frauen streben immer noch selten eine politische Laufbahn an, was sicher auch am geringen Entgeld für Lokalpolitikerinnen liegt. Das macht es schwierig, eine politische Aktivität mit der wirtschaftlichen Verantwortung für die Familie zu verbinden.

Es kann sein, dass der Niedergang der Frauenbewegung (in Großbritannien am aktivsten in den 60ern bis 80ern) zu einer Verringerung der aktiven Frauen in Parteien geführt hat. Dennoch findet man Frauen noch immer überall dort, wo ihre organisatorischen Fähigkeiten gefragt sind.

»Feminismus« oder politische Aktivität halten viele jüngere Frauen für nicht mehr notwendig. Die Tatsache, dass Frauen immer noch 2/3 des Einkommens von Männern haben, mit Diskriminierung konfrontiert sind, Belästigungen und Mangel an bezahlbarer Kinderbetreuung bei gleichzeitiger Hauptverantwortung in der Familie hinzunehmen haben, legt den Gedanken nahe, dass es anders ist. Obwohl der Begriff »Feminismus« unmodern geworden ist, bleiben die Forderungen der früheren Feministinnen gültig. Mädchen sind meist besser in der Schule als Jungen und dennoch erreichen sie keine gleichwertige Stellung am Arbeitsplatz. Die Gewerkschaften bemühen sich, Frauen zum Beitritt zu ermutigen und verantwortungsvolle Stellen anzunehmen. Es ist jedoch nicht leicht eine gleiche Geschlechterpräsenz auf allen Ebenen zu erreichen.

Junge Frauen sind häufig selbstbewusster als ihre Vorgängerinnen, besonders beim Formulieren ihrer Ziele. Sie zeichnen sich aus durch die Bereitschaft, sich aus- und weiterzubilden und durch Interesse an Reisen. Um jedoch eine Karriere verfolgen zu können und nicht nur irgendeine Arbeit zu haben, müssen Frauen meist Chesterfield verlassen. Wirtschaftlich erfolgreiche Frauen leiten meist kleine Unternehmen oder sind Selbständige. Örtliche »Frauenjobs« sind für gewöhnlich schlecht bezahlt, befristet, Gelegenheitsjobs oder im niedrig qualifizierten Bereich kleiner Firmen angesiedelt. Frauen werden immer noch von ihren traditionellen Erwartungen eingeschränkt, besonders durch Mutterschaft. Es ist für junge Frauen unüblich, in irgendeiner Partei aktiv zu werden Einige setzen sich jedoch für Einzelaktionen ein.

Dennoch sind Frauen in Chesterfield in vielen örtlichen Organisationen aktiv. Sie waren die treibende Kraft hinter der Einrichtung des Rechtszentrums, des Bürgerbüros, sind das Rückgrat beim Auftreiben von Geldern und in Behindertengruppen. Im Arbeitslosenzentrum sind sie ebenso präsent wie Männer.

Es gibt wenige Heldinnen in der Geschichte von Chesterfield. Violet Markham, Miss Robinson und andere waren in Politik und Wohltätigkeit engagiert. Das ist aber lange her und kam vor allem daher, dass sie die Frauen und/oder Töchter von wichtigen Geschäftsmännern oder Lokalpolitikern waren. In Chesterfield ziehen es Frauen noch immer vor, als »Lady« (ein altmodischer Ausdruck eines Respekts, der verdient werden muss) und nicht als »Frau« bezeichnet zu werden.

Frauenbewegung und Bergarbeiterstreik

Eine organisierte Frauenbewegung existiert auf Landesebene kaum noch, obwohl an der Verbesserung dieser Situation aktiv gearbeitet wird. Die Frauenbewegung fing mit dem Kampf um das Frauenwahlrecht Ende des 19. Jahrhunderts an und erreichte ihr begrenztes Ziel Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Gleichstellung am Arbeitsplatz und soziale Gleichberechtigung sowie die Veränderung der Einstellung der Frauen zu sich selbst waren die Hauptziele der Frauenbewegung in der zweiten Hälfte des 20ten Jahrhunderts. Ihre Ziele waren unter anderem gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Chancengleichheit im Beruf und gleicher Bildungszugang auf allen Ebenen. Außerdem forderten sie ein Ende der häuslichen Gewalt gegen Frauen und der sexuellen Belästigung. Sie forderten eine Änderung der Einstellung gegenüber Frauen, um die Diskriminierung zu beenden. Sie verlangte auch bezahlbare Kinderbetreuung ohne zu viel Stress oder wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Mann. Sie strebte danach, Frauen als Menschen zu respektieren und sie nicht unter Familie als Mütter oder Versorgende mit zu meinen.

Nachdem einige dieser Ziele, zumindest auf dem Papier, erreicht waren, zogen sich viele der Aktivistinnen ins Privatleben zurück. Junge Frauen sehen keine Notwendigkeit, ihre Arbeit fortzusetzen, bis sie auf der Arbeit an die »gläserne Decke« stoßen oder andere Formen der Diskriminierung erfahren.

In Chesterfield hat die Gruppe »Frauen gegen Minenschließung« erstmals viele Arbeiterinnen politisiert, als diese sich während des Bergarbeiterstreiks 1985 zur Unterstützung der Männer zusammen taten. Das Scheitern, die Arbeitsplätze durch den Streik zu erhalten, sowie die Reaktion vieler Männer, Familien und der Medien hatten einen demoralisierenden Effekt auf diese frisch politisch aktiv gewordenen Frauen. Sie zogen sich wieder zurück. Andere wurden zu herkömmlichen Politikerinnen, traten Parteien bei oder wurden in einem der vielen Vereine rund um Chesterfield aktiv.

Familienbeihilfe direkt an die Mütter

Es gibt ein Frauenhaus in Chesterfield, das von Frauen genutzt wird, die häuslicher Gewalt oder Missbrauch ausgesetzt waren. Es wird von Frauen für Frauen an einem geheimen Ort geführt, damit die Lebensgefährten der Frauen es nicht finden können. Seine Finanzierung ist von Zuschüssen der Stadt und Fundraising abhängig. Es gibt auch eine Unterstützerinnengruppe. Für den wachsenden Bedarf wird kontinuierlich mehr Geld benötigt. So gibt es zum Beispiel inzwischen Kinderbetreuung von 7.00 bis 19.00 Uhr anstelle von nur einigen Stunden mitten am Tag. Die momentane Regierung hat einige Bedürfnisse von Frauen erkannt, wie zum Beispiel die direkte Auszahlung von Steuervergünstigungen für diejenigen mit Kindern. Dieses Geld stand Frauen früher nur als als Familienbeihilfe zur Verfügung Dann wurde dieses Geld auf der Steuerkarte des Haushaltsvorstandes eingetragen. Somit wurde das Geld meist Männern ausbezahlt und konnte von den Frauen nicht für die Bedürfnisse der Kinder verwendet werden. Jetzt wird dieses Geld wieder an die Mütter direkt ausgezahlt.

Andere Forderungen werden nur langsam erfüllt wie zum Beispiel eine größere Flexibilität der Arbeitszeit, Zugang zu mehr Bildung und Chancengleichheit. Einige Arbeitgeber suchen nach einem besseren Gleichgewicht von Arbeit und Leben. Das wäre besonders wertvoll für Frauen jedoch nur, weil sie jetzt die größere Verantwortung innerhalb der Familien tragen.

Es gibt in Chesterfield ein Programm - Surestart - das es den Kindern aus den ärmsten Familien ermöglichen soll, mittels besserer Kinderbetreuungsangebote und Unterstützung für die Familien einen leichteren Einstieg in das gesellschaftliche Leben zu haben . Es muss sich erst noch zeigen, ob dieses Programm Erfolg bei der Verringerung der Ungleichheit in Chesterfield haben wird.

Es heißt,vornehmlich zum Nutzen von Mittelschichtfrauen wären die Maßnahmen der letzten Regierung gewesen. Dabei wüssten gerade diese, wie sie sich Hilfe beschaffen können. Sie finden am wahrscheinlichsten eine besser bezahlte Arbeit und sind am besten in der Lage, für eine bessere Kinderbetreuung zu zahlen.

Von Ebony bis SAIL - runder Tisch in Chesterfield

Der Versuch, ein Frauenzentrum in Chesterfield zu organisieren, war bisher erfolglos. Es ist wichtig, die speziellen Bedürfnisse und Interessen von Frauen besser zu erkennen. Momentan gibt es keine übergreifende Frauenorganisation in Chesterfield.

Frauen gehören Organisationen an, die andere Aspekte ihres Lebens spiegeln. Es gibt eine Gruppe schwarzer Frauen aus der afrikanisch-karibischen Gemeinde mit Namen »Ebony«, die zusammen Sport treibt, diskutiert und ihr Selbstvertrauen und ihre Gesundheit stärkt. Die muslimische Vereinigung hat versucht, Gesundheitsstunden für Frauen einzurichten.

Außerdem gibt es die sogenannten »Soroptimists«, die Veranstaltungen zu sozialen Themen oder zur Geldbeschaffung organisieren, um Frauen- und Kinderprojekte zu unterstützen.

Die Townswomen`s Guild ist eine Diskussionsgruppe, der überwiegend Mittelschichtfrauen angehören. Zu einer ähnlichen Organisation in Darmstadt bestand früher eine Verbindung. Diese Vereine sind schon lange aktiv und etabliert.

Einige Organisationen spezialisieren sich auf Probleme von Frauen, wie Women's Aid (häusliche Gewalt) und SAIL (sexueller Missbrauch und Inzest). Die Stadtverwaltung versuchte die Aktivitäten im Frauen- Beratungsbereich zu koordinieren. Sie lud Abgesandte aller sozial engagierten Gruppen sowie Vertreterinnen der Minderheitengemeinschaften und Behindertengruppen, RentnerInnen und junge Menschen ein. Dieses Komitee arbeitet leider nicht mehr.

Die Auswirkungen dieser Gruppen auf den Alltag ist schlecht zu verallgemeinern, da diese Gruppen verschiedene Bereiche der Gesellschaft in Chesterfield repräsentieren. Frauen, die in diesen Verbänden aktiv sind, mögen innerhalb ihrer Gruppe sehr einflussreich sein haben aber keinen offensichtlichen Einfluss auf das Leben in der Stadt.

Es bleibt zu hoffen, dass Einstellungen und Familienbeziehungen sich als Ergebnis der Arbeit in diesen Gruppen verändern werden. Dies ist jedoch ein langsamer Prozess, der schwierig zu messen ist.

Die Aktivitäten von Frauen bedeuten, dass sie ihren Einfluss in vielen gemischten Gruppen geltend machen, nicht nur in Frauengruppen.

Beverly Powell von der Afrikanisch-karibischen Vereinigung und Sally Barnsdale vom Arbeitslosenzentrum besuchten Darmstadt und waren beeindruckt von dem Gefühl der Einheit unter den Frauen, die am Internationalen Frauentag im letzten Jahr teilgenommen haben. Städteverschwisterung erlebten sie als eine Art, ein Gefühl der Einheit auszudrücken.

Sie erfuhren Darmstadt als einen Ort, an dem die Dinge funktionieren. So war es zum Beispiel während der Berufsverkehrszeit kaum spürbar, dass Berufsverkehr war. Es machte ihnen Spaß, Erfahrungen mit anderen Frauen auszutauschen und mehr über das Leben der Darmstädterinnen zu lernen. Das Gespräch mit anderen Frauen gab Möglichkeit zur gegenseitigen Unterstützung. Frauen haben eine Stimme, auf die die Obrigkeit hören kann.

Ihnen gefielen die Veranstaltungen, inklusive der Brainstormingsitzung, bei der die verschiedenen Ebenen der erreichten Frauenziele in den Schwesterstädten verglichen wurden. Sie schätzten auch die verschiedenen Besuche: Ausstellung auf der Mathildenhöhe, ein Projekt, das Ausbildung vor allem für Alleinerziehende Frauen anbietet und ein Projekt zur Unterstützung ethnischer Minderheiten. Das Wochenende bewies, wie wichtig die Zusammenarbeit von Frauen ist. Es half auch Selbstschätzung und Selbstvertrauen zu stärken.

Mary Stead/Anja Spangenberg

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