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Begegnungen

MATHILDE-Redakteurin Helge Ebbmeyer hat die halbe Welt bereist.

Du bist eine «alte Reisetasche« pflegt me- ne Tante zu sagen, wenn ich mal wieder auf Reisen gehe. Und das stimmt absolut. Es gibt für mich nichts schöneres und befriedigenderes als der Reiselust zu frönen. Motivation dafür sind die Neugier und Lust auf andere Länder, Kulturen und Menschen. Zu sehen, zu erfahren, aufzunehmen, wie es außerhalb meiner Heimat aussieht. Welche Landschaften, Pflanzen oder Tiere gibt es dort, wie sind die politischen Verhältnisse, wie leben die Menschen, was fühlen sie und was bewegt sie? Zu den wichtigsten Eindrücken, die ich von meinen zahlreichen Reisen mitgebracht habe, gehören die Begegnungen und Kontakte mit Menschen. Diese überwiegend positiven Eindrücke haben mein Bewußtsein beeinflusst, noch nach Jahrzehnten sind sie mir im Gedächtnis.

Als mein damaliger Mann und ich vor zwanzig Jahren mit unserem ausgebauten VW-Bus zu einer eineinhalbjährigen Reise durch Nordafrika und Vorderasien starteten, waren die ersten Kontakte mit Menschen in Marokko eher erschreckend. Wir fuhren durch das landschaftlich wunderschöne Rifgebirge, stoppten gegen Abend in einem kleinen Ort an einer Tankstelle und waren gleich von etwa 30 jungen Männern umringt, die uns unbedingt Haschisch verkaufen wollten. Wir schlugen die Angebote aus und fuhren weiter. Die Männer gaben sich jedoch nicht damit zufrieden, acht von ihnen stiegen in zwei Autos und fuhren hinter uns her. Ein Auto überholte uns, stellte sich auf der Straße quer, die Männer sprangen mit Stöcken in der Hand heraus. Es gelang uns, halb am Berghang fahrend, an dem Auto vorbei zu kommen. Die beiden PKWs folgten uns noch etwa 25 km lang, auf einer engen kurvenreichen Bergstraße, dann gaben sie die Verfolgung auf. Ich verspürte das erste Mal in meinem Leben Todesangst, war aber auch entschlossen, mich zu verteidigen und hatte das große Brotmesser aus der Schublade geholt. Im nachhinein denke ich, dass diese Begegnung auch ihren Sinn hatte, nämlich bei aller Kontaktfreudigkeit auch Vorsicht walten zu lassen.

Diese erste intensivere und eher unangenehme Begegnung mit der Bevölkerung Marokkos wurde durch unzählige weitere positive Kontakte mehr als wettgemacht. Zum Beispiel durch die ältere Berberin, die im Hohen Atlas schwer beladen an der Straße stand und mitgenommen werden wollte. Sie lud uns in ihr Lehmhaus zum Tee ein. Als wir ihr erzählten, dass wir nach Quarzazate fahren wollten, entschloss sie sich kurzerhand mitzukommen um ihre Verwandten zu besuchen. Die Verwandten bestürmten uns, zum Abendessen und Schlafen zu bleiben, was wir auch annahmen. Dort lernte ich Fatima kennen, die einzige Lehrerin in Quarzazate für 50 Kinder.

In der Oase Guilimine im äußersten Süden Marokkos kamen wir auf dem Kamelmarkt mit Omar in Kontakt. Mit Omar fuhren wir auf einer Sandpiste zu seinem Haus in einer kleineren Oase und lernten seine Familie kennen, die uns zum Abendessen, zum traditionellen Tadschin-Essen (Kamelfleisch, Kartoffeln, Möhren, viele Zwiebeln etc.) einlud. Omar brachte uns danach noch zu einem Zelt am Dorfrand, dort empfing uns ein junger Tuareg namens Batr, der mit seinem Vater aus Mauretanien gekommen war, um in Marokko selbst hergestellte Schmuckstücke gegen Lebensmittel einzutauschen. In der Heimat des »Blauen Mannes«, wie sich die Tuareg selbst nennen, hatte es acht Jahre lang nicht geregnet. Die Stunden in der kleinen Oase und mit Batr, der uns unter anderem Lieder auf einer einfachen Flöte vorspielte, bleiben unvergeßlich. Getrübt werden die Erinnerungen auch nicht durch den kleinen Nebeneffekt, dass wir uns in der Oase Flöhe aufgabelten, die uns eine Woche heftig piesackten, bevor wir sie an der Blauen Quelle von Meski wieder loswerden konnten.

In Algerien erfuhren wir einmal innerhalb von zwei Tagen so viel Gastfreundschaft, dass wir nur staunen konnten. In Djelfa besuchten wir ein kleines Museum, trafen dort einen Ägypter, der uns in sein Haus zum Tee einlud. Er und seine Frau waren Lehrer und im Auftrag der ägyptischen Regierung im Rahmen eines Entwicklungshilfeprojektes in Algerien. Als wir uns nach diesem Besuch ein Schlafplätzchen in der Wildnis suchten, kamen Leute zu unserem Bus, die uns auf ein Fest nach Sidi Marhlouk mitnehmen wollten.

Wir lehnten ab, wurden aber trotzdem mit köstlichen Orangen beschenkt. Kurze Zeit später brachte ein junger Mann einen Teller Couscous für »Madame« und am nächsten Morgen erhielten wir eine Kanne Kaffee zum Frühstück. Danach führte uns ein junger Mann namens Quider in die bizarre Felsenlandschaft von Zaccar, zeigte uns phantastische Felszeichnungen und bastelte aus Halfagras Steinschleudern, die früher zur Verteidigung dienten. Auf den Pisten in der Sahara, die wir bis zur Oase Tamanrasset im Süden Algeriens durchquerten, waren menschliche Begegnungen eher selten, Einsamkeit, unendliche Weite, eine beeindruckende Landschaft und vor allem die ungewöhnliche absolute Stille ließen Zeit, die bisherigen Eindrücke zu verkraften.

Auf Djerba in Tunesien lebten wir mehrere unvergessliche Tage mit einer vielköpfigen Fischerfamilie zusammen, die mit uns ihr karges Essen, das sie tagtäglich aus dem Meer holten, teilten. Als ich ihnen unsere Teekanne zum Abschied schenkte, wurde sie erst nach heftiger Diskussion angenommen.

In der Türkei verbrachten wir, eingeladen von einem älteren Türken, eine Nacht auf einer winzigen Insel. Wurden mit über offenem Feuer am Spieß gegrillten Lamm und Rake bewirtet. In der Nähe von Göreme nahmen wir an einer Hochzeit teil. Drei Tage lang wird dort gefeiert, wir kamen an dem Abend der Männer dazu. Männer jeden Alters tanzten erst auf einem Dorfplatz im Kreis zu schwermütiger Musik, im Haus ging es dann etwas schwungvoller zu. Interessant und faszinierend die vom Leben gezeichneten Gesichter der ganz alten Männer, die Pfeife schmauchend und Tee trinkend auf Kissen in einem Raum saßen.

Noch beeindruckender war die Begegnung mit einer Gruppe junger Studentinnen an der Ausgrabungsstätte Persepolis im Iran. Ich hatte Musik und Gesang in der Nähe unseres Standplatzes gehört und war von Neugier getrieben, den Tönen gefolgt. Die Gruppe junger Frauen lud mich sofort in ihren Kreis ein, ich wurde mit Essen und Tee bewirtet. Im Laufe dieses Abends erzählten mir die Frauen von ihrem Leben in einer von männlicher Vorherrschaft und dem Islam geprägten Gesellschaft, die ihnen beispielsweise trotz Studium nur die Ausübung bestimmter, nicht »anrüchiger« Berufe wie Kindergärtnerin oder Lehrerin erlaubte. Im Gegenzug quetschten mich die wissbegierigen Studentinnen nach dem westlichen Leben und christlicher Religion aus.

Zwei reiche junge Inderinnen in Jammu sagten auf meine Fragen nach ihren beruflichen Plänen sehr bestimmt: Indische »Ladies« arbeiten nicht nach Abschluss ihrer Studien, sie heiraten.

Sehr berührt hat mich, als ich in Afghanistan an abgelegenen Orten Kinder in zerlumpten Kleidern traf, deren Haut auf Grund unzureichender Kleidung in großer Höhe und rauhem Klima aufgerissen und wund war. Ihre scheuen Blicke, als ich ihnen meinen Hautcremevorrat schenkte. Und der Andrang von Leuten dann an unserem Bus, die nach Pflaster und Binden, alltägliche Dinge bei uns, Kostbarkeiten dort, fragten. In diesem Moment wünschte ich mir eine ganze Apotheke zur Verfügung zu haben.

Aufwühlend war auch ein Besuch im tibetischen Flüchtlingslager bei Leh in Ladakh, wo Frauen mit Säuglingen auf ihrem Schoß oder kleine Mädchen Teppiche webten, um sich ein bißchen Geld zu verdienen. Sie strahlten trotzdem eine gewisse Würde aus, genau wie die Pilgerinnen und Pilger in Ladakh, die von weither aus den Bergen gekommen waren und an der Straße auf eine Mitfahrgelegenheit zu einem Kloster warteten. Meist schweigsam und ganz selbstverständlich stiegen sie in unseren Bus, saßen aufrecht und von ihrer Mission erfüllt auf dem Sitz bis sie am Ziel angekommen waren. Lebhaft und äußerst kontaktfreudig dagegen zeigte sich eine Gruppe von Frauen und Kindern, die wir an einem Tempel in dem abgelegenen Ort Orcha in Indien trafen. Sofort kamen wir ins Gespräch, kurze Zeit später hatte ich schon ein dunkelhäutiges, süßes Baby auf dem Arm und die Frauen amüsierten sich.

Als wir mit unserem Bus für einige Tage am Pushkar-See, einer der heiligsten Stätten in Indien, standen, kam ein junger Mann namens Rama zu uns und erzählte, dass am Abend ein Fest anläßlich der Ramajana (heilige hinduistische Geschichte) in Pushkar stattfindet. Er begleitete uns und wir erlebten die Verbrennung eines Dämons. Musikanten spielten, verschleierte Frauen schlugen auf große Trommeln, Kinder als Götterpaar Rama und Sita verkleidet spielten Theater. Als das Fest vorbei war, schlenderte Rama noch mit uns durch den Ort, in dem sich 400 Tempel und Tempelchen befinden. Als wir aus einem Tempel Musik hörten, ging Rama mit uns hinein und wir trafen dort auf fünf männliche und eine weibliche Saddhu, die mit Schellen und Trommeln wunderschöne, uralte indische Weisen spielten. Saddhus sind Menschen, die absolut nichts besitzen und ihr Leben ihrem jeweiligen Gott gewidment haben. Die Saddhus forderten uns auf, in ihrem Kreis Platz zu nehmen und drückten uns Musikinstrumente in die Hand, wir spielten mit. An die Atmosphäre in diesem Raum kann ich mich heute noch jederzeit erinnern.

Die geschilderten Begegnungen, eine Auswahl, fanden wie eingangs erwähnt auf einer Reise durch Nordafrika und Vorderasien vor zwanzig Jahren statt. Weitere Reisen führten mich nach Nordamerika, Mexiko, Belize, Guatemala, Australien, in die Karibik, nach Südafrika, Botswana, Zimbabwe, Kenia, Albanien, Makedonien, Nord-, Mittel-, Süd- und Osteuropa usw. In manchen Ländern, wie in Kroatien, Montenegro oder Kosovo war ich auch ganz alleine unterwegs. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass immer und überall Begegnungen möglich sind, wenn man offen dafür ist. Meine Reiselust und Neugier sind ungebrochen und meine Tante schüttelt immer noch den Kopf.

Helge Ebbmeyer

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