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Demokratin im Herzen und im Denken

Zum 75. Todestag von Karoline Balser

»Ich darf Ihnen nach jahrzehntelanger Tätigkeit in der Frauenbewegung in Erinnerung bringen …, dass es keine Frauentätigkeit gibt, die nicht für die Allgemeinheit gilt …«
Karoline Balser in einer Rede im Hessischen Landtag am 4. 8. 1920

Vor 75 Jahren, am 23. März 1928 starb Karoline (Lina) Balser in Darm- stadt. Am Begräbnis auf dem Alten Friedhof wenig später nahmen viele prominente Zeitgenossen und Zeitgenossinnen von der im Alter von 54 Jahren verstorbenen Politikerin Abschied, unter ihnen Oberbürgermeister Glässing und Landtagspräsident Delp sowie Vertreterinnen der Darmstädter Frauenverbände. Die Reden und Nachrufe würdigten die vielfältige politische und soziale Tätigkeit von Karoline Balser und betonten ihre »Fürsorge für die Kleinen und Armen«. Sie war »eine Demokratin im Herzen und im Denken, aber doch niemals engherzig, sondern voll Verständnis auch für andere politische Gesinnung« sagte Julius Reiber an ihrem Grab.

Wer war diese Frau, an die kaum jemand mehr heute in Darmstadt erinnert. Kein Straßenschild, kein öffentliches Gebäude in Darmstadt trägt ihren Namen, sie kommt auch nicht in dem im Jahre 1980 erschienen Standardwerk über Darmstadts Geschichte vor. Auch wir Frauen haben diese engagierte Politikerin und liberale Frauenrechtlerin der Weimarer Republik fast vergessen. Dank der Marburger Professorin, Ingrid Langer, die vor dreizehn Jahren ihre Forschungsergebnisse über die weiblichen Abgeordneten im Landtag des Volksstaates Hessen unter dem Titel »Zwölf vergessene Frauen« herausgab, können wir einiges über das Leben und Werk dieser bedeutenden Darmstädterin erfahren.

Als Karoline Schmierer am 17. Juli 1873 in Goddelau geboren wurde, kämpften Frauen wie Luise Büchner seit Jahren bereits dafür, Mädchen eine bessere Schulbildung zu ermöglichen. Aus diesem Kampf profitierte Karoline: sie besuchte die Viktoriaschule in Darmstadt und absolvierte dort auch das seit 1877 bestehende Lehrerinnen-Seminar. Nach ihrer Heirat wohnte sie ab 1903 mit ihrem Mann, Gustav Balser vorerst in der Landskronstraße, später in der Wilhelminenstraße. Ende 1903 gehörte sie zu der Gruppe von Darmstädterinnen, die die Gründung einer Darmstädter Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) betrieben. Karoline Balser »wird bald die Seele und der Mittelpunkt der Arbeit zuerst als Mitglied, sehr bald aber als Vorsitzende.« In dieser Position bemühte sie sich energisch für die Zulassung der Mädchen zu den Gymnasien, für den Einsatz von Lehrerinnen in leitenden Stellungen und für die Zulassung von Frauen in höheren Justiz- und Beamten-Positionen und im Polizeidienst. Auf Anregung des ADF gründete sie 1908 die Rechtschutzstelle für Frauen, deren Büro im Schloss eingerichtet wurde.

Nachdem die Frauen Ende 1918 das Wahlrecht erhalten hatten, zog Karoline Balser als eine der ersten weiblichen Landtagsabgeordneten für die Deutsche Demokratische Partei in den Hessischen Landtag ein. Sie bleibt mit einer kurzen Unterbrechung Mitglied der »Volkskammer der Republik Hessen« im Darmstädter Ständehaus auf dem Luisenplatz (heute steht dort das Gebäude der Sparkasse) bis zu ihrem Tod. Vom 1. Juni 1919 vertrat sie ihre Partei ununterbrochen auch in der Stadtverordnetenversammlung und gehörte in dieser Zeit allein 12 Ausschüssen und Deputationen an.

Ihre Mitarbeit und Mitgliedschaften in den verschiedenen Frauenverbänden, Wohlfahrtsorganisationen und ihre Aktivitäten außerhalb Darmstadts können hier nicht alle aufgezählt werden. Nur einige sollen genannt werden: Sie war Vorsitzende des ADF, des Lehrerinnenvereins und des Stadtverbandes Darmstädter Frauenvereine, seit 1908 arbeitete sie auch im Hessischen Diakonieverein mit, der sie auch in das Kuratorium der neuen Wohlfahrtsschule Darmstadt, das Eleonorenheim wählte. In einem kleinen Aufsatz über die freie Wohlfahrtspflege berichtet sie 1925 selbst über die verschieden Einrichtungen, die die Not der Bevölkerung in den Krisenjahren lindern sollten und in deren Leitung sie aktiv mitarbeitete.

Frau Elisabeth Kulenkampff vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein und von der Frauenliga für Frieden und Freiheit sprach in ihrem Nachruf über den unersetzlichen Verlust, den Karoline Balsers Tod für die Frauenbewegung bedeutete, da sie ein seltener Mensch war, »denn sie besaß beides: Herz und Verstand«.

Agnes Schmidt

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