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»Die schwache Hälfte der Menschheit«

"Die schönsten Frauen der Welt" werden Ushgorods Frauen genannt

Lesja Kesschelja aus Ushforod beschreib die Frauen ihrer Heimatstadt

Unsere Frauen sind schön, schöner als die anderen in der Welt«, so sagt jeder Mann in Ushgorod, wenn er gefragt wird, wie die Frauen in seiner Stadt sind. Davon sind auch viele Männer in der Ukraine überzeugt. Dieser Mythos geht im Laufe von vielen Jahren vom Vater auf den Sohn über. Die Frauen, die noch nicht im Ausland gewesen sind, glauben ebenfalls an dieses Märchen.

Was aber kann noch über die Frauen in der Ukraine und in Ushgorod gesagt werden? Eine einzelne Charakteristik reicht da nicht aus, weil unsere Frauen - wie überall in der Welt - natürlich ganz unterschiedlich sind. Eine Behauptung trifft auf jeden Fall zu: Sie sind wirklich schön, klug, vernünftig - und von den Männern noch immer unterdrückt. Nein, wir Ushgoroder Frauen sollen tagtäglich keine Tücher und Gesichtsschleier tragen, lediglich in der Kirche sollen wir den Kopf mit einem Tuch umhüllen, das gehört zum Kirchenritual. Und das tun wir. Und wir tragen Hosen und fahren Auto - dennoch sagen die Männer immer noch:

»Die Fahrerin bringt Pech«

Allen Gesetzen nach sind unsere Frauen den Männern gleichgestellt. Die Frauen arbeiten im Parlament und sind politisch aktiv. Alleinerziehende Mütter werden nicht mehr kritisch beäugt, wie es noch vor 30 Jahren war. Und doch nennt man die Frauen noch immer »die schwache Hälfte der Menschheit«, was ein Synonym zum Wort »Frau« ist. Doch schwach, das sind unsere Frauen ganz und gar nicht.Im Gegenteil.

Der Alltag einer typischen Frau aus Ushgorod beginnt zwischen sechs und sieben Uhr. Viele Frauen sind berufstätig. Nur die Mütter mit kleinen Kinder bleiben zu Hause Sie dürfen bis zu sechs Jahren im Erziehungsurlaub sein. Dabei bekommen sie finanzielle staatliche Unterstützung während der ersten drei Jahre. Die berufstätigen Frauen sind bei verschiedenen Firmen angestellt. Wegen der schlechten Wirtschaftslage in Ushgorod haben die Frauen allerdings wenig Auswahl bei den Arbeitsstellen.

Typisch sind folgende Berufe: Lehrerin, Bibliothekarin, Ärztin, Verkäuferin, Servicefrau. Das ist alte Tradition aus der Sowjetzeit. Frauenarbeit ist nicht hoch bezahlt. Der Arbeitslohn einer Lehrerin oder Ärztin beträgt etwa 40 Euro pro Monat und ist einer der niedrigsten Arbeitslöhne im Staat.

Monatslohn einer Ärztin: 40 Euro.

Der Statistik nach ist Frauenarbeit im Vergleich zur Männerarbeit um ein Drittel schlechter bezahlt. Nach dem Zerfall der UdSSR haben viele Frauen ihren Beruf gewechselt. Es kommt vor, dass ehemalige Lehrerinnen oder sogar Schuldirektorinnen und Professorinnen ein Kleidergeschäft oder ein Lokal betreiben oder »Second hand« auf dem Flohmarkt verkaufen. In Mode ist auch der Beruf »Babysitter«.

Neues Berufsfeld: Ehefrau und Sklavin.

Eine neue Art Frauenleben entwickelte sich in den letzten Jahren. Sie heiraten reiche Männer und haben den »Beruf» Ehefrau. Vom Ehemann bekommen sie Geld, ein schönes Haus oder ein Auto zum Geschenk. Dafür sollen sie zu Hause bleiben, den Haushalt führen und – schweigen. Sie brauchen kein Geld zu verdienen. Wenn sie arbeiten wollen, dürfen sie es nicht.

In der Regel sind solche Frauen sehr gepflegt. Sie besuchen Frisiersalons, Modenschauen, erholen sich im Ausland und benutzen teure Kosmetik. All das können sich die anderen Frauen nicht leisten. Doch sind diese Berufsgattinnen völlig von ihren Ehemännern abhängig. Sie müssen immer Rechenschaft darüber ablegen, wo sie sind und was sie tun. Im Grunde genommen sind sie seine Sklavin. Und das ist trotz allem Luxus nicht beneidenswert.

Ushgorods erfolgreiche Frauen:
Fabrikantin - Fernsehfrau - Zeitungsfrau - Modefrau

In Ushgorod gibt es auch Frauen, die Karriere machen. Als Beispiel gilt die Leiterin einer Kleidungsfabrik Miroslava Kalamunyak. Diese Frau ist in ihrem Beruf sehr erfolgreich, ihr sind hunderte Leute dienstlich untergeordnet und sie hat keinen »Schattenmann« hinter sich. Sie hat sich ihren Weg selbst erkämpft. Voriges Jahr wurde sie vielstimmig ins regionale Parlament gewählt. Sie und vier Männer vertreten dort die Stadt Ushgorod.
Das Ushgoroder Fernsehen führt ebenfalls eine Frau. Nach dem Tod ihres Mannes trat Alla Petrova an die Spitze der Privatfernsehgesellschaft und leitet sie seit fünf Jahren.
Natalya Migalina ist die Chefin der Stadtzeitung Ushgorod. Diese Zeitung ist in Ushgorod sehr populär, weil sie vor allem über das Leben in der Stadt berichtet.
Soryana Sinoviewa leitet die Modelagentur Initia. Sie organisiert Modenschauen, moderiert die jährlichen Shows Miss Ushgorod und Miss Zakarpatya, beschäftigt sich mit begabten Kindern und ähnlichen Themen.

In der Politik wirken die Frauen nicht besonders aktiv mit. Ushgorod hat bislang noch keine Stadtpräsidentin gehabt. Zwei Frauen haben sich um dieses Amt beworben, keine wurde gewählt. Die Ursache war nicht nur das Geschlecht, sondern auch die Persönlichkeitsmerkmale. Viele Frauen in Ushgorod sind nicht streng und agressiv genug. Das müssten sie aber sein, um ukrainische Politik zu machen. Im Stadtrat überwiegen die Männer. Es gibt fünf Frauen und 39 Männer. Nur eine von diesen fünf ist wirklich aktiv.

Frauen sind aber im öffentlichen Leben sehr sichtbar. Es gibt mehrere Organisationen, wo Frauen tätig sind. Die aktivste ist Nova Forma (neue Gestalt). Diese beschäftigt sich mit Kunstprojekten. Die Mitgliederinnen sind Künstlerinnen, Dichterinnen, Schriftstellerinnen, Journalistinnen, Sängerinnen. Die moderne Kunst vertreten in Uschgorod heute überwiegend Frauen. Vor 50 Jahren war dies noch die Domäne von Männern.

Vor zwei Monaten wurde ein Verband von Psychologinnen gegründet. Die Mitfrauen organisierten eine Beratungsstelle für Frauen, Kinder und Eltern. Sonst gibt es keine Anlaufstelle für Frauen. Die Frauen haben keine Ahnung von Frauenhäusern. Wenn sie geschlagen werden, können sie höchstens für ein paar Tage zur Mutter oder Freundin flüchten. Bei vielen Familien sind Prügel üblich. Viele Frauen leiden, besonders wenn sie Kinder haben. Sie haben Angst, ohne Mann könnte ihnen das Geld ausgehen.

Gäbe es ein Frauenhaus, würde es nur selten von den Frauen besucht. Bei solchen Problemen werden Fremde nicht um Hilfe gebeten. Die Frauen denken, sie können ihre Familienprobleme selbständig lösen. Sie sind gewöhnt, selbst zu kämpfen.
Es wird gesagt:

Die Frau hält drei Ecken im Haus, der Mann hält nur eine

Es stimmt. Eine Frau in Ushgorod hat tausende Frauen in sich. Sie ist auf der Arbeit stark und konzentriert, dann läuft sie in den Kindergarten (meistens zu Fuß oder mit dem Bus), unterwegs kauft sie ein, zu Hause kocht sie Abendessen, wäscht und räumt auf, hilft den Kindern Hausaufgaben zu machen und spricht mit dem Mann, der immer müde und sauer auf seine Arbeit ist. Dabei muss sie noch daran denken, wieviel Geld ihr geblieben ist und was sie morgen kocht. So sieht ein ganz typisches Frauenleben aus, und so ist auch die Erwartungshaltung an die Frau. Wenn sie diese nicht erfüllt, dann gilt sie als eine faule Frau.

Die Frau bei uns soll immer listig und vernünftig sein. Sie weiß immer, wann sie schweigen soll. Sie leidet stumm. Unsere Frauen können wirklich viel ertragen. Sie wappnen sich mit Geduld und sind für neue Schwierigkeiten bereit. Das ist das Problem unserer Frauen, aber gleichzeitig die Problemlösung. Wären unsere Frauen demokratischer, stritten mit den Männern um ihre Gleichstellung, dann zerfielen viele Familien. Dank der Frauen ist bei uns die Scheidungsrate gering.

Unsere Männer sind somit mit den Frauen ganz zufrieden. Die schönsten Komplimente machen sie ihnen am 8. März. An diesem Tag wird im ganzen Land der Frauentag mit Blumen und kleinen Geschenken gefeiert. An diesem Tag sind alle Frauen »die schönsten« und »die wichtigsten im Leben«. Die Männer sagen, ohne Frauen wären sie nichts. Aber der nächste Tag kommt und die Frau spielt wieder ihre übliche Rolle: Ehe-, Putz-, Koch-, Karrierefrau, Mutter und so fort. Sie denkt an ihre Kinder, ihren Mann, ihre Eltern, ihre Freundin, ihre Nachbarn, dann erst an sich.

Ist es schwer? Wenn sie eine Frau in Ushgorod fragen, sagt sie »nein, es ist normal«.

Lesja Kesschelja

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